Hamburg. Zwei Freunde verkaufen auf Hamburger Märkten Wildfang aus der Nordsee – und fahren für die wertvolle Ernte auch selbst aufs Meer.
Austern vor der Roten Flora!? Immer wieder bleiben Besucher des Schanzenmarkts vor dem Stand von Marco Schnackenberg und Joost Becken stehen – und zücken entweder das Handy, um ein Foto von diesem Gegensatz zu machen, oder ihr Portemonnaie, um sich für 3,50 Euro das Stück ein paar wohlschmeckende Meeresfrüchte zu gönnen. Gern mit einem Gläschen Muscadet dazu. Und mag das Umfeld des Isemarkts oder des Regionalmarkts in Eppendorf besser zu diesem Luxus passen: Eine Attraktion sind die beiden jungen Männer, die aussehen, als wären sie gerade vom Fischerboot geklettert, mit ihrer Alternative zur obligatorischen Markt-Currywurst auch dort.
Seit September 2019 bieten der 30-jährige Schnackenberg und der ein Jahr ältere Becken ihre überwiegend aus der Nordsee stammenden Austern in Hamburg an: erst auf dem Isemarkt, dann in Eppendorf und auf der Schanze, mit zunehmend mehr Stammkunden. Außerdem beliefern die beiden Freunde mit den Restaurants „Wolfs Junge“, „Café Paris“ und „XO Seafood Bar“ gehobene Hamburger Gastronomie und bieten ihre Ware in Anspielung auf den Fangort unter austerregion.de auch im Internet an.
Bremer fahren selbst an die Nordsee
„Wilde Austern werden deutlich vollfleischiger als im Korb gezüchtete“, erklärt Schnackenberg das Besondere an den dickschaligen Muscheln, die auf viel Eis gebettet vor ihm liegen. „Zudem wachsen sie schneller und werden nicht nach drei Jahren abgeerntet. Das heißt: Wir haben auch größere Austern im Angebot, die sich gut zum Gratinieren, Pochieren oder Grillen eignen.“ Gerade eben erst hat ein Kunde ein Prachtexemplar von der Größe eines Pastatellers erworben.
Um den Bedarf ihrer Kunden zu decken, kooperieren die beiden ursprünglich aus Bremen stammenden Freunde mit niederländischen Fischern, deren Fang sie zweimal pro Woche abholen. Doch einmal im Monat fahren sie selbst mit dem Schlauchboot hinaus ins Wattenmeer zwischen den holländischen Inseln. Dort, in der seit 2009 zum Unesco-Kulturerbe gehörenden Region, sorgt die Verbindung aus dem salzigen Wasser der Nordsee und dem süßen Wasser der Ems für reichlich Plankton, dem Grundnahrungsmittel der Crassostrea gigas.
Nur in Handarbeit: Ernte von wilden Austern
„Die Pazifische Auster wurde hier in den 1980er-Jahren gezüchtet, hat sich dann aber trotz der niedrigen Temperaturen stark vermehrt und auch außerhalb der Zuchtstationen ausgebreitet. Heute bedroht sie beispielsweise die Miesmuschel, die nicht mehr genug Platz hat“, sagen die jungen Männer. Die wilden Austern zu ernten, diene also nicht nur dem kulinarischen Vergnügen, sondern sei auch ein Beitrag für die Nachhaltigkeit.
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Zumal alles in Handarbeit geschieht. Etwa eine Dreiviertelstunde fahren die Austernfischer aufs Meer hinaus, um ihr Schlauchboot dort bei Ebbe trockenfallen zu lassen. Dann waten sie zu den schwarzen Muschelriffen, die sich gut sichtbar aus dem Watt erheben. Es sei ein scharfkantiges Konglomerat aus Gestein, Miesmuscheln und Austern, das man nur mit dicken Arbeitshandschuhen, Hammer und Meißel vom Untergrund lösen und auseinanderbekommen könne, erzählt Schnackenberg. „Ein mühsames Unterfangen.“ Wenn nach vier, fünf Stunden die Flut einsetzt, müssten die Kisten mit dem Fang schnell zum Boot gebracht und hineingehievt werden. „Das war noch nie gefährlich, ist aber immer ein Nervenkitzel.“
Keine Lust auf einen langweiligen Bürojob
Im Hafen an der Küste der Provinz Groningen geht die aufwendige Arbeit dann weiter. Jede Auster wird per Hand mit einem Schleifstein von Seepocken, Steinbröckchen und Verwachsungen befreit, bevor sie zum Durchspülen in ein Meerwasser-Bassin kommt. „Wenn wir beide rausfahren, sind das einige Hundert“, sagen Schnackenberg und Becken. „Die professionellen niederländischen Fischer dagegen bringen mehrere Tausend Austern mit zurück.“
Dass die beiden Geschäftspartner, die ihr Wirtschaftsstudium beide mit einem Master abschlossen, in den Austern-Verkauf einstiegen, ist kein wirklicher Zufall: Schnackenberg ist Spross einer Fischhändler-Familie – sein Vater verkauft seit 30 Jahren Fisch und Meerestiere auf Märkten, ebenso wie davor sein Großvater – und Becken jobbte schon früh im Fischereihafen in Bremerhaven. Sie hätten keine Lust auf einen „langweiligen Bürojob“ gehabt, sagen sie. Auf einer Seafood-Messe lernten sie ein Fischerpärchen aus den Niederlanden kennen, das sich mit dem Verkauf regionaler, wilder Austern dem Wandel im Wattenmeer angepasst hatte. „Wir waren sofort von dieser Philosophie angetan und kooperieren seither mit ihnen. Eigentlich sind wir fast wie eine Familie.“
Nur alle drei Wochen Platz auf Hamburger Isemarkt
Während sie Austern einpacken oder sie vor Ort knacken und auf einem Teller mit Eis drapieren, erzählen sie gerne von ihrer Passion. „Viele Kunden sagen uns, dass sie sich an unserem Stand fühlen wie auf Märkten in Frankreich oder Spanien“, sagt Schnackenberg. Auch für sie selbst fühle es sich so an.
Vor allem auf dem Isemarkt mit seinem Trubel und den Straßenmusikanten – wenngleich sie dort, weil es ein städtischer Markt ist, keinen Wein ausschenken dürfen. Seit wegen Corona die Zahl der Stände reduziert wurde, bekommen sie dort sogar nur etwa alle drei Wochen einen Platz. Die beiden Austern-Fischer hoffen, dass sich das bald ändert. Sie haben sich bereits für einen Dauerplatz auf dem Isemarkt beworben.
www.austerregion.de; freitags: 8.30–14 Uhr Isemarkt (unregelmäßig), 15–19.30 Uhr Schanzenmarkt; sonnabends (Juni bis September): 9–15 Uhr Regionalmarkt Marie-Jonas-Platz