Hamburg. BUND hält 10.000 neue Wohnungen pro Jahr für “verantwortungslos“ – Senatorin widerspricht und verweist auf das “Hamburger Maß“.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat vom Hamburger Senat ein Umsteuern beim Thema Wohnungsbau gefordert. Es sei „verantwortungslos“, weiter pauschal 10.000 neue Wohnungen pro Jahr zu genehmigen. „Natur- und Artenschutz dürfen nicht länger der Bauwut untergeordnet werden“, sagte die neue BUND-Vorsitzende Christiane Blömeke am Donnerstag. Klimaschutz, Artenvielfalt und die Lebensqualität bräuchten Grünflächen. Parks allein genügten dafür nicht.

Hintergrund der Forderung sind die Verhandlungen über eine Neuauflage des Bündnisses für das Wohnen, die derzeit von Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) geführt werden. Mit dem erstmals 2011 geschlossenen Abkommen haben Senat, Wohnungswirtschaft und Mietervereine dafür gesorgt, dass jedes Jahr zunächst die Voraussetzungen für den Bau von 6000 und zuletzt 10.000 neuen Wohnungen geschaffen wurden. So ist es gelungen, den Mietenanstieg zu bremsen.

Wohnungsbau: Hamburger Naturschützer fordern Netto-Null-Prinzip

Laut BUND werden durch Wohnungsbau und neues Gewerbe alle zwei Jahren Flächen von der Größe der Außenalster neu versiegelt. Die Naturschützer fordern eine Aussetzung der Neubaugenehmigungen im frei finanzierten Wohnungsbau. Es seien seit 2011 bereits 106.000 Wohnungen genehmigt, aber erst 70.000 gebaut worden. Es müssten zunächst die bereits genehmigten errichtet werden. Bei weiteren Genehmigungen solle ein „Netto-Null-Prinzip“ gelten.

Danach müssen bei Bebauung von Freiflächen andernorts Areale entsiegelt werden. Nur so sei ein grünes, attraktives Hamburg zu sichern. Außerdem fehle „eine planerische Gesamtsteuerung der Stadt, da der Flächennutzungsplan aus 1997 völlig veraltet sei“, so die Naturschützer. Auch müsse man auf Modelle setzen, die weniger Fläche verbrauchten. Während in Deutschland jeder Mensch im Durchschnitt 47 Quadratmeter Wohnfläche nutze, gebe es etwa in Zürich Projekte, bei denen dies nur 35 Quadratmeter seien.

SPD: Ein Stopp beim Wohnungsbau wäre absolut fahrlässig

Die Forderung löste am Donnerstag eine politische Debatte aus. „Die Naturqualität in Hamburg wird in den nächsten Jahren auch mit Wohnungsbau verbessert werden. Für uns ist klar: Wohnungsbau und Grünerhalt müssen zusammen gedacht werden“, sagte SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. „Sowohl Hamburgs Wohnungsbaupolitik als auch unsere Bodenpolitik sind sozial gerecht. Ein Stopp beim Wohnungsbau wäre absolut fahrlässig. Beide Aufgaben, Wohnungsbau und Naturschutz, müssen für zukünftige Generationen gemeinsam und nicht gegeneinander gelöst werden.“

Grünen-Fraktionschef Dominik Lorenzen sagte: „Wir haben im Koalitionsvertrag mit der SPD vereinbart, den Wohnungsbau weiter voranzutreiben und in Richtung sozialen Wohnraums zu verschieben. Dabei haben wir uns auf klimagerechtes Bauen festgelegt, wozu selbstverständlich auch die Bekämpfung von Flächenverbrauch gehört. Flächeneffizienz ist daher ein eigener Abschnitt im Vertrag. Insofern stehen wir zu den Zielmarken des Koalitionsvertrags und dazu, diese Ziele miteinander in Einklang zu bringen."

CDU empört: Hamburg fehlt es immer noch an Wohnungen

Widerspruch kam aus der CDU. „Die Forderungen des BUND sind völlig unverantwortlich“, sagte deren Stadtentwicklungsexpertin Anke Frieling. „Noch immer fehlt es in Hamburg an Wohnungen und der BUND will den Wohnungsbau am liebsten gleich ganz aussetzen, auf jeden Fall aber stark verlangsamen. Die unmittelbare Folge von Wohnraumverknappung ist ein Preisanstieg für alle Mieterinnen und Mieter – das scheint dem BUND egal zu sein.“

Lesen Sie auch:

Statt das Ziel von 10.000 Wohnbaugenehmigungen im Jahr abzusenken, solle die Politik dieses Ziel besser noch steigern, um den Druck vom Wohnungsmarkt zu nehmen, so Frieling. „Hamburg soll eine grüne Stadt bleiben und deshalb setzt sich auch die CDU-Fraktion dafür ein, eine Versiegelung wertvoller Naturflächen zu verhindern, aber mit innovativen und kreativen Lösungen und intelligenter Nachverdichtung. Und dafür brauchen wir insbesondere auch die Wohnungsbaugenossenschaften, die privaten Investoren und den freifinanzierten Wohnungsbau. Was wir nicht brauchen, ist ein BUND, der Klimaschutz und Stadtentwicklung als einen Gegensatz aufbaut. Wir setzten stattdessen auf das Miteinander.“

Linken-Fraktion begrüßt Vorstoß des BUND

Linken-Stadtentwicklungspolitikerin Heike Sudmann dagegen begrüßte den Vorstoß der Naturschützer. „Der BUND trifft genau die wunden Punkte: zu viel teure und zu große Wohnungen werden auf zu viel Fläche in Hamburg gebaut“, sagte Sudmann. „Kleingärten wie am Diekmoor oder die ‚grüne Wiese‘ wie in Oberbillwerder sind kein Bauerwartungsland, sondern für Klima und Mensch notwendige Grün- und Erholungsflächen. Der Senat weigert sich dickköpfig, bereits versiegelte Flächen für den Bau von zigtausend Wohnungen zu nutzen."

Das Gelände der Hamburg-Messe oder große Teile der Führungsakademie in Blankenese schrien geradezu nach einer Umnutzung. Das Bündnis für das Wohnen stehe bisher „nicht für die notwendige Stadtentwicklung, sondern sichert vor allem vielen, nicht gemeinwohlorientierten Unternehmen Profite mit Boden und Miete“, so Sudmann.

Senatorin erteilt BUND eine Absage

Am Nachmittag erteile Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) der Forderung eine Absage. „Gezielter, stetiger Wohnungsneubau ist ein wichtiges und wirksames Instrument, um genügend bezahlbaren Wohnraum für alle Hamburgerinnen und Hamburger zu schaffen“, sagte Stapelfeldt dem Abendblatt. „Damit begegnen wir der hohen Nachfrage auf einem angespannten Wohnungsmarkt. Gleichzeitig hat der verstärkte Wohnungsbau in Hamburg den Anstieg der Mieten insgesamt deutlich gebremst. Diesen Erfolg wollen wir nicht aufs Spiel setzen.“

Der Senat halte deshalb an der Maßgabe fest, mindestens 10.000 Wohnungen pro Jahr mit Baugenehmigungen auf den Weg zu bringen. „Der Bedarf ist weiterhin sehr groß“, so Stapelfeldt. „Nach aktuellen Prognosen wird die Bevölkerung Hamburgs bis 2035 um knapp 150.000 Personen auf über zwei Millionen Menschen anwachsen.“

Allerdings sei „ein möglichst geringer Flächenverbrauch seit langem Maßgabe unserer Politik“, so die Senatorin. „Wir setzen auf den Vorrang der Innenentwicklung und arbeiten zum Beispiel aktuell am Masterplan Magistralen, um dort gezielt weitere Entwicklungspotenziale für Wohnen, Arbeiten und Grünflächen zu heben. Mit dem „Hamburger Maß“ als Leitlinie für eine lebenswerte kompakte Stadt haben wir klare generelle Vorgaben geschaffen, um die begrenzte Ressource Fläche zu schonen.“

BUND fordert "15-Minuten-Stadt"

SPD-Finanzsenator Andreas Dressel hatte zuvor bei Twitter bereits mit deutlichen Worten reagiert. „Nach 10 Jahren nachweislich erfolgreicher Wohnungsbaupolitik in Hamburg beweist der BUND Hamburg wieder einmal, dass er die soziale Stadtentwicklung nicht im Blick hat“, schrieb Dressel. „Baustopp heißt Wohnungsnot.“ Die SPD halte dagegen „weiter Kurs beim Wohnungsbau“.

Der BUND hatte bei seiner Online-Pressekonferenz nicht nur eine Einschränkung des Wohnungsbaus, sondern auch ein grundsätzliches Umsteuern bei der Stadtentwicklung gefordert. So regte er an, Hamburg solle sich ein Beispiel am Pariser Leitbild der 15-Minuten-Stadt nehmen, in der alle wichtigen Funktionen, also auch die Naherholung, in kurzer Distanz erreichbar sein sollen. Kopenhagen wolle bereits bis 2025 klimaneutral sein und Barcelona entwickele sogenannte Superblocks, in denen mehrere Häuserblocks zu nachhaltigen und grünen Quartieren zusammengefasst werden. Hamburgs Stadtentwicklung bleibe dagegen deutlich hinter ihren Möglichkeiten zurück.