Hamburg. Kontrollen am Eingang und Wachen mit Waffen: Pläne des Verteidigungsministeriums für die Helmut-Schmidt-Uni stoßen auf Widerstand.
Die Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr (HSU) in Jenfeld stand lange für Offenheit: Der Campus und die Bibliothek der 1972 gegründeten Hochschule waren frei zugänglich für Besucher, Tagungsgäste und Studienteilnehmer, wiewohl ein Studium an der Einrichtung hauptsächlich Offizieren und Anwärtern vorbehalten ist. Mit dieser Ausrichtung entsprach die Universität dem Bestreben ihres Gründervaters und Namensgebers, der damals Verteidigungsminister war.
Doch mit dem ungehinderten Zutritt soll bald Schluss sein: Noch in diesem Jahr wird die HSU in einen Militärischen Sicherheitsbereich (MSB) umgewandelt, auf Anweisung des Bundesverteidigungsministeriums. Wer der Hochschule nicht angehört, darf den Campus am Holstenhofweg dann ohne Kontrolle am Eingang nicht mehr betreten.
Pförtner der Uni sollen Waffen erhalten
Die bisher unbewaffneten Pförtner der Uni sollen Waffen erhalten. Weil in einem MSB das Polizeirecht der Bundeswehr gilt, werden auch auf dem Campus Kontrollen „zur Verhinderung von Straftaten“ erlaubt sein und – allerdings nur bei Gefahr im Verzug – Durchsuchungen, wie die Hochschule auf Abendblatt-Anfrage mitteilte. Zur Abwehr von besonders schweren Straftaten dürften im künftigen MSB „als letztes Mittel“ auch Schusswaffen eingesetzt werden.
Das Bundesverteidigungsministerium begründet seine Anweisung auf Anfrage damit, Einrichtungen der Bundeswehr seien „immer wieder Bedrohungen und Gefährdungen durch unterschiedliche Kräfte“ ausgesetzt. „Sie bedürfen daher besonderer Aufmerksamkeit, dies gilt im Besonderen auch dem Schutz von Leib und Leben der Angehörigen und Besucher der HSU/UniBw Hamburg“, teilte ein Sprecher am Mittwoch mit.
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Um welche Art von Bedrohung es sich handeln soll, sagte er nicht, verwies allerdings darauf, dass die Universität der Bundeswehr in München schon seit 19 Jahren ein MSB sei. Für den Fachbereich Bundeswehrverwaltung in Mannheim werde im Mai ein MSB eingerichtet.
„Die Uni würde viel von ihrem offenen Charakter verlieren“
In Hamburg wollen etliche Mitglieder der HSU die Umwandlung in einen Sicherheitsbereich nicht hinnehmen. „Durch Zugangskontrollen und Einschränkungen von Grundrechten wie der Bewegungsfreiheit würde die Universität sehr viel, wenn nicht alles von ihrem offenen Charakter verlieren“, sagt Michael Staack. Der 62 Jahre alte Politikwissenschaftler ist seit 2006 Professor an der HSU; er forscht unter anderem zu einer friedensfördernden Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands.
Im Dezember 2015 hielt er auf einer Gedenkveranstaltung zu Ehren von Helmut Schmidt die Rede über den Gründervater der Hochschule. Nun sagt Staack: „Der MSB bedeutet die gewollte Abschottung von der Hamburger Stadtgesellschaft. Das ist das Ende des Reformkonzepts von Helmut Schmidt.“ Ein MSB würde dem Klima an der Hochschule schaden, befürchtet er. „Es ist irritierend, wenn Schusswaffen zur Normalität eines Campus gehören.“
Brief erhielt Unterstützung aus dem Kreis der HSU-Vizepräsidentinnen und -präsidenten
Staack gehört zu den Unterstützern einer Protesterklärung, die an Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) geschickt wurde. Der Brief, den mehr als 300 Kritiker der Pläne unterzeichnet haben sollen, fand dem Vernehmen nach auch Unterstützung aus dem Kreis der HSU-Vizepräsidentinnen und -präsidenten.
Ebenfalls unterschrieben hat den Brief Dr. Jan Stöckmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der Hochschule. Ein MSB wirke abschreckend auf die interessierte Öffentlichkeit, befürchtet Stöckmann. Die HSU stehe für das Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, das Soldaten in der Mitte der Gesellschaft verortet. Diese Idee könnte verloren gehen.
Offener Ort der Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen
Gegen einen MSB ist auch Lisa Rosen, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften. „Viele Hochschulmitglieder sehen die HSU nicht nur als Ausbildungszentrum für angehende Offiziere, sondern auch als offenen Ort der Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen“, sagt Rosen. Die Doktorandin hat mit anderen wissenschaftlichen Mitarbeitern und Studierenden offene Veranstaltungen für jedermann organisiert, etwa einen Aktionstag gegen Rassismus. Ein MSB würde solche Tätigkeiten erschweren, sagt sie.
Nach Angaben des Verteidigungsministeriums entschied eine für die HSU zuständige Kommission für Bewachung und Absicherung schon im Februar 2019, dass von Juli 2020 an ein MSB einzurichten sei. Die Umsetzung habe sich wegen „baulicher Maßnahmen und erforderlicher Ausschreibungen“ aber verzögert.
Ein Kompromissvorschlag wurde abgelehnt
An der HSU sprach sich der Akademische Senat, dem Professoren, wissenschaftliche Mitarbeiter und Studierende angehören, in einer Resolution gegen einen MSB aus. Präsident Klaus Beckmann arbeitete dem Vernehmen nach einen Kompromissvorschlag aus, der einen sehr begrenzten MSB vorsah. Damit befasste sich auf Antrag der Hochschule zwar am 12. Februar dieses Jahres die erwähnte Kommission für Bewachung und Absicherung – sie blieb allerdings bei ihrer Entscheidung. Das Verteidigungsministerium erklärt, es habe den Beschluss dann bestätigt.
Ein MSB stelle „keinerlei Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit dar“, sagte ein Ministeriumssprecher. „Das belegt ja auch die Schwester-Universität in München, dort sind militärische Sicherheit und offener Campus kein Widerspruch, sondern seit 19 Jahren gelebte Praktikabilität.“ Mit dem MSB in Hamburg ändere sich „nichts am gegenwärtigen äußeren Erscheinungsbild des Campus, lediglich die anzubringenden Schilder ,MSB‘ und die Zutrittskontrolle sind sichtbare Elemente dieser Maßnahme“.
In der Stellungnahme der HSU klingt eine abweichende Einschätzung an. Die Universitätsleitung wolle mit dem MSB verbundene „Einschränkungen für Universitätsmitglieder und Besucher des Campus so niedrigschwellig wie möglich halten“, sagte Pressesprecher Dietmar Strey. Das sei wichtig, um die „über 40 Jahre lang betonte und gelebte Offenheit zu wahren, um den Charakter der Helmut-Schmidt-Universität als Wissenschaftscampus des Bundes von internationaler Sichtbarkeit nicht zu beeinträchtigen“.