Hamburg. Stadt kontra Bauwirtschaft: Der von Olaf Scholz eingeführte Wohnungspakt ist noch nicht verlängert. Das hat vor allem eine Ursache.
Natürlich: Wer es nicht so mit Olaf Scholz hält, der erinnert beim Rückblick auf dessen Bürgermeisterjahre sofort an das G -20-Desaster, die gescheiterte Olympiabewerbung oder seine noch unklare Rolle beim Umgang der Stadt mit dem Cum-Ex-Steuerbetrug von Bankern. Einen großen Erfolg seiner Politik aber können dem aktuellen SPD-Kanzlerkandidaten auch seine Gegner nicht ernsthaft absprechen: das Bündnis für das Wohnen.
Gemeinsam sorgten Senat, Bezirke, Wohnungswirtschaft, Saga und Mietervertreter seit 2011 dafür, dass in Hamburg zunächst 6000 und zuletzt 10.000 Wohnungen pro Jahr genehmigt wurden. Während in Berlin angesichts des Mangels an bezahlbarem Wohnraum ideologisch debattiert und juristisch experimentiert wurde, hat Hamburg Zehntausende Wohnungen gebaut. Ergebnis: Die Mieten stiegen langsamer – ein Segen für Zehntausende Menschen in der Stadt.
Günstige Wohnungen in Hamburg sind in Gefahr
Ob es mit dem Scholz’schen Erfolgsmodell so harmonisch weitergeht, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Denn nach der ersten Verlängerung 2016 sollte das Bündnis längst auch für diese Wahlperiode erneuert werden. Schon seit August wird verhandelt, seit Januar intensiv. Eine Einigung aber gibt es auch 15 Monate nach der Wahl noch immer nicht. Das hat nicht vorrangig mit der Pandemie zu tun oder damit, dass Naturschutzverbände gegen den Wohnungsbau auf Kosten des Grüns Sturm laufen. Haupthindernis ist der Streit über eine Grundsatzfrage – die des Grundbesitzes.
Die Wohnungsunternehmen wollen die städtischen Grundstücke, auf denen sie bauen, auch weiterhin kaufen. Die Stadt aber hat eine Wende in ihrer Baupolitik vollzogen: Schon 2019 verkündeten Senat und Bürgerschaft, dass Hamburg Grundstücke künftig verstärkt über Erbbaurechte vergeben wolle. Das heißt: Die Firmen sollen den Boden, auf dem sie Wohnungen bauen, häufiger für 75 oder 100 Jahre pachten, aber seltener kaufen können.
Pläne des Hamburger Senats stoßen auf Protest
So sichere sich die Stadt den „langfristigen Zugriff auf das nicht vermehrbare Gut Boden sowie eine Steuerungsmöglichkeit für nachfolgende Generationen in sozialer und städtebaulicher Hinsicht“, heißt es in einer Senatsdrucksache von Ende 2019. In ihrem Koalitionsvertrag bekräftigten SPD und Grüne 2020 das Ziel einer „gemeinwohlorientierten Bodenpolitik“.
Den Wohnungsunternehmen gefällt dieser politische Schwenk ganz und gar nicht – weder den freien noch den im Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) organisierten Genossenschaften. Bei Erbpacht bekomme man schlechtere Kreditkonditionen, sodass „wertvolle Finanzmittel für den Bau bezahlbarer Wohnungen fehlen“, sagte VNW-Direktor Andreas Breitner in dieser Woche. Die VNW-Unternehmen sähen auch nicht ein, warum sie erst ewig Zinsen und zum Ende der Laufzeit das Grundstück erneut bezahlen sollten.
Anstieg der Grundstückspreise soll gebremst werden
Der Protest dürfte wenig bewirken. „Der Senat hat sich zum Ziel gesetzt, städtische Grundstücke wesentlich stärker im Erbbaurecht zu vergeben, um langfristig sicherzustellen, dass diese im Interesse des Allgemeinwohls genutzt werden“, teilte die Behörde von Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) jetzt lakonisch mit. „Je zentraler und größer eine Fläche ist, desto eher wird sie im Erbbaurecht vergeben.“
Dass die Stadt hart bleibt, hat mehrere Gründe. Zum einen suchen alle Metropolen Wege, den rasanten Anstieg der Grundstückspreise zu bremsen, der das Wohnen schnell verteuert. Zum anderen waren die Grünen sogar für einen Stopp aller Grundstücksverkäufe.
Und drittens gibt es da noch neue Mitspieler im aktuellen Kräftemessen: 2020 gründeten sich unter dem Slogan „Keine Profite mit Boden und Miete“ zwei Volksinitiativen, die die Wohnungspolitik revolutionieren wollen. Die erste fordert ein Verbot des Verkaufs städtischer Grundstücke. Boden sei wie Luft und Wasser „kein Gut wie jedes andere“, so die Initiatoren, er dürfte nicht Marktkräften und Spekulation überlassen werden. Die Stadt solle ihre Grundstücke selbst bebauen oder in Erbpacht vergeben.
Initiative will Neubaumieten begrenzen lassen
Die zweite Initiative, die nur aus rechtlichen Gründen separat ins Leben gerufen wurde, fordert eine Begrenzung aller Neubaumieten auf städtischen Grundstücken auf die Sozialwohnungsmieten von zuletzt 6,80 Euro pro Quadratmeter. Diese Miete liegt laut Wohnungswirtschaft fast 50 Prozent unter dem, was angesichts der Baukosten im Neubau genommen werden müsste. Die Differenz müsse bei diesem Modell die Stadt aus Steuern bezahlen – und zwar jeden Monat, solange die Wohnungen genutzt würden. Freie Unternehmen könnten mit diesen Vorgaben sonst keine Wohnungen bauen.
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Das Gegenargument der Initiative: Es fehlten noch immer Zehntausende bezahlbarere Wohnungen – das habe das Bündnis nicht geändert. Auch Stadtentwicklungspolitikerin Heike Sudmann von der Linken betont, der Scholz’sche Wohnungspakt habe nicht einmal seine eigenen Ziele beim Sozialwohnungsbau erreicht – und ermögliche vor allem „dicke Profite mit Boden und Miete“.
Hamburger Mietervereine verhandeln mit Bürgerschaft
Nachdem die Initiativen, in denen auch die Mietervereine vertreten sind, mehr als die nötigen 10.000 Unterschriften einreichten, verhandeln sie jetzt mit der Bürgerschaft über einen Kompromiss. Die hochrangig besetzten Gespräche liefen „vernünftig und in angenehmem Umgangston“, sagt Initiativensprecher Bernd Vetter. Sollten sie scheitern, müssten 65.000 Unterschriften in einem Volksbegehren zusammenkommen, danach käme es zum Volksentscheid – eine Horrorvorstellung für Wohnungsbauunternehmen, aber auch für den Senat.
Der Chef des Mietervereins zu Hamburg, Siegmund Chychla, fordert daher ein Einlenken der Wohnungsbauer in den Bündnisverhandlungen. Der Senat müsse „verständlich machen, dass Erbbaurechte kein Teufelszeug sind, sondern ein erprobtes Instrument der Stadtentwicklung seit den 1920er-Jahren“.
Nachfrage nach Büroimmobilien in Hamburg gesunken
Der Mietervereinschef sieht die Position der Stadt dabei durch zwei Faktoren gestärkt. Erstens sei die Nachfrage nach Büroimmobilien aufgrund von Corona und Homeoffice gesunken – daher könnten Firmen nicht mehr drohen, Büros statt Wohnungen zu bauen, wenn ihre Bedingungen nicht erfüllt würden. Zweitens helfe das neue Baulandmobilisierungsgesetz der Stadt. Dieses ermöglicht ihr, in vielen Gebieten feste Anteile geförderten Wohnungsbaus vorzuschreiben, und es stärkt das Vorkaufsrecht.
Angesichts dieser Gefechtslage dürften die Unternehmen sich am Ende wohl mit dem Gedanken an mehr Erbpacht anfreunden, solange diese erträglich gestaltet wird – und einem neuen Bündnis auch unter veränderten Vorzeichen zustimmen. Denn auch sie haben Interesse an guter Zusammenarbeit und wollen nicht zu chaotischen Verhältnissen kommen, wie sie andernorts herrschen. Sönke Struck, Norddeutschland-Chef des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW), gibt sich denn auch betont optimistisch: „Wir haben intensiv verhandelt, sind auf einem guten Weg und hoffen, zeitnah zu einem Ergebnis zu kommen.“
Wohnungsbau muss Beitrag zum Klimaschutz leisten
Dabei geht es nicht nur um das Thema Grundbesitz. Drei weitere Probleme müssen gelöst werden: Erstens muss der Wohnungsbau einen deutlichen Beitrag zum Klimaschutz erbringen – was ihn teurer macht. Zweitens soll der bisher auf ein Drittel festgelegte Anteil von Sozialwohnungen an Neubauten erhöht werden – was für die Firmen nicht attraktiv ist. Und drittens wird es immer schwieriger, Platz für Wohnungen zu finden: Die einfach zu mobilisierenden Grundstücke sind nach zehn Jahren weg, und das Grün ist weitgehend tabu.
„Wenn wir allen Bevölkerungsgruppen auch künftig ermöglichen wollen, in Hamburg zu wohnen, werden wir beim Bauen in die Dichte und Höhe gehen müssen“, sagt BFW-Chef Struck. Dabei müsse der Wohnungsbau noch forciert werden, meint CDU-Stadtentwicklungspolitikerin Anke Frieling.
Platz böten etwa die Magistralen, also die Ausfallstraßen, an deren Rändern oft Discounter mit riesigen Parkplätzen stehen. Grünen-Stadtentwicklungspolitiker Olaf Duge will drei Punkte im Bündnis verankert sehen: einen auf bis zu 50 Prozent erhöhten Anteil von Sozialwohnungen, energiesparendes Bauen und die vorrangige Anwendung des Erbbaurechts.
Hamburgs Umweltsenator könnte Bündnis platzen lassen
Mithin: Es ist einiges, was von Senatorin Stapelfeldt erwartet wird. Die SPD-Politikerin gibt sich gleichwohl „zuversichtlich“, dass die Gespräche „in den kommenden Wochen“ zu „einem guten Ergebnis führen“. Danach muss nur noch der Mann überzeugt werden, der im bunten Behördenneubau in Wilhelmsburg mit Stapelfeldt Wand an Wand sitzt: Grünen-Umweltsenator Jens Kerstan.
Der hatte schon 2016 gedroht, die Bündnis-Verlängerung platzen zu lassen – weil der „Naturcent“ als Ausgleich für Grünflächen-Bebauung darin zunächst nicht festgeschrieben war. Ähnlich könnte es diesmal laufen, falls es aus grüner Sicht am Klimaschutz hapert.
Mietervereinschef Chychla warnt da schon mal eindringlich vor Chaos. „Eine aus welchen Gründen auch immer ungelöste Frage der Wohnraumversorgung wird zur Spaltung und Radikalisierung der Zivilgesellschaft führen“, so Chychla. „Das will doch keiner haben.“ In Hamburg, so seine Erwartung, habe man noch immer gemeinsam Lösungen gefunden. Das werde sicher auch diesmal so sein.