Hamburg. Mann wegen Mordes und Vergewaltigung angeklagt. Täter wurde bereits verurteilt, Bundesgerichtshof hob das Urteil jedoch auf.
Vier Monate Ungewissheit. Es war eine Zeit, in der die Familie von Matheus A. furchtbare Ängste durchlitt. Was war mit dem 29-jährigen Brasilianer geschehen, dass sie kein Lebenszeichen mehr von ihm bekamen? Sie hofften inständig, dass er wohlauf war — und mussten zugleich befürchten, dass er nicht mehr lebte. Am Ende war klar: Der junge Mann war tot, schon lange. Vier Monate lang hatte der Leichnam des Brasilianers in einer Wohnung eines Mehrfamilienhauses in der Hamburger Neustadt gelegen.
War der Mann, der in der Wohnung zu Hause war und Wand an Wand mit einem Toten schlief, ein Mörder? Um diese Frage geht es seit Donnerstag in einem Prozess vor dem Schwurgericht, in dem sich Mario M. (Name geändert) verantworten muss. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 46-Jährigen vor, den jungen Brasilianer in der Nacht zum 22. September 2020 ermordet zu haben.
Brasilianer in Hamburg getötet: Angeklagter gab ihm heimlich Drogen
Laut Ermittlungen hatten der Angeklagte das spätere Opfer nach dem gemeinsamen Besuch einer Geburtstagsfeier überredet, noch zu ihm in die Wohnung zu kommen. Dort soll Mario M. dem arglosen 29-Jährigen ein Getränk angeboten haben, in das er heimlich eine potentiell tödliche Menge eines Ecstasy-Amphetamin-Gemisches beigefügt habe.
Dann ging es der Anklage so weiter: Als das Opfer durch die Drogen halbwegs betäubt war, versuchte der Italiener, im Schlafzimmer der Wohnung sexuelle Handlungen an seinem Gast vorzunehmen. Dieser wehrte sich allerdings und begann laut zu schreien.
Getöteter Brasilianer starb an Folgen der Gewalt oder durch Drogen
„Aus Furcht vor Entdeckung“, so die Staatsanwaltschaft, fügte Mario M. nun auf ungeklärte Weise erhebliche Gewalt gegen Mund und Hals des Opfers aus, um ihn zum Schweigen zu bringen. Kurze Zeit später verstarb der Brasilianer entweder an den Folgen der Gewalt oder durch die Drogenintoxikation – oder an einer Kombination von beidem.
Genau dies, also das nicht eindeutige Bild über die tatsächliche Todesursache, ist der Grund, warum das Verfahren jetzt erneut verhandelt werden muss. Bereits im April 2021 hatte eine andere Kammer des Landgerichts gegen Mario M. wegen Mordes sowie weiterer Delikte eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt. Doch auf die Revision des Angeklagten hob der Bundesgerichtshof (BGH) im Mai vergangenen Jahres das Urteil auf.
Brasilianer getötet: BGH monierte Lücken in Beweiswürdigung
Der BGH monierte, dass es Lücken in der Beweiswürdigung gebe. So habe das Gericht unterschiedliche Varianten einer Tötung für möglich gehalten, aber nicht für jede von ihnen ausreichend begründet, dass der Angeklagte jeweils einen Mord behangen habe. Hintergrund ist die schwierige Spurenlage, als der Leichnam entdeckt wurde. Die Verwesung war so weit fortgeschritten, dass eine eindeutige Todesursache nicht mehr festgestellt werden konnte.
Äußerlich ruhig sitzt der Angeklagte nun da. Allein die wichtigsten Personalien bestätigt der gelernte Krankenpfleger, dann hüllt sich der kräftige Mann mit dem kahl rasierten Kopf in Schweigen.
Neuer Prozess um getöteten Brasilianer: Angeklagter schweigt
„Mein Mandant wird keine Angaben machen“, sagt einer seiner beiden Verteidiger. Im vorherigen Prozess allerdings hatte Mario M. ausführlich seine Version der Ereignisse dargestellt. In seiner damaligen Aussage sah er sich eher in der Opferrolle: Der Tod des Brasilianers sei die Folge unglücklicher Handlungen. Zudem habe er, Mario M., sich in einer Situation befunden, in der er sich gegen Angriffe des jungen Mannes habe verteidigen müssen.
Im Einzelnen schilderte Mario M. damals, der Brasilianer habe selber Drogen konsumiert, sei danach zudringlich und auch aggressiv geworden. Er habe sich gegen den deutlich größeren Angreifer nicht wehren können, sei von Matheus A. gepackt und ins Schlafzimmer gedrängt worden. Der Brasilianer habe „unartikulierte Schreie ausgestoßen. Mir machte das Riesenangst“, hieß in der Aussage. „Schlagartig“ sei der 29-Jährige dann ruhiger geworden. „Er fiel wie ein Stein auf mein Bett.“
Prozess Hamburg: Angeklagter versteckte Leiche in Wohnung
Er selber sei nun eingeschlafen und habe nach dem Aufwachen bemerkt, dass sein Gast regungslos war, mit blau angelaufenem Gesicht und geschwollenen Lippen. „Mir wurde schnell klar, dass er verstorben war.“ Danach habe er den Leichnam im Zimmer gelassen, dieses verschlossen. „Ich lebte in der Küche, im Wohnzimmer und im Bad.“ Einen weiteren Raum vermietete er über eine Plattform an Gäste. Es sind wohl mehr als ein Dutzend Männer gewesen, die in der Wohnung übernachteten — ohne zu wissen, dass im Zimmer nebenan eine Leiche lag.
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Entdeckt wurde der Tote schließlich am 20. Januar 2021, nachdem die Polizei einen Hinweis bekommen und die Wohnung von Mario M. durchsucht hatte. Es sei ihm immer klar gewesen, hatte der Angeklagte im ersten Prozess gesagt, dass er selber zur Polizei gehen und den Todesfall des Matheus A. hätte melden sollen. Schließlich sei dieser ja ein Unglück gewesen. Doch tatsächlich habe er sich aus Angst nie offenbart. Seine Sorge vor einem Polizeieinsatz habe sich „ins Unerträgliche gesteigert. Jeder Tag, der verging, machte die Sache noch schlimmer.“
So war es sicher auch wegen des ungeklärten Schicksals des verschollenen 29-Jährigen für die Angehörigen des Brasilianers. Und so sei es bis heute, sagt ihr Anwalt Dennis Grünert. Der Mutter und der Schwester von Matheus A. gehe es „weiterhin schlecht“. Die Strafkammer hat weitere 16 Verhandlungstermine bis Anfang Mai angesetzt.