Hamburg. Zu wenig Dosen von Biontech und keine neuen Termine im Impfzentrum: Senat erwartet „schwierige Wochen“ bei Corona-Impfung.
Irgendwann wird ein Lastwagen kommen – zumindest hoffen sie das in der Hamburger Verwaltung. Der Bund steht bei der Stadt in der Schuld: Weil die deutschen Grenzregionen auf Kosten der Hansestadt und anderer Länder mehr Corona-Impfstoff als vorgesehen erhalten haben, soll Hamburg nun eine „Kompensation“ erhalten. Wann und in welchem Umfang, ist jedoch unklar. Und an der Gesamtlage werde dies wohl ohnehin wenig ändern. Weil erneut genügend Dosen fehlen, stellt der Senat die Hamburger auf „schwierige Wochen“ bei den Corona-Impfungen ein.
Auch am Mittwoch waren für Berechtigte keine neuen Termine im Impfzentrum zu bekommen – möglicherweise ändere sich dies erst in der kommenden Woche, sagte der Sprecher der Sozialbehörde, Martin Helfrich, auf Anfrage. „Durch das hohe Impftempo der vergangenen Wochen und die angekündigte Aufhebung der Priorisierung ist möglicherweise der Eindruck entstanden, dass es ab jetzt immer einfacher wird. Aber das ist faktisch nicht richtig“. Eher sei das Gegenteil der Fall.
Hamburger Impfzentrum muss Reserven bilden
Zwar rechnet der Senat für die kommenden Wochen jeweils mit Lieferungen von rund 55.000 Dosen für das Impfzentrum. Da aber so viele Menschen zuletzt ihre Erstimpfung erhalten haben, wächst auch der Anteil der Dosen, die die Stadt für die Zweitimpfung nach sechs Wochen reservieren muss. Auf der anderen Seite kann der Senat nicht genau beziffern, wie groß die Gruppe der Menschen mit Vorerkrankungen ist, die zuletzt aufgerufen wurde. Es werde in jedem Fall schwer, sie alle zeitnah mit einer Erstimpfung zu versorgen.
Die Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard (SPD) warnt deshalb eindringlich vor hohen Erwartungen an die vom Bund angekündigte Aufhebung der Impfpriorisierung zum 7. Juni. Der Schritt erfolge „absehbar zu einem Zeitpunkt (...), zu dem noch immer eine Knappheit an Impfstoff herrscht“, so Leonhard. Die Liefermengen reichten nach wie vor nicht aus. „Wir könnten in eine Situation kommen, in der wir ohne Priorisierung dastehen – und ohne Impfstoff.“
Priorisierung und Termine – das neue Dilemma
Es könne dann noch „etliche Wochen“ dauern, alle Hamburger zu versorgen. Leonhard macht kaum einen Hehl daraus, dass die Priorisierung möglicherweise vorschnell gefallen sei. „Sie bleibt so lange sinnvoll, wie es nicht genug Impfstoff gibt, um allen ein Angebot machen zu können – denn so lange wird es schwierige Verteilungsfragen geben.“
Formell gilt die Aufhebung der Priorisierung am 7. Juni pauschal. Den Ländern steht es jedoch frei, in den Impfzentren noch länger daran festzuhalten. Und genau so plant es jetzt auch Hamburg.
„Termine für das Impfzentrum wollen wir daher kurzfristig ausschließlich für Personen vergeben, die gemäß der Impfpriorisierung einen Anspruch auf eine bevorzugte Schutzimpfung haben und bereits zur Terminvereinbarung aufgerufen wurden“, so Leonhard. „Viele Menschen hatten bisher noch gar keine Chance darauf, einen Termin zu vereinbaren, weil wir schlicht nicht genug Impfstoff haben. Wir wollen diesen Menschen weiterhin einen bevorzugten Zugang bieten, soweit möglich.“ Die Priorisierung in den Arztpraxen werde allerdings zum 7. Juni aufgehoben.
Hausärzte: Politik verlagert die Konflikte in die Praxen
Ein Teil der Hausärzte unterstützt, ja fordert sogar eine längere Öffnung des Impfzentrums. Hintergrund: Die Praxen haben zu wenig Impfstoff und zu oft Ärger mit bettelnden Patienten. Die Allgemeinmedizinerin Dr. Silke Lüder sagte: „Das Impfzentrum in den Messehallen wird deutlich länger aufbleiben müssen. Wir sind in den Hausarztpraxen mit der zeitraubenden Organisation der Impfungen und den Diskussionen mit den Patienten am Limit, vor allem die medizinischen Fachangestellten.“
Die Ankündigung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), die Priorisierung zum 7. Juni aufzuheben, habe den Druck auf die Praxen erhöht und falsche Vorstellungen bei den Patienten geweckt. Lüder sagte: „Die Politik verlagert die Konflikte um die Impfstoffe, die Lieferungen und die Frage, wer welchen Impfstoff erhalten soll, in die Praxen. Das können wir als Ärzte nicht akzeptieren.“
Lüder nannte auch den digitalen Impfpass zweifelhaft: „Das Projekt ist in der Schweiz gerade krachend aus Sicherheitsgründen gescheitert. Es gibt überhaupt keinen Grund, den international gültigen Impfpass der WHO infrage zu stellen, der zählt auch weiterhin. Und wir als Hausärzte werden mit Sicherheit nicht die Rolle als Pass-Amt der Nation für nachträgliche Erstellungen von QR-Codes spielen. Unsere Aufgabe ist Krankenbehandlung, damit haben wir genug zu tun.“
18 Dosen Biontech – pro Woche
Die Kassenärztliche Vereinigung bestätigte dem Abendblatt, dass der Run auf die Arztpraxen anhalte. Viele führen bereits Wartelisten, auf denen Hunderte Namen stehen. Hausärztin Lüder hat für die Doppel-Praxis in einer Woche gerade einmal 18 Dosen Biontech bekommen. Vom neu zugelassenen Vakzin von Johnson & Johnson (Einmalimpfung) habe sie 100 bestellt und 20 bekommen.
Nach Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums, die dem Abendblatt vorliegen, hat Hamburg in den vergangenen Wochen für das Impfzentrum exakt so viel Impfstoff bekommen, wie ihm gemessen an der Bevölkerungsgröße zusteht. Auch bei Bayern und Berlin stimmen diese Zahlen. In der kommenden Woche sollen alle Hausärzte 2,6 Millionen Dosen erhalten. In den Wochen darauf müssen sie sich 3,6 Millionen Dosen bundesweit mit den Betriebsärzten teilen. Auch diese Menge erhöht sich laut Prognose bis Ende Juni nur auf 3,7 Millionen. Das sind ausschließlich Impfstoffe von Biontech. Astrazeneca und Johnson & Johnson sollen angeblich unbegrenzt bestellt werden können.
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Stiko zu Schwangeren und Corona-Impfung
Am Dienstag ist außerdem bekannt geworden, dass die Ständige Impfkommission (Stiko) nach Diskussionen um die Impfung von Schwangeren nun die Impfempfehlung angepasst und erweitert hat – die Umsetzung befindet sich aber weiterhin teilweise in der Schwebe. „Leider handelt es sich nicht um eine offizielle Empfehlung“, sagte eine Hamburger Frauenärztin auf Anfrage. Und ohne offizielle Empfehlung würde sie alleine für mögliche Impfschäden haften, deswegen würde sie weiterhin nicht impfen können. Die Hotline 116 117 verwies wiederum auf die Frauenärzte, in der Messe würden vorerst weiter keine Schwangeren geimpft.
Keine Corona-Fälle mehr in Hamburger Pflegeheimen
Auf Nachfrage des Abendblattes teilte die Stiko schließlich mit, die sogenannte Erweiterung der Impfempfehlung sei „nicht gleichzusetzen mit einer generellen Impfempfehlung“. Es solle weiterhin eine ausführliche ärztliche Aufklärung über die Datenlage und eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen. Und weiter: „Zum Thema Haftung können wir nicht weiterhelfen.“
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Beim akuten Infektionsgeschehen stieg die Zahl der neuen Covid-19-Fälle nach tagelangem Rückgang am Mittwoch wieder leicht an. Laut Gesundheitsbehörde kamen am Mittwoch 190 neue Fälle hinzu. Das waren 132 mehr als am Dienstag und 12 mehr als am vergangenen Mittwoch. Die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen stieg damit von 43,5 auf 44,2. Vor einer Woche hatte der Wert noch 75,9 betragen. Die Zahl der Hamburger, die mit oder infolge einer Corona-Infektion verstorben sind, stieg um zwei Fälle auf 1535. In den Hamburger Krankenhäusern wurden mit Stand Dienstag 166 Covid-19-Patienten behandelt, sechs weniger als am Vortag. Auf den Intensivstationen wurden davon demnach 71 Infizierte behandelt.
Unterdessen gab es in den Hamburger Pflegeheimen erstmals seit Ende September aktuell keinen Corona-Fall. „Corona ist in Hamburgs Pflegeheimen vorläufig überstanden“, sagte Behördensprecher Martin Helfrich.
In der Hansestadt leben rund 16.000 Senioren in 150 Pflegeeinrichtungen. Am 6. Januar hatte die Pandemie dort ihren Höhepunkt erreicht. Damals waren nach Angaben von Helfrich 744 Bewohner in 70 Einrichtungen infiziert. Die schnelle Impfung in den Pflegeheimen habe eine große Wirkung gehabt, heißt es dazu nun aus dem Senat.