Hamburg. Wie eine junge Hamburgerin fünf Wochen lang bei minus 45 Grad auf Skiern durch die Antarktis wandern will. Die Reise birgt Risiken.
Die 22-jährige Hamburgerin wirkt aufgeregt, ja vielleicht sogar ein wenig schüchtern auf den ersten Blick. Doch im Gespräch wird schnell klar, wie viel Mut in ihr steckt – und dass man sie auf keinen Fall unterschätzen sollte: Lilith van Amerongen möchte alleine zum Südpol reisen, bei Temperaturen von bis zu -45 Grad, in fünf Wochen. Damit wäre sie die jüngste Person, die jemals eine solche Expedition wagt – und zudem als Frau.
Expedition zum Südpol: Lilith möchte auf Klimawandel aufmerksam machen
„Ich möchte Aufmerksamkeit auf den Klimawandel und die Folgen richten – insbesondere in der Antarktis. Und dadurch den politischen Druck erhöhen“, so begründet van Amerongen ihr Vorhaben. Der entscheidende Moment sei letztes Jahr im Januar gewesen, als ihr folgender Gedanke gekommen sei: Wenn ihre Kinder sie irgendwann fragen, was sie gegen den Klimawandel getan habe – was könne sie antworten? „Ja, ich war auf Demonstrationen, habe mir eine Bambuszahnbürste gekauft – aber ich habe nicht alles gemacht, was in meiner Macht steht.“ Das möchte sie ändern.
Die Solo-Skiexpedition ist für Ende 2024 geplant – dann ist Sommer in der Antarktis. „Sommer“ heißt hier jedoch nicht kurze Hosen und Eiscreme, sondern Temperaturen zwischen -15 und -45 Grad. Startpunkt der Expedition wäre das Union Glacier Camp in den Ellsworths Mountains, wo Propellerflugzeuge auf einer Eispiste landen können. Von hier aus will sich Lilith auf ihren Skiern entlang des Hercules Inlet, einer vereisten Bucht, auf die Reise machen, um nach 45 bis 50 Tagen am geografischen Südpol anzukommen – wenn alles gut geht.
Mit dabei in der Antarktis: Ein 80 Kilogramm schwerer Schlitten
Jeden Tag müsste sie circa 25 Kilometer zurücklegen. Proviant, Schlafsack, Zelt: Das alles werde in einem großen Schlitten verstaut sein, den sie nur mit ihrer eigenen Muskelkraft hinter sich herziehen will. Die sogenannte Pulka werde mit dem ganzen Gepäck bis zu 80 Kilo wiegen.
Klar: Für solch eine Expedition braucht es nicht nur einen großen Willen, sondern auch viel Vorbereitung. Und dafür hat Lilith die beste Voraussetzung: Sie macht eine Ausbildung zum Nordic Nature Guide in Finnland. Die Lehre zur Tour- und Bergführerin dauert zwei Jahre und ist in skandinavischen Ländern staatlich anerkannt.
Liliths Begeisterung für Skandinavien
„Ich habe bis zu 50 Zeltnächte im Jahr“, erklärt Lilith. Ski fahren, paddeln, wandern und klettern – all das lernt die in Harburg aufgewachsene Abenteurerin. Sie ist nun im letzten Semester ihrer Ausbildung. Anschließend kann sie als Guide arbeiten und Menschen mit auf Skitouren nehmen.
Ihre Faszination für Skandinavien hat sich schon in jungen Jahren entfacht. Mit 14 war sie für ein halbes Jahr in Norwegen: „Ich war immer schon super neugierig und wollte neue Länder kennenlernen.“ Finanziell sei aber ein Auslandsaustausch schwierig gewesen – auf einer Messe sei sie dann auf das Outdoor College in in Lunde aufmerksam geworden. Durch ein Teilstipendium und Unterstützung aus ihrem Umfeld wurde es möglich.
Expedition zum Südpol: So könne ein Tag in der Antarktis aussehen
Wie ein Expeditionstag in der Antarktis aussehen könne, schildert van Amerongen so: „Ich wache in meinem Zelt auf – und das Erste, was ich mache, ist wohl aus meinem Schlafsack rauskriechen und mir ein paar Extra-Lagen anziehen.“ In speziellen Schlafsäcken sei man auch gegen Temperaturen von -40 Grad gewappnet. Als Nächstes stehe Frühstück auf dem Programm: „Kocher aufstellen, Schnee schmelzen zum Trinken, heißes Wasser auf die Haferflocken schütten“, zählt sie auf. Trinkwasser werde sie in ihrer Pulka nicht transportieren können – das sei zu schwer. Deswegen werde sie täglich Schnee schmelzen müssen.
„Dann packe ich zusammen und mache meine zehn bis zwölf Stunden am Tag,“ so van Amerongen. Ganz wichtig, damit der Körper nicht schlappmacht, sei die regelmäßige Nahrungszufuhr: Nach einer Stunde Laufen ein paar Minuten Pause machen, etwas trinken und essen. Kulinarisch muss sie besonders auf die Energiezufuhr achten: viele Nüsse, getrocknetes Essen, Schokolade. „Und abends nach dem Essen bin ich wahrscheinlich so kaputt, dass ich einfach in den Schlafsack falle.“
Die fünfwöchige Reise birgt enorme Risiken
Trotz aller Vorbereitungen bleibt die Expedition nicht ohne Risiko: Deswegen wird sie ein GPS-Gerät, ein Erste-Hilfe-Set und ein Satellitentelefon bei sich haben. „Wenn es hart auf hart kommt, könnte ich jemanden alarmieren,“ so van Amerongen. Ein Hilferuf könne bei der Antarctic Logistics & Expeditions abgesetzt werden – ob dann tatsächlich rechtzeitig Rettung komme, sei nicht sicher. Doch die junge Hamburgerin erklärt lachend: „Also ich habe schon vor, zurückzukommen!“
Ein wichtiger Punkt, der noch zu klären ist: die Finanzierung. Van Amerongen schätzt die Gesamtkosten auf einen fünfstelligen Betrag. Zurzeit sucht sie einen Sponsor – einen, der wirklich hinter dem Klimaschutz steht und nicht nur „Greenwashing“ betreiben will.
Auf Skiern durch die Antarktis: Das sagen Liliths Eltern dazu
Und was sagen ihre Eltern zu ihrem Vorhaben? Bei dieser Frage muss Lilith zunächst lachen: „Meine Mutter macht sich Sorgen – aber sie kann das gut trennen: Sie unterstützt mich, auch wenn sie sich am liebsten wünschen würde, dass ich zu Hause bei ihr bleibe. Aber sie erkennt, dass dies ihre Angst ist, mit der sie selbst umgehen muss.“
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Fast zwei Monate ohne Fernseher, Handy oder Bücher – nur umgeben vom weißen Nichts: Van Amerongen versichert, sie selbst habe vor der Expedition keine Angst – nur einen gesunden Respekt. Doch dann gesteht sie: „Angst vor der Einsamkeit, die habe ich schon.“ Einsamkeit habe eine großen Einfluss auf die Psyche: „Irgendwann denke ich dann wahrscheinlich nur noch an die nächste Mahlzeit und ans Schlafen.“ Andererseits sei sie „ganz gut darin, Stille auszuhalten. Und ich habe schon überlegt, einen alten iPod mitzunehmen – muss man sich halt die gleichen 20 Songs fünf Wochen lang anhören ...“
Lilith geht „bis ans Ende der Welt fürs Klima“
Zum Schluss betont die Hamburgerin: „Noch mehr als Mut habe ich die Motivation, etwas zu verändern. Die Klimakrise ist so dringend – und ich glaube, es ist wichtig zu zeigen, dass unsere Generation bis ans Ende der Welt geht für das Klima. Symbolisch.“ Und im Fall von Lilith van Amerongen eben auch: tatsächlich.