Hamburg. Störche werfen Küken wegen Nahrungsmangel aus dem Nest. Falter, Vögel und Frösche verschwinden. Wie wir den Tieren helfen können.
Es sind dramatische Zahlen: Bis zu 150 Pflanzen- und Tierarten sterben derzeit aus – und zwar nicht pro Jahr oder pro Monat, sondern pro Tag. So schätzen es Naturschützer und Wissenschaftler. Zwar sind schon immer Arten auch wieder von der Erde verschwunden – auch bevor der Mensch sich den Planeten untertan gemacht hat. Mittlerweile verläuft der Artenschwund aber geschätzt 100-mal schneller als zu früheren Zeiten.
Anders als der zu Recht viel beachtete und bekämpfte Klimawandel finde das Artensterben aber kaum Beachtung, monieren Naturschützer. Der Tag des Artenschutzes am 3. März soll das ändern. Er erinnert an die Unterzeichnung des Washingtoner Artenschutzübereinkommens vor 50 Jahren am 3. März 1973.
Tiersterben gefährdet auch das Überleben der Menschheit
„Aufgrund der aktuellen Situation scheinen Politik und Verwaltung allein auf den Klimaschutz zu schauen“, moniert der Hamburger Vorsitzende des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), Malte Siegert. „Dabei fordert der Schutz von Arten und Lebensräumen eine ebenso große Aufmerksamkeit, weil wir mit der Klimaerwärmung und dem Artensterben eine menschheitsgefährdende Zwillingskrise lösen müssen.“ Auch in Hamburg sind in den vergangenen Jahrzehnten viele Tierarten verschwunden. Ein paar Beispiele, die der Nabu zusammengestellt hat:
Libellen, Amphibien, Brutvögel: Überall schrumpft der Bestand
Vor etwa 100 Jahren gab es in Hamburg noch 77 Schmetterlingsarten. Mit Stand von 2007 (letzte Aktualisierung der Roten Liste für Tagfalter) waren davon bereits 25 Arten ausgestorben, weitere 20 Arten vom Aussterben bedroht und nur 15 Arten als „nicht gefährdet“ eingestuft. Von den 62 Libellenarten Hamburgs sind nur 20 Arten als ungefährdet eingestuft (Quelle: Libellen-Atlas 2020).
Vor etwa 100 Jahren gab es in Hamburg noch 17 Amphibienarten. Mit Stand 2018 waren davon bereits drei Arten ausgestorben, zwei weitere sind bedroht, lediglich der Teichmolch gilt als ungefährdet. Selbst die eher anspruchslose Erdkröte befindet sich laut Nabu nun auf der Vorwarnliste.
Demnächst beginne die Amphibienwanderung, so Nabu-Sprecher Jonas Voß. „Einige Tiere sind schon unterwegs zu ihren Laichgewässern, aber die große Masse startet bald erst. Seit 2019 zieht der Nabu eine Bilanz nach der Amphibienwanderung, um auf den dramatischen Bestandsrückgang aufmerksam zu machen“, so Voß. „Während unsere Ehrenamtlichen 2019 noch mehr als 10.000 Tiere an den Schutzzäunen gezählt und über die Straßen getragen haben, waren es im vergangenen Jahr nur noch etwa 8200 Frösche, Kröten und Molche – Tendenz jedes Jahr abnehmend.“
Kaum besser ist die Entwicklung bei den Vögeln. Nach der letzten Aktualisierung der Roten Liste für Brutvögel (2018) sind laut Nabu seit 2007 sieben weitere Vogelarten aus Hamburg verschwunden: Säbelschnäbler, Brachvogel, Turteltaube, Zwergseeschwalbe, Flussuferläufer, Haubenlerche und Rohrdommel.
Nahrungsknappheit: Störche werfen Küken aus dem Nest
Bei den Störchen sieht es laut Nabu-Sprecher Voß auch nicht gut aus. „Die ersten Störche sind bereits nach Hamburg zurückgekehrt, und die Brutsaison beginnt bald“, so Voß. „Im vergangenen Jahr haben 16 von 30 Storchenpaare jeweils eines ihrer Küken aufgrund von Nahrungsknappheit aus dem Nest geworfen, um die Überlebenswahrscheinlichkeit der Geschwister zu erhöhen.“ An diesem „dramatischen Phänomen“ zeigten sich die „vielfältigen Verknüpfungen innerhalb eines Ökosystems sehr deutlich“.
- Nabu kritisiert mangelnden Artenschutz bei Windkraft-Ausbau
- Grüne sauer, weil Tschentscher Naturschutz in Hamburg bremst
- Hamburgs Gärten leiden unter Vogelarmut
Auch die jährlich vom Nabu veranstaltete „Stunde der Wintervögel“ hat zuletzt zu einem ernüchternden Ergebnis geführt: Die Anzahl der Vögel pro Garten hat weiter abgenommen – der langjährige Negativtrend setzt sich damit fort. Immerhin einen Lichtblick gab es: Nach Kohlmeise, Blaumeise und Amsel rangierte der Haussperling (Spatz) auf Platz 4 der meistgesichteten Vögel. In Hamburg steht der Haussperling auf der Roten Liste der bedrohten Arten. In diesem Jahren wurden bei der Nabu-Aktion nun wieder etwa 15 Prozent mehr Spatzen als 2022 gezählt.
Bedrohliche Entwicklung für Tier und Mensch
Insgesamt aber ist die Entwicklung auch in der Hansestadt bedrohlich für Tiere und Pflanzen – und damit letztlich auch für den Menschen. „Halbwegs intakte Naturräume mit lebendiger Artenvielfalt sind eine Garantie für das Überleben des Menschen auf diesem Planeten“, sagt Nabu-Chef Malte Siegert. „Insofern sind wir gut beraten, dass politisch, aber auch persönlich vor der eigenen Haustür mehr getan wird, um heimischen Arten zu helfen.“
Feuchtwiesen und Kleingewässer müssten so gesichert werden, „dass sich Amphibien wohlfühlen, die gleichzeitig Nahrungsgrundlage des Weißstorchs im Hamburger Osten sind“, so Siegert. „Es kann auch heißen, mit dem Auto oder Fahrrad anzuhalten, um einer Kröte über die Straße zu helfen, damit sie zum Laichen den nächsten Tümpel erreichen kann.“
Verantwortung für Umwelt und Natur beginne bei jedem Einzelnen, müsse aber „vor allem auf der politischen Ebene stärker in den Blick genommen werden“, so der Nabu-Chef. „Wenn Politik und Verwaltung angesichts des dramatischen Artensterbens untätig bleiben, darf man sich nicht wundern, wenn es der Öffentlichkeit an Bewusstsein fehlt.“