Hamburg. Wer im Hauptbahnhof in der Wandelhalle eine Spritze erhielt, schwebt seit zwei Wochen in Unsicherheit. Viele Fragen sind noch ungeklärt.
Die im geschlossenen Impfzentrum im Hamburger Hauptbahnhof immunisierten Menschen verlangen vom Senat und den Behörden schnelle und vollständige Aufklärung. In Zuschriften und Anrufen beim Abendblatt beklagten sich Impfkandidaten über die Zustände in der Einrichtung, in der vom 1. Dezember bis zur Zwangsschließung am 8. Dezember vermutlich Hunderte getestet und geimpft wurden. Vom Abendblatt befragte Ärzte reagierten mit Unverständnis auf die Vorgänge um das privatärztlich betriebene Impfzentrum.
Die CDU-Bürgerschaftsfraktion wirft dem Senat schwere Versäumnisse vor. Fraktionschef Dennis Thering sagte dem Abendblatt: „Eine schnelle Aufklärung der Umstände ist auch deshalb notwendig, damit sich ein solcher Fall, der natürlich auch mit negativen Folgen für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Impfkampagne der Stadt einhergeht, in Zukunft nicht wiederholt. Ich erwarte, dass der Senat jetzt unmittelbar die zugesagte schnelle Aufklärung auch liefert!“
Impfzentrum im Hauptbahnhof: Hamburger Behörde reagiert nach zwei Wochen
Die steht knapp zwei Wochen nach der Versiegelung des Ladengeschäftes in der Wandelhalle erst am Anfang. Den Impfkandidaten ist bis heute nicht klar, ob sie tatsächlich Moderna gespritzt bekamen, in welcher Dosis und ob die üblichen Regeln für einen Impfort eingehalten wurden. Die „Hammonia Hospital Virtuelle Klinik Betriebsgesellschaft mbH“ hatte in einer ersten Reaktion dem Abendblatt versichert, die Kühlketten seien eingehalten und ein verantwortlicher Impfarzt eingesetzt worden. Der Impfstoff sei aus „eigenen Vorräten“ gekommen. Nachfragen blieben ohne Reaktion. Der Unternehmer ist eine schillernde Persönlichkeit mit früheren Verbindungen in die Politik.
Am Dienstagnachmittag erklärte die Sozialbehörde, sie wolle die im Hauptbahnhof Geimpften über den Kenntnisstand informieren. So heißt es in einem Schreiben an die Betroffenen: „Sie haben in den zurückliegenden Wochen eine Corona-Schutzimpfung in einer Einrichtung am Hamburger Hauptbahnhof erhalten. Den zuständigen Behörden liegen Hinweise darauf vor, wonach es im Rahmen dieses Angebotes zu Unregelmäßigkeiten kam und die verantwortlichen Ärzte die erforderlichen Vorgaben nicht eingehalten hätten. Insbesondere sind Mängel in der Hygiene und in der Organisation des Impfangebotes berichtet worden. Die betreffende Einrichtung wurde daher geschlossen.“
Hamburg: Was im Hauptbahnhof Geimpfte jetzt wissen müssen
Die Behörde spricht davon, dass ein zugelassener Impfstoff verwendet worden sei – „nach bislang vorliegenden Erkenntnissen“. Ob die Lagerung fachgerecht und die Kühlkette eingehalten worden sei, habe man noch nicht „abschließend“ ermitteln können. „Es ist daher möglich, dass die Impfung, die Sie erhalten haben, keine oder nicht die volle erwünschte Schutzwirkung entfaltet. Es gibt aber derzeit keinerlei Anzeichen dafür, dass sich für Sie aus der erhaltenen Impfung eine gesundheitliche Gefährdung ergibt.“
Wer eine Erstimpfung erhalten habe, solle einen Antikörpertest machen, auf Kosten Hamburgs. Zeige sich dort keine Reaktion des Immunsystems, biete die Stadt eine „Ersatz-Impfung“ an. Diese gelte als Erstimpfung. Für eine vollständige Immunisierung brauche man also einen zweiten Piks. Wer im Hauptbahnhof erstgeimpft wurde, solle eine E-Mail schicken an corona-impfung@soziales.hamburg.de mit der Betreffzeile „Antikörpertest Impfung Hauptbahnhof“, dem Namen und den Kontaktdaten wie Anschrift und mobile Erreichbarkeit.
Sollten Daten zu der Impfung im Hauptbahnhof vorliegen, sollten diese aufbewahrt werden. „Kunden“ von dort schilderten dem Abendblatt, dass der Umgang auch mit den Impfdaten sehr lax gewesen sei. Fehlende Impfbescheinigungen wurden quittiert mit dem Satz: „Wir haben ja Ihre Daten.“
Impfzentrum: Was geschieht mit den Impf-Daten?
Die Behörde schreibt jetzt, dass diejenigen, die eine Zweit- oder Booster-Impfung erhielten, sich mit ihrem Arzt beraten sollten. „Ob eine erneute Impfung in Ihrem Fall empfohlen wird, ist derzeit bei Fachleuten des Paul-Ehrlich-Instituts beim Bundesgesundheitsministerium in Prüfung. Sobald dieses Ergebnis feststeht, können wir Ihnen gegebenenfalls einen gesonderten Termin für eine Ersatz-Impfung anbieten. Falls Sie diese nicht in einer Arztpraxis erhalten, kann diese beim Impfzentrum des städtischen Instituts für Hygiene und Umwelt durchgeführt werden.“
Wer zu dieser Gruppe gehöre, solle eine E-Mail schrieben an an corona-impfung@soziales.hamburg.de mit dem Betreff „Booster Hauptbahnhof“ und den Kontaktdaten.
Impflinge berichten, dass sie kein Aufklärungsgespräch hatten, keine medizinisch überwachte Ruhezeit nach dem Piks. Und ein Impfarzt sei erst auf beharrliches Nachfragen erschienen. Dieser Dr. B. hat auf Anfragen des Abendblattes nicht reagiert. Er wurde vor Jahren wegen Abrechnungsbetruges in großem Stile verurteilt. Keine der angefragten Ärztekammern äußerte sich, ob er dort Mitglied ist. Die Sozialbehörde wollte oder konnte nicht sagen, ob er eine Approbation hat. Gegen ihn werde aber ermittelt. Melanie Leonhards (SPD) Haus hat den Fall an sich gezogen, nachdem das Bezirksamt Mitte und dessen Gesundheitsamt offenbar überfordert waren.
Wo hatte Dr. B. eine Zulassung?
Erst hieß es von dort, eine erste Überprüfung habe hygienische Mängel offenbart. Man wolle im laufenden Betrieb ein weiteres Mal kontrollieren. Später hieß es, es habe sogar ein Infektionsrisiko (für die Corona-Übertragung) bestanden. Das konnte man aufgrund der räumlichen Enge aber schon bei der Genehmigung wissen, sagen Impfkandidaten. Dann wurde der Betrieb plötzlich geschlossen. Er könne aber wieder öffnen, wenn die Mängel abgestellt sein, teilte das Bezirksamt zunächst mit.
Wenn Dr. B. ein Impfzentrum betreiben wollte, hätte er gegenüber der Ärztekammer oder der Kassenärztlichen Vereinigung nachweisen müssen, dass er überhaupt (als Privatarzt) Sprechstunden anbietet. Nach Abendblatt-Informationen ist das nicht geschehen. Warum er diesen Nachweis bei den Behörden nicht vorlegen musste, ist ungeklärt.
Impfzentrum im Hauptbahnhof: "Ein unfassbarer Skandal"
Der Linken-Gesundheitspolitiker Deniz Celik sagte: „Der ganze Vorfall ist ein unfassbarer Skandal. Die Gesundheitsbehörde darf die Betroffenen nicht im Stich lassen und hat die Pflicht sie umfassend aufzuklären, zu betreuen und ihnen Antikörpertests bzw. erneute Impfungen anzubieten.“ Der Senat müsse eine Regelungslücke schließen und Impfzentren strengere Vorgaben machen.
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CDU-Fraktionschef Thering sagte: „Natürlich können gerade auch in einer Pandemie Fehler passieren. Doch derzeit verschärft sich der Eindruck, dass das Corona-Krisenmanagement von Bürgermeister Peter Tschentscher und seines rot-grünen Senats aus der Spur geraten ist. Dazu zählt auch das skandalöse Kurzzeitimpfzentrum im Hauptbahnhof.“ Er frage sich, welche Prüfungen Leonhards Sozialbehörde vorher angestellt habe.
Die Staatsanwaltschaft prüft den Verdacht auf gefährliche Körperverletzung. Die Ermittlungen dauerten an, sagte eine Sprecherin dem Abendblatt. Die Akte befinde sich noch bei der Polizei. Was mit den sichergestellten Beweismitteln ist, ist unklar.