33-Jähriger ging im Regionalzug aus Kiel auf Fahrgäste los. Er saß bis vor sechs Tagen noch in Haft. Mutige Passagiere stoppten ihn.
- Offenbar geistig verwirrter Mann greift Fahrgäste im Zug von Kiel nach Hamburg mit Messer an
- Zwei Tote und fünf Verletzte in der Regionalbahn
- 33-Jähriger soll schon zuvor durch Gewalt- und Sexualdelikte aufgefallen sein
- Mutige Fahrgäste versuchten, den Mann zu stoppen
Sie waren auf dem Weg nach Hause oder zur Arbeit, als plötzlich der Albtraum aller Bahnreisenden wahr wurde: Bei einer Messerattacke in einem Regionalzug (RE 70) von Kiel nach Hamburg sind am Mittwoch zwei Menschen getötet und sechs weitere verletzt worden.
Wie Innenministerin Sütterlin-Waack am Donnerstag auf einer Pressekonferenz mitteilte, wurden zwei Personen lebensgefährlich verletzt, drei weitere schwer. Auch der Täter war bei der Festnahme am Bahnhof in Brokstedt verletzt, so die Ministerin. Die Zahl der Verletzten schwankte, am Mittwoch war zunächst die Rede von sieben weiteren Verletzten.
Zum Zeitpunkt der Attacke kurz vor dem Bahnhof Brokstedt saßen etwa 120 Menschen in dem Zug, wie eine Sprecherin der zuständigen Polizeidirektion Itzehoe sagte. Dutzende Menschen wurden Zeugen des Verbrechens, mutige Passagiere verhinderten wohl noch mehr Gewalt. Es müssen fürchterliche Szenen gewesen sein.
Zwei Tote bei Messerattacke im Zug nach Hamburg
Der mutmaßliche Angreifer wurde noch am Bahnhof Brokstedt festgenommen. Eine Sprecherin des Innenministeriums bestätigte außerdem, dass der Mann noch bis vor sechs Tagen in Haft saß – offenbar wegen Körperverletzung, wie das Abendblatt aus Sicherheitskreisen erfuhr. Er soll laut „Bild“ bereits mehrfach durch Gewalt- und Sexualdelikte aufgefallen sein.
Bei dem Festgenommenen handele es sich um einen staatenlosen Palästinenser, wie Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) abends am Ort des Verbrechens sagte. Es gebe erste Hinweise darauf, dass der 33-Jährige geistig verwirrt sein könnte. Als Extremist war er in Norddeutschland nach vorläufigen Erkenntnissen bislang nicht aufgefallen.
Passagiere stellten sich dem Angreifer in den Weg
Der Mann soll in dem noch fahrenden RE70 vor der Ankunft im Bahnhof mit einem Messer auf mehrere Menschen losgegangen sein. Um 14.58 Uhr hatte die Polizei die ersten Anrufe aus dem Zug erhalten, die Rede war von einem „blutüberströmten Mann“. Der Zug wurde gestoppt, worauf sich das Geschehen auf den Bahnsteig verlagert habe, sagte die Polizeisprecherin weiter.
„Drei Fahrgäste sind schwer, vier weitere leicht verletzt. Die Hintergründe sind noch unklar, ebenso wie die Identitäten der Geschädigten“, sagte sie am Mittwochabend. Eine Person soll unbestätigten Angaben nach noch in Lebensgefahr schweben. Auch der Angreifer selbst wurde verletzt. Zunächst hieß es, dass er sich die Schnittwunden selbst zugefügt habe. Wie das Abendblatt erfuhr, sei es jedoch wahrscheinlicher, dass er sich diese zuzog, als sich ihm „mutige Fahrgäste“ in den Weg stellten.
Den Helfern sei es unmittelbar nach der Tat gelungen, den Verdächtigen zu stoppen, bis die Einsatzkräfte eintrafen. Sie hätten „wohl den Täter davon abgehalten, Schlimmeres zu begehen“, sagte Innenministerin Sütterlin-Waack und dankte denjenigen, die „so mutig“ waren, sich „dem Täter entgegenzustellen“.
Angreifer saß vor sechs Tagen noch in Haft
Noch vor sechs Tagen saß der Angreifer hinter Gittern – ob in Straf- oder Untersuchungshaft ist laut Sicherheitskreisen allerdings zum jetzigen Zeitpunkt unklar. „Die Ermittlungen der Itzehoer Mordkommission in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Itzehoe laufen auf Hochtouren“, hieß es von der Polizei am Abend.
Innenministerin Sütterlin-Waack und Frank Matthiesen, Leiter der Polizeidirektion Itzehoe, wollen sich am Donnerstagnachmittag auf einer Pressekonferenz zu dem aktuellen Stand der Ermittlungen äußern.
Etwa 70 Zeugen wurden von der Polizei in einem nahe gelegenen Gasthof befragt und betreut. An einem Bahnübergang mit geöffneten Schranken arbeiteten Spurensicherer in weißen Schutzoveralls. Eine nur wenige Meter vom Bahnhof entfernt gelegene Bäckerei schenkte Rettungskräften und Fahrgästen heiße Getränke und Backwaren aus. „Für uns eine Selbstverständlichkeit“, sagte eine Verkäuferin. Sie alle sind schockiert.
Zwei Tote bei Messerattacke: "Hier war alles voller Blut"
Ein älterer Fahrgast, der ebenfalls in der Regionalbahn nach Hamburg saß, schilderte gegenüber dem Abendblatt dramatische Szenen: „Alle Leute in dem Zug rannten raus. Ich saß in der 1. Klasse. Dann bin auch ich rausgerannt. Hier war alles voller Blut, den ganzen Zug entlang.“ Verletzte habe er keine gesehen.
Messerattacke im Zug nach Hamburg: 18-Jährige beobachtet Tat
Eine Frau aus Bad Bramstedt wartete dagegen wenige Meter entfernt vom Bahnhof auf ihre Tochter. Die 18 Jahre alte Studentin war mit dem Zug auf dem Rückweg von der Universität in Kiel. „Sie hat gesehen, wie ein Mensch vier Reihen vor ihr auf jemanden eingestochen hat“, sagte die Mutter. Sie könne derzeit noch nicht mit ihrer Tochter sprechen, nur schreiben, sagte die sichtlich erschrockene Frau.
Die Tochter warte noch darauf, bei der Polizei eine Aussage zu machen. Sie sei zwar unverletzt. „Ich glaube aber, es geht ihr schlecht. Was sind das für Menschen, die so etwas machen?“, sagte die Mutter.
Noch am Mittwoch hat die Landesregierung unter der Rufnummer 0800-0007554 ein Hilfetelefon für Betroffene eingerichtet. Darauf wies Landesjustizministerin Kerstin von der Decken (CDU) hin. „Ich bin absolut schockiert über die Ereignisse in Brokstedt. Mein tiefes Mitgefühl gilt den Opfern und deren Angehörigen.“
In der Nacht zum Donnerstag wurden die getöteten Opfer von Bestattern aus dem beim Bahnhof in Neumünster abgestellten Zug geholt. Auch die Spurensicherung war weiter aktiv.
Sütterlin-Waack: "Entsetzliche Tat richtet sich gegen jede Menschlichkeit“
Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) traf am späten Nachmittag am Bahnhof in Brokstedt ein. Sie wurde im Landtag über die Attacke informiert und beriet sich zunächst mit Ministerpräsident Daniel Günther. „Für mich steht fest, dass sich die entsetzliche Tat gegen jede Menschlichkeit richtet“, sagte sie.
Sie sei „in Gedanken bei den Familien und Angehörigen der Opfer“, so Sütterlin-Waack. Den Verletzten wünsche sie eine schnelle Genesung. Sie bedankte sich bei den Polizisten, die den Täter festnahmen, und bei allen Rettungskräften.
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Günther zu Messerattacke: "Schleswig-Holstein trauert"
Am Abend äußerte sich schließlich Ministerpräsident Günther zu dem Angriff: Er sprach von einer schrecklichen und sinnlosen Tat, die zwei Menschen das Leben gekostet habe. „Schleswig-Holstein trauert – das ist ein furchtbarer Tag“, sagte Günther in Kiel. Er dankte den Einsatzkräften vor Ort und betonte, dass Polizei und Staatsanwaltschaft alles tun würden, „dass die schreckliche Tat und ihre Hintergründe so schnell wie möglich aufgeklärt werden“.
Das Innenministerium hat derweil zum Gedenken an die Opfer Trauerbeflaggung an den Dienstgebäuden aller Behörden und Dienststellen des Landes angeordnet. Die Flaggen sollten am Donnerstag auf halbmast gesetzt werden, teilte das Ministerium mit. Unter anderem den Kreisen und Gemeinden empfiehlt das Ministerium, sich der Trauerbeflaggung anzuschließen.
Claus Ruhe Madsen: Schwerstes Verbrechen in einem Zug im Land
Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (parteilos) zeigte sich ebenfalls erschüttert über die Tat: Ein vergleichbar schweres Gewaltverbrechen in einem Zug habe es in Schleswig-Holstein noch nicht gegeben, teilte er mit.
Madsen und der Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Nah.SH, Arne Beck, erklärten, sie seien in Gedanken bei den Betroffenen und deren Angehörigen. Den Verletzten wünschten sie schnelle Genesung. „Jetzt hoffen wir auf eine zügige Aufklärung durch die Polizei“, sagte Beck laut Mitteilung.
„All unsere Gedanken sind bei den Opfern dieser furchtbaren Tat und ihren Familien“, twitterte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu der „erschütternden Nachricht“.
Hamburger Erzbischof Heße bittet um Gebete für Opfer
Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße hat zu Gebeten für die Opfer und Betroffenen der Zugattacke von Brokstedt aufgerufen. „Ich habe alle Gemeinden in Schleswig-Holstein gebeten, in den Gottesdiensten in den kommenden Tagen besonders für die Betroffenen zu beten“, sagte Heße am Donnerstag.
Das Verbrechen von Brokstedt versetze ein ganzes Land in tiefe Trauer und Fassungslosigkeit. Er bete für die Opfer, die Menschen, die die Tat miterleben mussten, die Angehörigen und alle, die nun helfend und aufklärend tätig seien. „Unsere Seelsorgerinnen und Seelsorger sind für alle ansprechbar, die Beistand und Hilfe brauchen.“
Messerattacke im Zug nach Hamburg: Fernverkehr beeinträchtigt
Wegen des Großeinsatzes war der Zugverkehr zwischen Flensburg und Hamburg sowie Kiel und Hamburg beeinträchtigt. Fast sechs Stunden nach dem Angriff ist der normale Verkehr auf der Strecke am Abend langsam wieder angelaufen. Die Polizei habe den Bahnhof in Brokstedt kurz nach 20.30 Uhr wieder freigegeben, sagte ein Sprecher der Deutschen Bahn.
„Den Angehörigen der Opfer gehört unser tiefes Mitgefühl“, teilte die Bahn weiter mit. „Den Verletzten wünschen wir eine baldige und vollständige Genesung.“