Hamburg. Geflüchtete und immer mehr bedürftige Bürger stehen an der Essensausgabe. Mancherorts gibt es schon Wartelisten und Aufnahmestopps.

Mehr Bedürftige, weniger Spenden: Die Tafeln in Hamburg arbeiten aktuell am Limit. „Die Anzahl der Menschen, die sich täglich bei uns melden, um Lebensmittelspenden zu erhalten, hat sich in den letzten sechs Wochen deutlich gesteigert“, berichtet der Geschäftsführer des Hamburger Tafel e. V., Jan Henrik Hellwege.

Das Telefon klingele nahezu ununterbrochen. Viele der 31 Lebensmittel-Ausgabestellen, die von der Tafel betreut werden, hätten derzeit bereits Wartelisten oder sogar Aufnahmestopp.

Hamburger Tafeln überlastet: Viele ältere Menschen kommen dazu

„Es melden sich viele Menschen, die uns schildern, dass sie bisher immer gerade so über die Runden gekommen sind“, sagt Hellwege gegenüber dem Abendblatt. Aber die Preissteigerungen bei Lebensmitteln und Energie – bei den gesamten Lebenshaltungskosten – führten dazu, dass ihr Geld jetzt nicht mehr ausreiche.

„Es sind Familien mit geringem Einkommen, ältere Menschen mit kleiner Rente oder Berufsgruppen, die unter den Auswirkungen der Corona-Krise leiden“, so der Geschäftsführer.

Extra-Ausgabestelle für ukrainische Geflüchtete

Hinzu kämen zurzeit auch die Schutzsuchenden aus der Ukraine. Für sie hatte die Tafel im März übergangsweise eine Extra-Ausgabestelle in ihrer Zentrale in der Schimmelmannstraße eingerichtet. Nun habe man sich entschlossen, weitere Termine anzubieten. Die Tafel hofft, dass sich die Lage entspannt, sobald mehr Menschen regelmäßige Sozialleistungen beziehen können.

Doch schon vor dem Krieg und seinen Auswirkungen sei man überlastet gewesen, hatte Hellwege dem Abendblatt bereits im April berichtet. Etwa 90 Tonnen an Lebensmittelspenden verteilt die Einrichtung nach eigenen Angaben pro Woche in Hamburg und Umgebung. Dabei helfen rund 160 Freiwillige, für die die aktuelle Situation nach zwei Jahren Corona-Krise „nur schwer zu ertragen“ sei. „Dass wir trotz unserer täglichen Arbeit nicht in der Lage sind, allen Menschen, die fragen, zu helfen, ist eine belastende Situation, die uns allen sehr nahegeht“, sagt Hellwege.

Tafel benötigt Unterstützung aus Industrie und Handel

Die Hamburger Tafel verfügt über ein Lager mit Kühleinrichtungen, das auf große Mengen ausgelegt ist. Momentan bekomme man aber weniger haltbare Lebensmittel gespendet, als in Hamburg benötigt würden, so Hellwege.

„Viele Privatpersonen haben uns in letzter Zeit kleine Lebensmittelmengen gespendet, um uns zu unterstützen“, so der Geschäftsführer. „Um mittelfristig genug Lebensmittel für unsere Kunden zu bekommen, brauchen wir aber noch neue Unterstützung aus der Industrie und dem Handel.“

Und auch in anderen Einrichtungen wird es eng: „Wir sind jetzt an der Grenze dessen, was wir leisten können“, berichtet Ulrike Eckert-Riecke, stellvertretende Vorsitzende und Leiterin der Ausgabe bei der Tafel Bergedorf. Die Zusammensetzung der Kundinnen und Kunden habe sich in den vergangenen Wochen dort sehr verändert. „Wir werden von ukrainischen Geflüchteten förmlich überrannt“, sagt Eckert-Riecke. „Weit über 50 Prozent derjenigen, die neu zu uns kommen, sind Geflüchtete: überwiegend junge Frauen mit Kindern“.

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Bergedorf erlebt doppelt so hohe Anfrage

In Bergedorf gibt es vier Ausgabestellen – und zum Teil eine doppelt so hohe Anfrage wie sonst. Statt der normalerweise 80 bis 100 Personen melden sich momentan mindestens 30 neue Kundinnen und Kunden regelmäßig an den Standorten. Dazu gehören neben Geflüchteten laut Eckert-Riecke auch hier Hamburgerinnen und Hamburger, die sich die teurer werdenden Lebensmittel nicht mehr leisten können. Wie ihre Kollegen bei dem Hamburger Tafel e. V. mussten auch die Helferinnen und Helfer in Bergedorf Ende April an einem Standort einen Aufnahmestopp verhängen. Dort standen zeitweise 160 Personen, die dann an andere Stellen verwiesen werden mussten.

„Wir sind fast alle Rentner“, sagt Ulrike Eckert-Riecke über ihre knapp 70 Helferinnen und Helfer. „Nach den Schichten kriechen wir förmlich nach Hause.“ Durch Umorganisation und Umverteilung schaffe man es gerade so. „Wir fühlen uns mit dem Ansturm von der Politik ein bisschen allein gelassen und etwas überfordert.“

Aktuell werden nur halbe Portionen ausgegeben

Insgesamt bekomme die Tafel aktuell weniger Spenden, grundsätzlich komme man damit aber noch aus: In Bergedorf mit seinem grünen Umland bekomme die Tafel beispielsweise oft Gemüse, das an anderen Tafelstandorten schon fehlen würde. Und noch erhalte zwar jeder Kunde etwas an der Ausgabe – wegen der Masse an Anfragenden ist es aber eben knapp die Hälfte dessen, was sonst pro Person ausgegeben wird.

Den Betrieb ausbauen möchte die Bergedorfer Tafel grundsätzlich nicht, dafür seien auch die Räume nicht ausgelegt. Daher könne man auch keine großen Mengen an neuen Spenden annehmen, die eigenen Autos seien ebenfalls ausgelastet. Lebensmittelspenden von Einzelpersonen seien aber gerne gesehen, wenn diese selbst zu den Standorten gebracht werden können.

Hamburger Tafeln sind überlastet – Situation so angespannt wie nie zuvor

Die Tafeln im Hamburger Umland schlagen ebenfalls Alarm: Wie das Abendblatt berichtete, soll der Kreis Segeberg künftig die Einrichtungen in der Region unterstützen. Und auch in Bremen und Niedersachsen konnten nach Angaben der Deutschen Presse-Agentur einige Standorte Ende April bereits keine neuen Kundinnen und Kunden mehr aufnehmen.

Der Vorsitzende des Bundesverbandes Tafel Deutschland, Jochen Brühl, sagte kürzlich gegenüber der Funke Mediengruppe, zu der auch das Abendblatt gehört: „Die Situation bei den Tafeln ist so angespannt wie noch nie. Deutlich mehr Menschen kommen, gleichzeitig sinken die Lebensmittelspenden.“ Brühl appellierte in diesem Zusammenhang auch an die Bundesregierung und die Kommunen: „Einmalzahlungen von wenigen Hundert Euro reichen nicht aus und kommen zu spät.“

Weitere Informationen zu Spendenmöglichkeiten: tafel-bergedorf.de/kontakt-spenden oder hamburger-tafel.de/wie-sie-helfen/spenden .