Hamburg. Im Podcast „Entscheider treffen Haider“ ist Foodwatch-Gründer Thilo Bode zu Gast. E spricht über Konsum, Politik und den Bioboom.

Hat man als Verbraucherin oder Verbraucher Einfluss auf die Qualität der Lebensmittel, die in Supermärkten angeboten werden? Nein, sagt Thilo Bode. Der Gründer der Organisation Foodwatch hat für sein neues Buch „Der Supermarkt-Kompass“ die wichtigsten Lebensmittel nach verschiedenen Kriterien durchleuchtet und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen.

In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht Bode über die Politik, die beim Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher versage, über die Lüge vom Bioboom und weggeworfene Lebensmittel sowie über den Preis, der am Ende das Einzige sei, woran man sich orientieren könne.

Das sagt Thilo Bode über …

… den Supermarkt-Käufer, der keine Wahlfreiheit hat:

„Die These, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher selbst schuld daran sind, was in den Regalen der Supermärkte steht, regt mich seit 20 Jahren auf. Deshalb habe ich 17 Lebensmittelgruppen sehr genau für mein Buch untersucht. Ich wollte auch wissen, warum in Umfragen 80 Prozent der Leute sagen, dass sie nicht mit Vertrauen in den Supermarkt gehen. Das Resultat meiner Recherchen ist: Der Käufer kann seine Wahlfreiheit nicht ausüben, er hat keinen Einfluss auf das Sortiment, und die Informationen, die er über Lebensmittel bekommt, sind entweder falsch, unvollständig oder irreführend. Julia­ Klöckner hat als Landwirtschafts­ministerin einmal eine Broschüre mit der Überschrift „Du entscheidest!“ herausgegeben, die suggerieren sollte, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher den Lebensmittelmarkt mit ihren Kaufentscheidungen lenken könnten. Mit dieser Legende wollte ich aufräumen.“

… den Lebensmittel-Markt, der schlechter reguliert sei als der Finanzmarkt:

„Die Konzentration der Lebensmittel­einzelhändler ist ein großes Problem. Edeka, Rewe, Lidl und Aldi machen inzwischen 85 Prozent des Marktes aus und haben viele mittelständische Hersteller und Einzelhändler verdrängt. Aber alles, was die vier großen Konzerne machen, entspricht den geltenden Gesetzen, sie verhalten sich genauso, wie es vorgeschrieben ist. Der Lebensmittelmarkt ist nicht unreguliert, es gibt 700 Gesetze und Ausführungen auf Hunderttausenden Seiten, die Olivenöl-Verordnung allein ist 128 Seiten lang und dazu kaum verständlich. Meine entscheidende Erkenntnis ist, dass die Gesetze geändert werden müssen, und zwar so, dass Täuschungen nicht möglich sind und vorsorgender Gesundheitsschutz gewährleistet wird. Die Menschen sollen wissen, dass sie keine echte Qualitätsauswahl im Supermarkt haben, dass sie getäuscht werden und zum Teil ihre Gesundheit gefährdet wird, weil die Politik diesen Bereich vernachlässigt.“

Entscheider treffen Haider mit Lars Haider Hamburger Abendblatt Podcast Logo Key Visual Cover Stand Juli 2020
Entscheider treffen Haider mit Lars Haider Hamburger Abendblatt Podcast Logo Key Visual Cover Stand Juli 2020 © Hamburger Abendblatt | Hamburger Abendblatt

… den Staat, der sich nicht mit der Lebensmittelindustrie anlegen will:

„Unter dem Schock der BSE-Krise hat die Europäische Union 2001 ein übergeordnetes Lebensmittelrecht („Basisverordnung“) verabschiedet, das nur wenige Seiten hat und sich für mich wie ein Krimi liest. Da steht eigentlich alles drin, was wichtig ist. Das Gesetz ist stark präventiv ausgerichtet und setzt vor allem auf Transparenz. Leider entsprechen die nachgeordneten gesetzlichen Regelungen, zum Beispiel Verordnungen über Zusatzstoffe und Aromen sowie Produkte wie Honig- und Getränkeverordnungen, diesem übergeordneten Recht nicht. Deshalb können Verbraucher und Verbraucherinnen auch nicht feststellen, wie gut oder schlecht ein Lebensmittel für sie ist. Der Staat reagiert nicht darauf, weil er sich nicht mit der Lebensmittelindustrie anlegen will, die Verbraucher merken es nicht und können dagegen auch nicht gerichtlich vorgehen.

Das ist das eigentliche Problem: Es liegt ein Staatsversagen vor. Bei Lebensmitteln handelt es sich um sogenannte Vertrauensgüter, bei denen der Staat die Pflicht hat, Transparenz gesetzlich zu verordnen, und das hat er nicht gemacht. Ich habe einmal bei einer Backstation in einem Edeka-Markt nachgefragt, was eigentlich genau in den Laugenbrezeln ist, die ich mir dort kaufen wollte. Ich bekam dann eine kaum lesbare Liste mit folgenden Angaben: Weizenmehl, Trinkwasser, Hefe, pflanzliches Öl: Raps; Speisesalz, Malzmehl, Weizenkleber, Emulgatoren: Mono- und Diacetylweinsäureester von Mono- und Diglyceriden von Speisefettsäuren; Säureregulatoren: Natriumhydroxid, Calciumcarbonat; Stabilisator: Xanthan, Mehlbehandlungsmittel: Ascorbinsäure, Enzyme (Hydrolasen, Trans­ferasen). Werde ich daraus schlau, kann ich das beurteilen? Brötchen insgesamt sind oft reine Chemie-Cocktails.“

Fragebogen: Das Kind, das Förster werden wollte

  • Was wollten Sie als Kind werden und warum? Förster. Ich ging gerne in den Wald.
  • Was war der beste Rat Ihrer Eltern? Den habe ich sicher nicht befolgt.
  • Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild? Alle, die gerade sind und für ihre Sache stehen.
  • Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt? Eher verträumt, Potenziale nicht ausnutzend.
  • Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute ausüben? 1989.
  • Wer waren Ihre wichtigsten Förderer? Menschen, die mir persönlich vertraut haben.
  • Auf wen hören Sie? Auf Menschen, die mich kritisieren.
  • Wie wichtig war/ist Ihnen Geld? Ich gehe sehr locker damit um.
  • Duzen oder siezen Sie? Siezen.
  • Was sind Ihre größten Stärken? Hartnäckigkeit.
  • Was sind Ihre größten Schwächen? Menschenkenntnis.
  • Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht? Ich mache jeden Tag Fehler.
  • Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen? Mein Bauchgefühl.
  • Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche? Das ändert sich von Woche zu Woche.
  • Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)? Zu wenig.
  • Wie gehen Sie mit Stress um? Da könnte ich mich verbessern.
  • Wie kommunizieren Sie? Am liebsten von Person zu Person.
  • Wie viel Zeit verbringen Sie an Ihrem Schreibtisch? Unterschiedlich.
  • Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das? Fehlerfreundliches Risiko eingehen.
  • Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?Das würde hier den Platz sprengen.

… den Bioboom, der eine Biolüge ist:

„Der Vorteil von Bio liegt in der landwirtschaftlichen Produktion, weil dort weder Pestizide noch Mineraldünger eingesetzt und damit wesentliche Umweltschäden vermieden werden. Aber generell kann man nicht sagen, dass Biolebensmittel ökologischer sind, Täuschung vermeiden oder vorsorglich die Gesundheit schützen. Grundwasserausbeutung in wasserarmen Gebieten, Klimagase aus der Tierhaltung oder Energieverbrauch durch lange Transportwege sind keine Biokriterien.

Lebensmittel liegen in einem Einkaufswagen.
Lebensmittel liegen in einem Einkaufswagen. © Fabian Sommer/dpa/Symbolbild

Dazu kommt, dass die Standards der Anbauverbände­ sehr unterschiedlich sind. Gegenwärtig hat der Anteil an Biopodukten am deutschen Lebensmittelmarkt gerade sieben Prozent erreicht, bei Fleisch sind es ein bis drei Prozent. Soll heißen: Den vermeintlichen Bioboom gibt es nicht, auch 21 Jahre nach Ein­führung der ersten Biosiegel. Der Bioboom ist eine Biolüge. Ähnlich ist es bei veganen Produkten. Auch das sind Nischen.“

… den Fleischverzehr der Deutschen:

„Die Deutschen essen im Schnitt mehr als 1000 Gramm Fleisch pro Woche, empfohlen werden 300 bis maximal 600 Gramm. Selbst wenn man Biofleisch kauft, kann man nicht sicher sein, dass das Fleisch von gesunden Tieren stammt, die keine schmerzhaften Krankheiten erleiden. Das liegt daran, dass ein effektiver Gesundheitsschutz bei der Tierhaltung nicht staatlich vorgeschrieben ist, was für mich ein Skandal ist. Es ist für die Erzeuger viel billiger, Tiere krank werden oder sterben zu lassen, als die Kosten für den Tierarzt zu bezahlen. Allein in Bayern verenden bei der Fleischproduktion jedes Jahr eine Million Schweine, eine Zahl, die ich selbst nicht glauben konnte und die mich entsetzt hat. Dabei steht in den Europäischen Verträgen, dass Tiere fühlende Wesen sind.“

… Lebensmittel, die weggeworfen werden:

„Es werden in Deutschland zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeschmissen. Diese zwölf Millionen Tonnen stehen für 38 Millionen Tonnen Treibhausgase, das sind vier Prozent der Emissionen insgesamt in Deutschland. Die eine Hälfte der weggeworfenen Lebensmittel entfällt auf den Handel, weil zum Beispiel nur Rüben in die Regale kommen, die nicht krumm sind, oder Paprikaschoten, die schön glänzen, für die andere Hälfte sind die privaten Haushalte verantwortlich. Weltweit wird etwa ein Drittel der Lebensmittel auf diese Art und Weise verschwendet. Deshalb schreibe ich auch nicht über Welthunger. Wir hätten genug zu essen für zehn Milliarden Menschen, wir schmeißen nur viel zu viel weg.“

… die Preise für Lebensmittel und seine Kaufempfehlung:

„Es ist praktisch nicht bestimmbar, ob der Preis in irgendeinem Zusammenhang zu der Qualität eines Lebensmittels steht. Auf Deutsch: Teure Lebensmittel sind nicht unbedingt gut, und billige Lebensmittel sind nicht unbedingt schlecht. Wenn sie vor einem Regal mit 15 Oliven­ölen stehen, die alle die höchste Gütestufe „native extra“ haben, können sie nicht verstehen, warum es große Preisunterschiede gibt. Deshalb ist es nur rational, wenn man dann das günstigste Öl nimmt. Ich empfehle: Wenn man die Qualität eines Lebensmittels nicht sicher bestimmen kann, sollte man immer bei einem Discounter einkaufen. Das klingt für den Gründer von Foodwatch gewöhnungsbedürftig, aber das meine ich genau so, gerade im Moment. Wenn man in einer Phase steigender Preise nicht weiß, welche Funktion diese Preise haben, hat der Staat versagt. Und die Ampel-Koalition hat das Problem der täglichen Täuschung beim Lebensmittelkauf nicht einmal in ihrem Koalitionsvertrag. Nach dem Motto, wenn ich ein Problem nicht erwähne, existiert es nicht.“

… die Frage, wie er selbst einkauft:

„Ich kaufe genauso ein wie der Durchschnittsdeutsche, der, wenn man den Statistiken glaubt, eigentlich immer wieder zu den gleichen Produkten greift. Ich selbst bin relativ genügsam, ich lege auf Brot sehr viel Wert, esse wenig Fleisch und kann mir Biogemüse leisten, obwohl das Biogemüse nicht besser schmeckt als normales Gemüse. Dafür ist es frei von Pestiziden. Ich habe nach wie vor Spaß am Essen im vollen Bewusstsein über die Defizite des Lebensmittelmarktes, aber ich betrachte mich auch selbst als Opfer. Deshalb habe ich unter anderem das Buch geschrieben.“

… Ernährungsarmut:

„Ich bin davon überzeugt, dass der Anstieg der Lebensmittelpreise weitergehen wird. Deshalb wird es zu etwas kommen, was man Ernährungsarmut nennt, und diese muss durch eine effektive Sozial­politik abgefedert werden. Die Entlastungspakete der Bundesregierung sind nur temporär, weil man denkt, dass die Preissteigerungen nur vorübergehend sind. Doch das ist eine große Illusion. Und wenn ich von Ernährungsarmut spreche, meine ich damit nicht, dass Menschen zu wenig Kalorien zu sich nehmen, sondern, dass sie sich nicht mehr eine gesunde Ernährung leisten können – mit dramatischen Folgen für ihre Gesundheit und die öffentlichen Gesundheitssysteme.“