Hamburg. WES Landschaftsarchitektur aus Winterhude gestaltet weltweit freie Flächen. Für Hamburg haben die Experten besondere Pläne.
Es soll Menschen geben, die bezweifeln, dass Hamburg Plätze gestalten kann. Hamburger galten als Stubenhocker. Viele Freiluftflächen blieben lange fahl, kaum genutzt, unentdeckt. Selbst grandiose Plätze wie der Burchardplatz mitten im Weltkulturerbe Kontorhausviertel hatten für Stadtplaner nur eine Funktion: als Parkraum.
Unumstritten ist, dass ein Hamburger Büro Plätze gestalten kann. Seit mittlerweile 54 Jahren setzen die Experten von WES Landschaftsarchitektur Maßstäbe, egal ob am Jungfernstieg, auf dem Berliner Alexanderplatz, in der Autostadt Wolfsburg oder in Shanghai. Seit 1993 arbeitet Michael Kaschke bei WES Landschaftsarchitektur, 2001 wurde der studierte Landespfleger einer der vier geschäftsführenden Gesellschafter.
Hamburger Künstler gründeten Architekturbüro in wilden Zeiten
Die Geburt des Büros fiel in wilde Zeiten – alles begann 1969. In diesem Jahr gründete der Maler und Bildhauer Hinnerk Wehberg mit Gustav Lange das Büro Wehberg-Lange und nahm sich fortan der Gestaltung von Freiräumen an.
„Unsere Altvorderen haben gar nicht Landschaftsarchitektur studiert, sondern kamen über die Kunst, Medien oder Film“, erzählt der Diplom-Ingenieur Kaschke. „Wir waren immer ein bunter Haufen. Diese Vielfalt prägt unser Denken bis heute. Wir wollen immer weit über den Tellerrand hinausschauen.“
Eines der ersten Großprojekte des damals noch kleinen Büros war 1973 die Neugestaltung des Gerhart-Hauptmann-Platzes in der Innenstadt. Bürogründer Wehberg ersann eine geschwungene Landschaft mit sanften Erhebungen, drehbaren Sitzen und Wasserspielen. Der Clou waren die Platanen, die der Freifläche zwischen Karstadt und der früheren Landesbank-Passage eine ruhige, fast südliche Atmosphäre verleihen, ein damals radikaler Bruch mit der Umgebung.
„Als wir das gemacht haben, gab es in der Mönckebergstraße, ja in der Innenstadt keinen einzigen Baum. Deshalb wollten wir Grün schaffen“, erzählt Kaschke. Seit 2019 steht der Platz unter Denkmalschutz. „Das empfinde ich als Adelsschlag.“
WES Landschaftsarchitektur: Alles begann am Gerhart-Hauptmann-Platz in Hamburg
Tatsächlich war Wehberg seiner Zeit um Jahrzehnte voraus. Kaschke hält den Gerhart-Hauptmann-Platz in seinem Kleid von 1973, mit seinen Platanen und dem Wasserspiel, für hochmodern angesichts des Klimawandels. „Sie gewinnen heute keinen Wettbewerb mehr, wenn sie nicht mindestens 15 neue Bäume pflanzen.“
Aber warum ist die Freifläche zwischen Karstadt und der Perle, zwischen Thalia-Theater und Mönckebergstraße heute kein Hotspot? Kaschke, dessen Vater Chefdekorateur bei Karstadt „Mö“ war, sieht die Probleme eher im Umfeld – in leeren Schaufenstern, schwierigen Passagen, toten Nachbarstraßen. „Früher haben die Kaufhäuser Menschen mit Aktionen in die Stadt gelockt. Ich erinnere mich noch an die Zeiten der ‚Süßen Weihnacht‘ oder der Azaleen-Schau mit Hunderten von Pflanzen im Karstadt-Haus.“
Kaschke teilt die Wahrnehmung, dass Hamburg die Kraft seiner Freiflächen erst spät entdeckt hat. „Das war nicht nur in Hamburg so. Außengastronomie war in der Mönckebergstraße lange Zeit gar nicht erlaubt, das kam alles später.“
Hamburg fehlen die klassisch gefassten Plätze
Er sieht die Gründe eher in der Architektur der Stadt: „Wir haben abgesehen vom Gänsemarkt kaum klassisch gefasste Plätze, sondern eher fließende Räume.“ Das sei nicht immer so gewesen. „Der alte Gertrudenkirchhof war ein fantastischer Platz, ebenso der Hopfenmarkt.“ Der Zweite Weltkrieg, aber auch der Straßenbau hätten dann vieles kaputt gemacht.
Nun geht es darum, die Stadt weiter zu heilen. Im Innenstadtkonzept des Senats sind die Plätze entscheidende Punkte – keine Präsentation kommt ohne hübsche Visualisierungen der Zukunft aus. „Uns war klar, dass die Stadt an den Plätzen, wie zum Beispiel dem Hopfenmarkt, ranmuss“, sagt Kaschke. Inzwischen gab es einen Wettbewerb. Da das archäologische Fenster aber noch Zeit benötigt, dürfte eine Umgestaltung bis 2027 auf sich warten lassen.
Auch beim Gertrudenkirchhof benötigen die Hamburger noch etwas Zeit: Bis zur Beendigung der Baustelle am angrenzenden Umspannwerk wächst bis 2025 hier ein temporärer „Grüner Garten“. Als dritten Nukleus der Belebung der City nennt Kaschke den Burchardplatz zwischen Mohlenhof, Sprinkenhof und
Chilehaus. In einem internationalen Wettbewerb hatte sich WES gegen acht Bewerber durchgesetzt.
Warum der Burchardplatz in Hamburg ein steinerner Platz bleiben muss
„So einen Platz im Weltkulturerbe kann man nicht mit Bäumen zupflanzen“, sagt Kaschke „Das geht aus dem geschichtlichen Kontext nicht. Da sind wir im Wettbewerb hart am Wind gesegelt, weil wir noch Bäume entfernt haben. Aber der Burchardplatz ist ein steinerner Platz – und muss es bleiben.“ Die Platanen haben die Planer belassen, hinzu kommen Sitzelemente und Wasserspiele. „Das ist Hamburgs Qualität: Die Stadt hat Bezirke mit unterschiedlichen Qualitäten. Es soll nicht überall gleich sein.“
Am Ende überzeugte die Jury im Herbst 2021 die „bewusste Gestaltung als ,Frei-Raum’, der den historischen Kontext der Umgebung aufgreift und noch verstärkt“. So soll der neue Burchardplatz die Monumentalität des Kontorhausviertels und den Übergang zur HafenCity betonen. „Den Platz bauen wir jetzt im historischen Kontext um“, sagt Kaschke. „In Hamburg passiert gerade einiges.“
Was Paris bei Plätzen Hamburg voraushat
Entscheidender als der Platz seien oft die Ränder: „Schauen Sie nach Paris: Die Plätze brauchen nicht viel. Sie profitieren davon, dass dort viele Menschen in der Innenstadt wohnen und in Straßencafés sitzen. Da hat Hamburg ein Problem.“ Deshalb müsse Hamburg für seine Plätze stets ein spannendes Thema finden. Ein Platz soll aus sich heraus funktionieren. „Das ist schon hohe Kunst.“
Er bricht eine Lanze für die City – und hält manche Kritik für überzogen. „Hamburg baut in einer ungeheuren Qualität mit Naturstein, woanders werden Waschbetonplatten verlegt“, sagt Kaschke. Die Stadt profitiere vom enormen Engagement der Kaufleute. „Das Problem bei uns Menschen ist, dass wir uns so schnell an das Gute gewöhnen.“
Auf den Magellanterrassen hat das Büro WES sein Können gezeigt
Fast durchgängig gelobt werden die Plätze in der HafenCity. Dort hat WES die Magellanterrassen zusammen mit dem Büro Enric Miralles – Benedetta Tagliabue / EMBT aus Barcelona gestaltet. „Bei unserem Wettbewerbsbeitrag wollten wir klassisch wie beim Jungfernstieg mit geraden Linien vorgehen. Die Spanier haben uns dann von der Leichtigkeit des Seins mit geschwungenen Linien überzeugt. Da haben die Hamburger gleich gefragt, wie da jemals ein Schiff anlegen kann.“
Aber ein neuer Stadtteil müsse anders sein und Konventionen brechen. „Da habe ich dazugelernt. Es muss nicht überall gleich aussehen.“ Mit seinen Bodenornamenten, den verkleideten Mauern und Wänden und dem geschwungenen Leuchtelement aus Stahl sieht der Platz verspielter aus als andere in der Stadt.
Wie aber nähert man sich der Aufgabe, eine Freifläche neu zu gestalten? „Unser Büro besteht aus vier Partnern, die sehr unterschiedlich sind. Jeder macht es auf seine Art“, sagt Kaschke, der WES zusammen mit Wolfgang Betz, Henrike Wehberg-Krafft und Claus Rödding führt. „Ich bin ein großer Geschichtsfan und nähere mich darüber. Entscheidend aber ist der Raum. Wir machen das ja nie für uns, sondern für die Bürger.“
Warum der Jungfernstieg in Hamburg eine besondere Herausforderung ist
So sei es auch beim Jungfernstieg gewesen, den WES zusammen mit André Poitiers als Tribüne gebaut hat, von der man auf die Binnenalster blickt. „Wenn da keiner sitzen würde, brächten uns alle Preise nichts. Glücklich sind wir erst, wenn es funktioniert.“ Zuletzt hat sein Büro ein Gutachten zur Binnenalster erstellt: „Welche Stadt hat so eine große Wasserfläche wie die Alster?“, fragt Kaschke.
„Die Binnenalster war immer Kulturraum mit einer harten Kante, die Außenalster Landschaft. Dieser Kontrast macht den Geist des Ortes aus. An dieser Stelle hätte eine Wellenpromenade nicht funktioniert.“ Der 60-Jährige betont: „Die Ruhe, die die Binnenalster ausstrahlt, sollte man erhalten!“
Seit 25 Jahren ist das Winterhuder Büro in China aktiv, hat den Bund Süd, die Promenade in der Altstadt von Shanghai, gestaltet. „Das liegt an GMP – wir sind seit Gründung mit von Gerkan, Marg und Partner befreundet.“ Schon beim ersten gemeinsamen Projekt, der Deutschen Schule in Peking, gingen die Hamburger Büros Hand in Hand an die Arbeit. China fasziniert Kaschke bis heute. „Projekte in dieser Größenordnung gibt es gar nicht mehr in Europa.“
Einer der faszinierendsten Aufträge führte WES nach China
Die Promenade in Shanghai zu gestalten, sei einer der faszinierendsten Aufträge gewesen, eine Ehre. „Ich habe die Chinesen schätzen gelernt und einen hohen Respekt vor ihrer Kultur. Es ist eine Riesenleistung, wie rasant sich diese Stadt in 20 Jahren verändert hat.“ Manchmal sei er traurig über die westliche Presse, die das Negative über China herausstelle. Allerdings konstatiert Kaschke auch: „Es wird schwieriger, an Projekte zu kommen. Die Bezahlung wird schwieriger. Es ist wie überall in der Welt: America first! China first!“ Er bedauert die Entfremdung: „Ich habe China und auch viele chinesischen Kollegen liebgewonnen. Ich will da nicht loslassen.“
Vom Gelben Meer an die Nordsee: Nominiert für den Landschaftsarchitekturpreis 2023 ist das Büro aus der Jarrestadt für seine Nationalparkpromenade in Norden, einen Landschaftsgarten zwischen Düne und Meer, zugleich Park und Strand. „Das war ein Projekt unseres leider verstorbenen Partners Peter Schatz. Es war sein Entwurf, so mit der Natur zu arbeiten und etwas ganz anderes zu schaffen. Da muss man eine gewisse Genetik für das Wattenmeer mitbringen.“
Mit Wasser hat sich das Büro auch auf der Elbinsel Kaltehofe auseinandergesetzt und Industriedenkmal mit Naturpark kombiniert – und damit einen echten Geheimtipp in der Stadt geschaffen: „Die alten Filterbecken in dieser Ruhe, in dieser Großzügigkeit so weiterzuentwickeln, das ist meinem Partner Wolfgang Betz fantastisch gelungen.“
Hamburgs großes Plus ist die Tradition der Höfe und Passagen
Zum Gelingen bringen muss WES nun ein Projekt, das sich in den vergangenen Jahrzehnten in Hamburg schwertat – die Gänsemarktpassage, die nun als Lessinghöfe neu entstehen soll. „Hamburg ist stolz darauf, die Stadt mit den meisten Passagen zu sein. Aber die Gänsemarkt-Passage hat trotz des wunderbaren Durchstichs zu den Colonnaden nie so recht funktioniert. Trotzdem haben wir dafür gekämpft, nun wenigstens die Höfe hier zu erhalten“, erzählt Kaschke.
Sie seien zwar nicht groß, aber würden besonders gestaltet. „Viele Ausländer sind überrascht und begeistert von unserer Hofkultur“, sagt Kaschke. Der Gastronomie komme in den Lessinghöfen eine zentrale Aufgabe zu. „Das wird einer der Gründe, weswegen man dahin geht. Wenn die Menschen einkaufen, möchten sie einen schönen Ort zum Hinsetzen und Entspannen. Das belebt die Plätze.“
- Dirk Heubel: So baut man ohne Heizung, Kühlung und Lüftung
- Tishman Speyer: Eine neue Markthalle am Michel
- Ferdinand Spies: Nur Schönes ist wirklich nachhaltig
Gastronomie sei eine einfache Lösung. „Sonst müssen wir Landschaftsarchitekten etwas erfinden. Wie das geht, zeigen die Fünf Höfe in München mit teuerster Kunst und hängendem Grün.“
Kaschke warnt davor, eine gewisse Leere auf Hamburgs Plätzen gleich als Makel zu betrachten: „Das müssen wir aushalten: Wegen des Internethandels wird in der City weniger eingekauft, viele bleiben im Homeoffice, und zu wenige Menschen leben in der Innenstadt. Da bleiben Plätze wie der Gänsemarkt auch einmal leer. Das bedeutet aber nicht, dass diese Plätze nicht schön sind!“