Hamburg. Johannes Erdmann hat mehrfach den Atlantik überquert, auf Booten gelebt – mit seiner Frau Cati fuhr er Gäste durch die Karibik.

Drei Jahre lang haben Cati und Johannes Erdmann in der Karibik Chartertouren auf ihrem Katamaran angeboten. Aus den Erlebnissen ist ein Buch entstanden. „Könnt ihr mal das Segel aus der Sonne nehmen?“ beschreibt lustige und weniger lustige Erlebnisse eines Charterskippers. Das Abendblatt stellt einige von ihnen vor.

Der Weinkenner

Dies ist die Geschichte eines echten Rebensaft-Liebhabers, dem keine unserer Weinflaschen schmeckt, auch nicht die besten. Immer wenn ich eine neue Flasche öffne, warte ich gespannt und sehe zu, wie sie die Gläser schwenken, die Schlieren am Glas kritisch beäugen, einen Schluck nehmen und ein wenig naserümpfend urteilen: „Kann man machen.“ Das wurmt mich. Man möchte ja, dass es schmeckt. Dann habe ich eine Idee. „Ich habe da noch eine Sorte, die in den USA sehr beliebt ist. Sie kommt aus Kalifornien, wird aber nur in den USA verkauft. Mal sehen, wie sie euch schmeckt.“ Das Etikett verdecke ich vorsichtshalber mit einem Handtuch, das ich elegant um den Flaschenhals schwinge.

Cati und Johannes Erdmann haben drei Jahre die Karibik bereist.
Cati und Johannes Erdmann haben drei Jahre die Karibik bereist. © MAVERICK | Unbekannt

Sie schwenken, schauen, riechen, schmecken. Ich lauere gespannt auf ihre Bewertung. „Wow. Der ist mal richtig gut“, staunen sie schließlich. „Ja, das finden wir auch“, antwortete ich zufrieden. „Ich habe sogar noch eine ganze Kiste davon an Bord.“ Freude macht sich breit, endlich einen guten Wein gefunden zu haben. Was ich ihnen nicht verrate, ist, dass der Wein eigentlich für uns selbst gedacht war. Auf dem Etikett steht „Winking Owl“, darauf abgebildet eine comicartig gezeichnete zwinkernde Eule. Die Eigenmarke von Aldi in den USA. 2,50 Dollar die Flasche. „Ich sag ja, dass der lecker ist“, lache ich später, als Cati und ich in unserer Kabine sind.

Die Sache mit dem Paddel

Wir liegen noch in der Koje, als ich im Halbschlaf das Poltern an Deck über uns wahrnehme. Zwei Gäste hatten schon am Abend zuvor angekündigt, dass sie mit dem ersten Tageslicht nochmals mit dem Kajak an Land paddeln wollen, um den einsamen Strand zu genießen. Das Kajak hängt über uns an der Reling und muss über die Badeplattform auf unserer Seite des Kats ins Wasser gelassen werden. Sie versuchen zwar, dabei niemanden aufzuwecken – aber das dünne Sandwichdeck schafft trotzdem eine Klang­kulisse, als würden zwei Elefanten in holländischen Holzklocks über einen Parkettboden ohne Trittschalldämmung poltern. Irgendwann hören wir, wie das Wasser am Kajak gluckst. „Hat also alles geklappt“, denke ich, „dann kann ich mich ja nochmals umdrehen.“ Plötzlich durchdringt ein schrilles Kreischen die Ruhe. Zwei Sekunden, drei. Dann ist es wieder weg. Ich sitze aufrecht in der Koje. „Merkwürdig“, denke ich, „das klang ziemlich nah dran.“ Kurz darauf kommt es wieder, kürzer diesmal. Kreisch, kreisch, kreisch. Wie eine Kreissäge. „Eine Kreissäge?“ schrecke ich auf. „Ach du Scheiße!“ Mit einem Sprung stehe ich aufrecht neben dem Bett, sprinte die Treppe hinauf in den Salon, weiter ins Cockpit. Und tatsächlich, dort stehen unsere Gäste unter dem kreischenden Geräusch, schauen verdutzt nach links und rechts und versuchen herauszufinden, woher das Geräusch kommen könnte … während über ihnen ein Paddel des Kajaks mit jeder suchenden Körper­drehung immer wieder kurz in die rotierenden Blätter des Windgenerators taucht wie ein Stück Holz in die Säge. „Uppsi, das tut mir aber leid“, sagt der Gast, als ich ihm die Ursache des Geräusches erkläre. Ich notiere im Geiste, bei der nächsten Gästeeinweisung zu erwähnen, dass die Paddel von Kajak und SUP nur waagerecht getragen werden dürfen, nie senkrecht.

Die Erdmanns mit ihren Freunden Breydon, Sizzler und Ullin (v. l.) Palm Cay Marina auf New Providence (Nassau) Bahamas
Die Erdmanns mit ihren Freunden Breydon, Sizzler und Ullin (v. l.) Palm Cay Marina auf New Providence (Nassau) Bahamas. © MAVERICK | Unbekannt

Die Kartenspieler

Stundenlang kämpfen wir uns durch eine der so häufigen Ostwindlagen über die Yellow Bank hinüber in die Exumas. Die Überfahrt zieht sich. Ich merke, wie die Kinder unserer Gäste langsam ungeduldig werden und endlich ankommen wollen. Damit wir noch vor der Abenddämmerung in den Exumas sind und die Kids nach der strapaziösen Fahrt noch mit dem Paddelboard und Kajak ihren ersten Strand der Bahamas entern können, werfe ich schon nach der halben Strecke die Maschinen an und schiebe den Hebel weit nach vorn. Noch vier weitere Stunden gegen Wind und Wellen, und wir erreichen tatsächlich noch gut zwei Stunden vor dem Sonnenuntergang den Schutz der Insel. Wir haben Glück und bekommen einen wunderbaren Ankerplatz direkt am Strand. Eigentlich könnten die Kids sogar an Land schwimmen.

Der zweite Nachwuchskapitän Piet.
Der zweite Nachwuchskapitän Piet. © MAVERICK | Unbekannt

Doch als ich mich kurz unter Deck umziehe und anschließend wieder hochkomme, kann ich meinen Augen kaum trauen: Da sitzt die ganze Familie um den Cockpittisch herum: „Jetzt, wo es nicht mehr schaukelt und der Wind nicht mehr so weht, können wir endlich wieder Karten spielen.“ Mit wichtiger Miene sitzen sich die Eltern und drei Kinder gegenüber, hochkonzentriert und darauf bedacht, eventuelle Bluffs der Gegenüber zu erkennen. Fünfmal Pokerface. Da liegt die von einer Salzkruste überzogene schneeweiße Hochseeyacht nach holperiger Überfahrt vor einem paradiesischen Strand, der vor Kurzem noch von den Lesern eines amerikanischen Segelmagazins zu einem der fünf schönsten Strände der Welt gekürt wurde. Zum Greifen nahe. Rund um das Boot kristallklares Wasser. Die Sonne sinkt im Westen hinter der Yacht langsam dem Horizont entgegen. Doch meine Crew sitzt an Bord. Die einen den Rücken zur Sonne, die anderen den Rücken zum Strand. Und sie spielen Karten. Ich hingegen öffne mir eine Flasche Bier und lehne mich im Schatten des Steuerstands an den Kajütaufbau. Außer Sicht der Crew. Die Sonne geht blutrot unter. Daran kann ich mich niemals sattsehen.

Das Mückenspray

Schließlich hatten wir da noch den Gast mit dem Mückenspray. In unserer Packliste steht, dass die Gäste kein Mückenspray mitbringen müssen. Bahamaische Mücken lieben nämlich exotische, kulinarische Mitbringsel aus Europa. Also lecken sie das Autan förmlich auf. Abschreckung? Im Gegenteil. Aus diesem Grund haben wir eine ansehnliche Batterie an lokalen Sprays an Bord. Je nachdem, wen wir zu Gast haben, können wir den Birkenstockträger genauso glücklich machen wie den Fan der biologischen Kriegsführung. Als Pumpspray oder mit Treibmittel, nur aus rein biologischen Wirkstoffen, mit mäßig Deet oder fast nur Deet. Dieses „Deet“ war uns vor der Charterei völlig unbekannt, ist in den USA und in Südamerika aber jedem Mückenspray zugesetzt. Es wurde speziell für die amerikanischen Soldaten im Vietnamkrieg entwickelt und … was soll ich sagen? Es wirkt. Gewaltig. Man sprüht sich das Mittel in die Hand (NICHT direkt auf die Haut, dann landet es ja wieder an Deck) und verreibt es am ganzen Körper. Und dann ist Ruhe. Für immer. Oder zumindest für eine ganze Weile.

Die Bahamas-Mücke ist viel kleiner als die europäische. Aber ihre Stiche jucken wie verrückt. Der Rekord bei uns an Bord liegt bei 130 Stichen. Pro Bein. Unser Moskito-Einsatz für die Luken ist in Europa gefertigt und deshalb eigentlich zu grobmaschig. In jeder Kabine steht deswegen zusätzlich eine Dose Mückenspray mit Deet. Am ersten Abend erklären wir den Gästen, dass sie das Netz damit­ ein wenig ansprühen sollen. „Dann riechen die Mücken das und wollen gar nicht mehr versuchen, durch das Netz zu kommen.“ So weit, so schlau. Dachten wir.

Und dann kommen wir nach zehn Tagen zum ersten Mal wieder in die Kabine eines gerade abgereisten Gastes. Wir trauen unseren Augen nicht. Offenbar hat der Gast gedacht „Viel hilft viel“ und die ganze Kabine mit dem Spray lackiert. Das sieht man gut, denn eine geschlängelte Sprühbahn ist klar an der einst glatt lackierten Mahagonidecke zu sehen. Das Deet hat sich durch den Klarlack gebrannt. Auch an allen möglichen anderen Stellen ist zu erkennen, dass sie reichlich eingenebelt wurden. Nicht ohne Folgen: Der glänzend graue Lichtschalter ist nun matt grau. Der neu montierte Ventilator hat auf der einen Seite komplett seine Schraffur in der Oberfläche verloren. Er ist glatt geätzt. Unglaublich. Mehr noch als die Schäden, mit denen wir uns erst in der nächsten Werftzeit beschäftigen können, schockiert uns, was das Deet mit Holz und Plastik macht. „Und das Zeug schmieren wir uns seit Jahren auf die Haut?“, fragt Cati.7

Die Geschichten stammen aus dem Buch: Könnt ihr mal das Segel aus der Sonne nehmen? (Delius Klasing Verlag, 19,90 Euro).
Die Geschichten stammen aus dem Buch: Könnt ihr mal das Segel aus der Sonne nehmen? (Delius Klasing Verlag, 19,90 Euro). © Delius Klasing Verlag | Unbekannt

Das habe ich so nicht gebucht

Ein weiblicher Gast aus Sachsen wusste seine Begeisterung über die Schönheit der Natur nicht anders auszudrücken als durch Ironie. „Is des eene Dämse hier, isch werd schon ganz gnille. Da gönnt’sch ja bleede wärn.“ Und dann, ganz wichtig! Immer derselbe Zusatz, der sich schnell unter der auf dieser Tour halb sächsischen Besatzung als Running Gag etablierte: „Des habbisch sooo net gebucht.“ Wie es bei einem Running Gag üblich ist, kannte dieser Witz kein Ende. Ständig: „Nu gugge ma da! So een weeßer Sand, das is mir viel zu grelle. Da gönnt’sch misch offräschn! Da fahr isch doch libber widder daheeme. Des habbisch sooo net gebucht.“

Das Ehepaar versuchte, seinen Gästen die Tiere in der Karibik ganz nahe zu bringen.
Das Ehepaar versuchte, seinen Gästen die Tiere in der Karibik ganz nahe zu bringen. © MAVERICK | Unbekannt

Ich weiß ja, dass sie es genau andersherum meint und in Wirklichkeit völlig begeistert ist. Aber das ständige „Gemotze“ wird trotzdem mit der Zeit anstrengend, denn ich muss in meinem Kopf bei jedem Satz die Vorzeichen umdrehen. „Hey, Motzarella“, rufe ich ihr irgendwann zu, „kannst du dich mal irgendwie anders freuen?“ Mit schelmischem Blick schaut sie mich einen Augenblick lang durch die schwarze Hornbrille an. Dann antwortet sie: „Un jetz ooch noch de Käptn’e. Unfreundlisch bis zum Geeehtnichtmeeeehr. Des habbisch sooo ooch net gebucht. Aber wirklisch jezze ma!“

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