Hamburg. Hamburg überschreitet 350er-Inzidenz. Konzerte mit 2500 Besuchern bleiben dennoch erlaubt. Fürs schnelle Boostern fehlt der Impfstoff.
Während Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag ebenso stoisch wie fälschlich behauptete, die Zahl der Corona-Infektionen ginge derzeit „überall und flächendeckend zurück“, geschieht in Hamburg seit einer Weile genau das Gegenteil. Die Welle der Neuinfektionen wuchs auch am Mittwoch schnell weiter. Die Sozialbehörde meldete 1211 Neuinfektionen, was die Inzidenz mit 355,3 abermals auf einen Rekordwert trieb.
Der rasante Anstieg macht sich mittlerweile auch wieder in den Krankenhäusern bemerkbar: Dort wurden 240 Covid-Patienten behandelt, 61 von ihnen auf Intensivstationen – das waren jeweils fünf mehr als am Vortag. Außerdem gab es drei weitere Todesfälle, damit sind nun 1956 Hamburgerinnen und Hamburger an oder mit einer Corona-Infektion gestorben.
Corona Hamburg: Ab Inzidenz von 350 neue Maßnahmen
Mit dem erstmaligen Überschreiten der Inzidenz von 350 müssen nach dem Beschluss von Bund und Ländern bestimmte Beschränkungen in Kraft treten – etwa ein Verbot von Tanzveranstaltungen und damit die indirekte Schließung von Clubs und Diskotheken, das Verbot von Zuschauern bei „überregionalen Großveranstaltungen“ sowie die Begrenzung der Kontakte auf maximal zehn Personen (für Geimpfte und Genesene) beziehungsweise für Ungeimpfte auf maximal zwei haushaltsfremde Personen.
Diese Maßnahmen hatte der Senat allerdings bereits am Dienstag vorsorglich beschlossen und noch verschärft: So gilt in Hamburg zusätzlich eine Sperrstunde für die Gastronomie ab 23 Uhr (in der Silvesternacht ab 1 Uhr) sowie ein Verbot von Stehplätzen in Bars und Kneipen – was für viele Pinten auf dem Kiez oder im Schanzenviertel de facto einer Schließung gleichkommt.
Zudem treten alle diese Maßnahmen in der Hansestadt bereits am 24. Dezember in Kraft – während viele Bundesländer ihre weniger einschneidenden Regeln gemäß dem Bund-Länder-Beschluss erst „spätestens am 28. Dezember“ greifen lassen. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hatte das Vorpreschen damit begründet, dass er nicht „blind“ in die Omikron-Welle laufen wolle: „Wenn Maßnahmen erforderlich sind, ist es sinnvoll, sie sofort zu ergreifen.“
Corona-Regeln: Konzerte erlaubt, tanzen verboten
Unterdessen hat die Sozialbehörde auf Abendblatt-Anfrage die konkrete Ausgestaltung einiger Maßnahmen präzisiert. Fraglich war etwa, ob Pop- und Rockkonzerte unter Tanzveranstaltungen fallen – schließlich tanzt das Publikum da nicht selten mit – und demnach auch verboten sind. Antwort: Nein, sind sie nicht. Konzerte blieben erlaubt, sofern die üblichen Regeln der Corona-Verordnung eingehalten würden – etwa die Erstellung eines Hygienekonzepts. Die Höchstgrenze für Zuschauer liege bei 2500 Personen. „Das Tanzen ist aber nicht erlaubt“, so die Behörde.
Zur Frage, wo eine „überregionale Großveranstaltung“ beginnt und wo eine mittelgroße, regionale Veranstaltung endet, teilte die Behörde mit: „Eine Veranstaltung mit mehr als 5000 Teilnehmenden ist eine Großveranstaltung, die nicht mehr zulässig ist.“
Zudem fallen sportliche Gruppenaktivitäten in der Regel nicht unter die Kontaktbeschränkungen. Auf die Frage, inwiefern in Mannschaftssportarten noch Training stattfinden kann und ob zum Beispiel Fitnessstudios noch Kurse mit mehr als zehn Personen anbieten dürfen, hieß es: „Ja, beide Beispiele sind zulässig.“ Sportaktivitäten in Vereinen seien weiter zulässig, weil es hierfür besondere Schutzvorkehrungen gebe. Im Umkehrschluss bedeute das: Ein Freizeit-Kick mit mehr als zehn Personen im Stadtpark wäre nicht erlaubt.
Omikron in Hamburg: Präsenzunterricht soll bleiben
Unterdessen hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gefordert, Kitas und Schulen auf die Auswirkungen von Omikron vorzubereiten. „Viele Lehrkräfte, Schüler und Eltern sind angesichts der drohenden massiven Ausbreitung der neuen Covid-19-Variante Omikron besorgt“, sagte der GEW-Vorsitzende Sven Quiring. „Auch bei den Kita-Beschäftigten ist der Mut erschöpft, Omikron macht den Kita-Beschäftigten Angst, denn sie stehen den ungeimpften Kindern schutzlos gegenüber.“
Die bisher geltenden Corona-Schutzmaßnahmen an den Schulen seien richtig, müssten aber erweitert werden, damit im Frühjahr 2022 ein sicherer Schulbetrieb gewährleistet sei. „Hierzu gehört neben der Einhaltung von Abstandsregeln und dem Tragen von Masken auch die Ermöglichung von täglichen anlasslosen Selbsttests auf das Coronavirus, mindestens aber an drei Tagen pro Schulwoche für alle Beschäftigten und Schüler, auch über die angekündigten zwei Wochen hinaus“, so Quiring.
FFP2-Masken müssten wieder zentral beschafft und allen Beschäftigten ein Boosterangebot gemacht werden. „Die Präsenzpflicht sollte so lange wie möglich aufrechterhalten werden. Eine mögliche Verlängerung der Weihnachtsferien oder den erneuten Distanzunterricht sieht die GEW Hamburg als Ultima Ratio an“, so der GEW-Chef.
Corona-Impfstoff reicht nicht aus
Für die Kitas sagte sein Kollege Jens Kastner: „Die Angst geht um, sich kurz vor den Festtagen noch eine Infektion einzufangen und Weihnachten oder Silvester in Quarantäne verbringen zu müssen. Bei stark steigenden Infektionszahlen muss in den Kitas der Rückgang in die Notbetreuung vorbereitet werden.“
Derweil hat der Senat auf die neue Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) reagiert, wonach Auffrischungsimpfungen nach drei und nicht mehr erst nach sechs Monaten sinnvoll seien. Die neue Empfehlung gelte ab sofort, das Angebot der Impfstellen sei erweitert worden, so die Sozialbehörde.
Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVH) ist zwar zuversichtlich, dass „die Kapazitäten im niedergelassenen Bereich sich noch ausbauen ließen“, wie KVH-Chef Walter Plassmann dem Abendblatt sagte. Dazu müssten allerdings die Rahmenbedingungen stimmen und genug Impfstoff geliefert werden. Daran aber hapert es offenbar.
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„Der Impfstoff reicht nicht“, sagte Plassmann. „Für die nächsten beiden Wochen sind die Lieferungen für Biontech/Pfizer auf ein Minimum zurückgefahren. Nun haben wir erfahren, dass auch Moderna Mitte Januar nur noch in geringem Umfang zur Verfügung stehen soll. Bei solchen Bedingungen lässt sich eine Impfkampagne in den Praxen nicht planen, weil die Termine nur kurzfristig vergeben werden können. Wenn die Politik ein hohes Impftempo sicherstellen will, muss endlich Verlässlichkeit in die Impfstoff-Lieferungen kommen.“