Hamburg. Dietrich von Albedyll war lange der Master des Tourismus in der Hansestadt. Der 73-Jährige ist überzeugt: Da geht noch viel mehr!

Er gilt als graue Eminenz des Tourismus in Hamburg, als Motor einer sprunghaften Entwicklung seit den 1990er-Jahren. Viele Meilensteine erfolgreicher Vermarktung im In- und Ausland tragen Dietrich von Albedylls Handschrift. Der 73 Jahre alte Betriebswirt, der in Madrid zur Welt kam und sechs Jahre später mit seinen Eltern nach Hamburg zog, stellte die Weichen für die internationale Magnetwirkung der Hansestadt. Er bevorzugte unkonventionelle Wege. Sein Credo: „Tourismus ist die Schlüsselindustrie des 21. Jahrhunderts.“ In der Hansestadt leben fast 100.000 Menschen davon. Tendenz steigend.

Nach gut zwei Jahrzehnten als Schlüsselakteur des Hamburg-Tourismus wirkt der frühere Lufthansa-Manager aktuell als Selbstständiger für die Unternehmensberatung „Leisureworkgroup“ am Veddeler Bogen. Die Agentur betreibt unter anderem das Auswanderermuseum BallinStadt am Elbufer sowie das Dornier Museum in Friedrichshafen und die ZeitWerkStadt in Sachsen. Den touristischen Aufschwung Hamburgs beobachtet Dietrich von Albedyll aus neutralem Blickwinkel. Fragen an einen, der sich auskennt.

Herr von Albedyll, übertreibt es Hamburg mit der eigenen Selbstbeweihräucherung? Schönste Stadt der Welt zum Beispiel.

Dietrich von Albedyll: Grundsätzlich muss man durchaus positiv über sich selbst sprechen. Mit hanseatischem Under­statement kommt man nicht weit im weltweiten Wettbewerb der Metropolen. Als Marketingmann meine ich: Wir sollten erheblich lauter werden.

Hamburger Hafengeburtstag 2023 – mit Schlepperballett  mit Ballett und Feuerwerk.
Hamburger Hafengeburtstag 2023 – mit Schlepperballett mit Ballett und Feuerwerk. © HA | Marcelo Hernandez / FUNKE Foto Services

Was heißt das?

Mit der Organisationsstruktur und einem professionellen Team ist Hamburg gut aufgestellt. Wir haben eine starke Ausgangslage, um besser zu werden. Die Stadt muss lebendig und interessant bleiben, sich ständig entwickeln, neue Reiseanlässe schaffen. Gefragt sind unkonventionelle Ideen. Du darfst nie stehen bleiben, du musst ständig nach vorne denken.

Sie waren mehr als 20 Jahre Hamburgs Tourismusmaster. Ist aus dieser Position und mit den alten Verbindungen überhaupt ein kritischer Blick möglich?

Ich genieße den Vorteil, völlig unabhängig zu sein. Hamburg muss in der Außendarstellung erheblich forscher auftreten. HafenCity und Elbphilharmonie sind ganz wunderbar. Jedoch vermisse ich zum Beispiel architektonische Leuchttürme. Wir brauchen viel mehr Mut in der Architektur.

International nimmt Hamburg keine große Rolle ein. Berlin, München, Köln liegen im Bekanntheitsgrad vorn.
Dietrich von Albedyll - Tourismus-Experte

Helmut Schmidt stufte seine Heimatstadt einst als schlafende Schönheit ein. Hat er recht?

Dieser Spruch war gut, gehört aber der Vergangenheit an. Die vier Bausteine Gastronomie, Kultur, Hotellerie und Einzelhandel haben sich toll entwickelt. Aktuell ist Hamburg eine pulsierende Schöne.

Hand aufs hanseatische Herz: Sind wir auf einem guten Weg?

Hamburg hat Gas gegeben und mächtig aufgeholt. Beispielsweise München gegenüber. Bayerns Metropole war früher meilenweit voraus. Dieser Vorsprung ist geschmolzen. Nach den Olympischen Spielen 1972 hat man sich in München allerdings zurückgelehnt. Erfolg macht müde. Dennoch kann Hamburg noch viel mehr. In München und Frankfurt reist die Hälfte der Besucher aus dem Ausland an. Bei uns sind es lediglich 23 Prozent. Hier fehlen internationale Fluganbindungen. Unser Ziel muss es sein, Internationalität zu steigern. Das Potenzial ist vorhanden.

In welcher Liga spielt Hamburg weltweit?

Ehrlich gesagt: Wir spielen in keiner Liga. Wir sagen und hören es zwar gerne, aber international nimmt Hamburg keine große Rolle ein. Berlin, München, Köln liegen im Bekanntheitsgrad vorn.

Abendblatt-Reporter Jens Meyer-Odewald und Dietrich von Albedyll während des Interviews im Hotel Vier Jahreszeiten. Mehr als 20 Jahre war er langjähriger Geschäftsführer der Hamburg Tourismus GmbH (HHT) und der Hamburg Marketing GmbH. Noch heute ist er als Berater in der Branche tätig.
Abendblatt-Reporter Jens Meyer-Odewald und Dietrich von Albedyll während des Interviews im Hotel Vier Jahreszeiten. Mehr als 20 Jahre war er langjähriger Geschäftsführer der Hamburg Tourismus GmbH (HHT) und der Hamburg Marketing GmbH. Noch heute ist er als Berater in der Branche tätig. © FUNKE Foto Services | Marcelo Hernandez

Denkt man in Übersee bei Hamburgern doch eher an Bratklopse?

Wenn man das Image unserer Stadt weltweit abfragt, nehmen Merkmale wie Hafen, St. Pauli und Reeperbahn die ersten Plätze ein. Diese Stärken müssen intensiver genutzt werden. Es ist folgerichtig, St. Pauli in die Werbung aufzunehmen – und nicht nur auf vornehm zu machen.

Mit welchen Pfunden lässt sich denn wuchern?

Wichtig ist es, die Stadt realistisch zu präsentieren und kein künstliches Gebilde zu bewerben. Das haben wir gar nicht nötig. Ich bin sicher, dass es reichlich Luft nach oben gibt. Aktuell zählen wir etwa 15 bis 16 Millionen Besucher im Jahr. 20 bis 25 Millionen sollten erreichbar sein. Und zwar ohne Konfrontation mit den Bürgern. Wir sind nicht Venedig oder Dubrovnik. In Hamburg quillt das Zentrum nicht über mit Touristenmassen. Unsere Pluspunkte sind die vielen attraktiven Stadtteile. Blankenese, Eppendorf, Wilhelmsburg zum Beispiel.

Die Ausstellung zum Jubiläum

Zum 125. Geburtstag des Tourismusverbandes Hamburg e.V. wurde eine große, informative Ausstrellung erstellt: Die Ausstellung beginnt thematisch Ende des vorletzten Jahrhunderts mit den Auswirkungen der Cholera-Epidemie auf den Tourismus in der Stadt und beleuchtet unterschiedliche Epochen wie beispielsweise die Zeit der beiden Weltkriege, die Weimarer Republik und den Wiederaufbau in den 50er- und 60er-Jahren.

Ein Schwerpunkt liegt auf der Zeit von der Wiedervereinigung bis zur Jahrtausendwende. In dieser Zeit nahm der Tourismus Schwung auf und konnte an alte Erfolge anknüpfen. Die Ausstellung zeigt, wie Hamburg in allen Jahrzehnten eng mit dem Tourismus verbunden war und dass in allen Zeiten die Bevölkerung von den Gästen der Stadt profitierte.

Zeitraum und Ausstellungsorte: Bis zum 18. März 2024 ist die Ausstellung in der Rathausdiele des Hamburger Rathauses zu sehen. Adresse: Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg

Vom 19. März bis Ende April wird die Ausstellung im Weinkeller des Mahnmals St. Nikolai gezeigt. Adresse: Willy-Brandt-Straße 60, 20457 Hamburg

Was ist zu tun?

Die Internationalität der Dienstleister muss gesteigert werden. Hamburg ist in diesem Bereich noch sehr deutsch. Wir brauchen ein anderes, weltoffeneres Denken. Wenn Asiaten zu einer Tour wie „Europa in fünf Tagen“ starten, steht Hamburg in der Regel nicht auf der Liste. Bayern und München haben ein weit stärkeres Echo, viel mehr Wucht. Hamburg alleine kann nicht dagegenhalten. Wir sollten uns Verbündete suchen.

Bremen?

In der Tat brauchen wir eine engere Zusammenarbeit im norddeutschen Raum. Und wir müssen weiterdenken, nicht kleinkariert, im Prinzip grenzenlos. Wir dürfen nicht an den Landesgrenzen stoppen. Hamburg braucht den Schulterschluss mit anderen nordeuropäischen Schwergewichten: Amsterdam, Kopen­hagen und Riga. Etwa in diesem Sinn: Kopenhagen ist eine Sehenswürdigkeit von Hamburg – und umgekehrt. Im weltweiten Maßstab ist es ein Katzensprung zwischen beiden Metropolen. Im Verbund ist die Magnetwirkung von Hamburg größer.

Magazin „Faszination Hamburg“

Das neue Abendblatt-Magazin „Faszination Hamburg“ ist eine 108 Seiten starke Hommage an die Hansestadt. Mit „Faszination Hamburg“ erhalten Sie einen tieferen Einblick in die bewegende Geschichte des Tourismus in der Hansestadt, angereichert durch eine Auswahl historischer Werbeprospekte, die die Entwicklung Hamburgs zu einem weltweit renommierten Reiseziel eindrucksvoll dokumentieren.

Das Magazin präsentiert unter anderem 50 spezielle Orte, die in einem herkömmlichen Reiseführer oft unerwähnt bleiben. Diese handverlesenen Geheimtipps versprechen, selbst eingefleischten Hamburgern neue Seiten ihrer Stadt zu zeigen.

Abgerundet durch wohl recherchierte Fakten über Hamburg, atemberaubende Fotos und spannende Berichte über die Parks und das grüne Umland, ist dieses Magazin Ihr Schlüssel zu einem noch unentdeckten Hamburg.

Das 108-seitige Magazin ist im gut sortierten Zeitschriftenhandel, in der Geschäftsstelle des Hamburger Abendblatts sowie online unter www.abendblatt.de/magazine erhältlich. Das Magazin kostet 9,90 Euro. Treuepreis für Abonnenten (Kauf beim Abendblatt) 8 Euro.

Richtig in Schwung kam Hamburgs Tourismuswerbung erst, als sie unabhängig organisiert wurde – außerhalb staatlicher Dienststellen.

Stadtmarketing im heutigen Sinne war damals ja gar nicht bekannt. Der Name „Tourismusamt“ sagte alles. Eingeleitet wurde die Wende 1989 mit der Zusammenführung der Hamburg-Information und der Fremdenverkehrszentrale zur Tourismus-Zentrale Hamburg GmbH. Durch eine Eigenfinanzierungsquote von 80 Prozent waren wir bald in der Lage, unabhängig und zielgerichtet arbeiten zu können. Wie ein privat geführtes Unternehmen.

Die Lombard Lamp aus Hamburg steht bis heute am Central Park in Manhattan. Die Lampe aus Hamburg wurde 1979 als Werbemaßnahme für die Hansestadt in New York und anderen amerikanischen Städten aufgestellt.
Die Lombard Lamp aus Hamburg steht bis heute am Central Park in Manhattan. Die Lampe aus Hamburg wurde 1979 als Werbemaßnahme für die Hansestadt in New York und anderen amerikanischen Städten aufgestellt. © HA | HA

Beispiele?

1990 führte Hamburg als erste deutsche Stadt eine Citykarte ein – nach Kopenhagener Vorbild. 1994 fand erstmals ein Tag der offenen Tür der Hamburger Hotellerie statt. Von 1996 an wurden Auslandsrepräsentanzen in Stockholm und St. Petersburg eröffnet. 2003 starteten wir ein Büro in China. 2008 wurde der Tourismuspool für Arabien ins Leben gerufen.

Was sind denn unsere attraktivsten Ver­lockungen für auswärtige Gäste? Elbphilharmonie, Musicals, HSV? Oder sind es doch eher die Reeperbahn, ihre Clubs und der FC St. Pauli?

Insgesamt sind das zusammen Hamburgs Stärken. Tatsächlich hat sich die Hansestadt mittlerweile auch zu einer führenden Kulturstadt entwickelt. Dennoch ist und bleiben der Hafen und das maritime Image Reiseanlass Nummer eins. Entsprechend sollte gedacht und geplant werden.

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Machen Sie doch hier im Gespräch bitte mal den Anfang ...

Meine persönliche Idee ist eine andere Inszenierung des Hafens. Da geht noch so viel mehr. Wir können den klassischen Hafen beispielsweise um einen „trockenen Hafen“ erweitern. Stichwort Airbus. Wir können die Menschen einladen, durch diese Hafenwelt zu gehen. Sie könnten die Entstehung eines Schiffes oder eines Flugzeuges erleben. Gefragt sind intelligente Konzepte, die Region südlich der Elbe anfassbar, begreif­barer zu machen. Wir könnten den Hafen illuminieren. Und eine Seilbahn nicht über die Elbe, sondern durch den Hafen führen.

Was geht denn noch bis 2030 und darüber hinaus?

Ich bin sicher, dass bereits an visionären, praktisch umsetzbaren Lösungen ge­arbeitet wird. Bei allem Gestaltungswillen und Mut darf Hamburg das Tempo nicht überdrehen. Traditionen müssen bewahrt werden. Die Stadt muss glaubwürdig und ehrlich bleiben. Hokuspokus passt nicht zu Hamburg.