Die Gründerin der Ehlerding-Stiftung spricht im Abendblatt über ihre erste Patenschaft und das Verlassen der eigenen Komfortzone.

Es begann mit einem ungewöhnlichen Besuch in einem Jugendamt und führte bis heute zu Hunderten Patenschaften, die Menschen in Hamburg aus unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft und der Stadt miteinander verbinden. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ erzählt Ingrid Ehlerding, wie sie zusammen mit ihrem Mann, dem Unternehmer Karl Ehlerding, eine Stiftung gründete, die Familien in Not mit Menschen zusammenbringt, die ihnen helfen können. Ein Gespräch über eine schwierige Geburt, eine lange Warteliste und über das Glück, etwas zurückgeben zu dürfen.

Das sagt Ingrid Ehlerding über ...

… ihre erste, ungewöhnliche Patenschaft:

Mitte der 80er-Jahre habe ich meinen zweiten Sohn bekommen, und das war eine im wahrsten Sinne schwierige Geburt, bei der wir beide in Lebensgefahr schwebten. Als alles überstanden war, war ich voller Dankbarkeit und wollte nicht nur für meinen Sohn und seinen drei Jahre alten Bruder, sondern auch noch für andere Kinder da sein. Ich bin zum Jugendamt gegangen und habe gesagt, dass ich mich um eine Familie kümmern möchte, die Hilfe braucht. Das muss ein ungewöhnliches Ansinnen gewesen sein, man guckte mich dort etwas verdutzt an und sagte: „Tut uns leid, so etwas machen wir nicht.“ Ich bin trotzdem immer wieder vorstellig geworden, weil mich dieser Gedanke nicht losgelassen hatte. Und irgendwann hat mir das Jugendamt dann eine Familie mit fünf Kindern vermittelt, vielleicht auch in der Hoffnung, dass ich dann endlich Ruhe gebe. Das war wirklich ein wilder Haufen, eine Familie mit Migrationshintergrund, die Mutter durfte erst aufhören, Kinder zu bekommen, als der Sohn geboren wurde. Die Eltern waren aus der Türkei gekommen, die Kinder waren bedürftig, und ich merkte, dass ich dort etwas bewegen konnte.

… das Verlassen der eigenen Komfortzone:

Natürlich kann man spenden, aber das allein reichte mir nicht. Ich wollte selbst in eine andere Welt eintauchen, erfahren, wie es Familien geht, die es aus welchen Gründen auch immer nicht so gut hatten wie wir. Ich wollte andere Lebenswelten kennenlernen und sehen, ob ich nicht nur den eigenen, sondern auch anderen Kindern helfen kann. Ich habe mich einmal in der Woche mit meinen Patenkindern getroffen und etwas mit ihnen unternommen. Das war zwar nicht viel, aber die Kinder haben mir einmal gesagt, jemanden wie mich zu haben, den sie im Zweifel anrufen und etwas fragen konnten, habe ihnen große Sicherheit gegeben hat. Wir haben bis heute Kontakt, aus den Kindern sind Freunde geworden, die alle über 40 Jahre alt sind.

… die Frage, woher die Paten kommen und was sie mitbringen müssen:

Die Menschen, die sich für die Übernahme einer Patenschaft interessieren, kommen aus vielen Bereichen: Es sind Auszubildende und Studenten genauso wie Kraftfahrer und Unternehmer, Mütter und Väter, deren Kinder schon aus dem Haus oder die gerade in den Ruhestand gegangen sind sowie homosexuelle Paare. Seit der Flüchtlingskrise 2015 interessieren sich zunehmend jüngere Menschen für ein Ehrenamt, das spüren auch wir. Erstaunlicherweise haben wir übrigens gerade in der Pandemie sehr viele Anfragen von Menschen bekommen, die eine Patenschaft übernehmen wollten. Wahrscheinlich lag das daran, dass wir alle Zeit hatten, uns über Werte und die Frage Gedanken zu machen, wie man selbst helfen kann, die Gesellschaft zu verändern und soziale Spaltungen auszugleichen.

… die Aufgaben und Voraussetzungen der Paten:

Man muss volljährig sein und in der Lage, jede Woche drei bis vier Stunden mit einem Kind seiner Patenfamilie Zeit zu verbringen. Man muss nicht jedes Mal einen Ausflug machen, es reicht auch, wenn man sich bei sich zu Hause trifft, gemeinsam etwas kocht oder etwas vorliest. Die Idee unseres Projektes ist, dass die Kinder aus den eigenen vier Wänden herauskommen und zum Beispiel erfahren, wie es ist, wenn man mittags oder abends nicht schnell vor dem Fernseher isst, sondern es sich gemeinsam und ohne Ablenkung an einem Esstisch gemütlich macht, mit allem, was dazugehört.

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  • … die Motivation der Paten:

    Die meisten Menschen, die bei uns Paten sind, machen das, um etwas von dem Glück zurückzugeben, das sie selbst erfahren haben. Wenn jemand hofft, er könne aus einer persönlichen Krise mithilfe einer Patenfamilie herausfinden, sind wir dagegen zurückhaltend: Das Interesse an einer Patenschaft sollte nicht in einem eigenen Mangel begründet sein. So etwas muss man aus der Fülle eines gelingenden Lebens machen.

    … die Auswahl der Familien:

    Wir kümmern uns um Familien, die aus verschiedenen Gründen belastet sind, das können sowohl eine alleinerziehende Mutter oder Vater als auch Eltern sein, die sechs Kinder haben, davon haben wir einige in unserem Programm. Die Familien, die einen Paten haben wollen, müssen sich selbst bei uns anmelden. Nur das ist für uns der Beweis, dass sie es auch wirklich wollen, was extrem wichtig ist, damit die Patenschaft funktioniert.

    Wir besuchen die Familie dann und suchen eine Patin oder einen Paten, wenn wir den Eindruck haben, dass die Familie belastet und bedürftig ist und Termine auch einhalten kann. Wir haben noch sehr viele Kinder auf der Warteliste und freuen uns über jeden Paten, der dazukommt. Der Bedarf ist in einer Stadt wie Hamburg, in der es große soziale Unterschiede gibt, enorm.

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    Was wollten Sie als Kind werden und warum?

    Etwas mit Tieren, Menschen oder Natur.

    Was war der beste Rat Ihrer Eltern?

    Den gab es so nicht. Schon als Kind war ich eher sehr selbstbestimmt. Ich ließ mich eher überzeugen, als mir Ratschläge erteilen zu lassen.

    Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?

    Menschen, die eigene Bedürfnisse zurückstellen können, um für andere verlässlich da zu sein, wie zum Beispiel unsere Pa­t/-innen im mitKids-Projekt.

    Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?

    Quirlig, umtriebig und an vielen Themen interessiert.

    Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute ausüben?

    Als ich in den 80er-Jahren meine Kinder bekam, habe ich angefangen, mich mit der Situation von Kindern zu beschäftigen und erkannt, dass Kinder für ein gelingendes Leben mehr brauchen. Ich habe dann die Patenschaft für fünf Kinder einer Familie übernommen, was für mich und die Kinder ein großer Gewinn war. Das war der Anfang meiner sozialen Tätigkeit. Und es hat mich so gefangen genommen, dass ich meinen Traum, einen Bauernhof für Kinder aufzubauen, umgesetzt habe.

    Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?

    Mein Mann und meine Freund/-innen haben mich von Anfang in meinen Ideen bestärkt und unterstützt.

    Auf wen hören Sie?

    Auf meine Familie und in der Stiftung auf meine Mitarbeitenden.

    Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?

    Die Lust und Leidenschaft an dem, was sie tun und die Disziplin, mit der sie ihre Arbeit gemacht haben.

    Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?

    Den Entscheider herauskehren, anstatt das Wissen und die Erfahrung der Mitarbeitenden zu nutzen.

    Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?

    Mir ist es wichtig, den Mitarbeitenden einen Rahmen und Spielraum zu geben, in dem sie Verantwortung übernehmen, aber ich achte darauf, dass wir nie die Grundfesten der Stiftungsprojekte verlassen. Ich möchte das Gefühl vermitteln, auch in schwierigen Situationen für die Mitarbeitenden da zu sein.

    Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?

    Geld ist wichtig. Ohne Geld und ohne die Unterstützung der vielen Spender hätte ich die Stiftung nicht aufbauen und so viele Projekte verwirklichen können. Problematisch wird es immer, wenn viel Geld und Macht zusammentreffen.

    Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern?

    Dass sie sich mit den Ideen und der Vision der Stiftung voll identifizieren können, sich proaktiv einsetzen, um neue Wege und bessere Umsetzungen bei unseren Projekten zu finden, immer mit dem gemeinsamen Ziel, „damit Kindern das Leben gelingt“.

    Worauf achten Sie bei Bewerbungen?

    Natürlich achte ich auf Zeugnisse und biografische Daten, aber sehr wichtig ist für mich immer das persönliche Gespräch, um zu sehen, ob es menschlich passt. Gerne stelle ich auch mal Fragen, die nicht zu den klassischen Bewerbungsfragen gehören.

    Duzen oder siezen Sie?

    Das ist unterschiedlich, aber der Trend geht zum Duzen.

    Was sind Ihre größten Stärken?

    Ich habe ein starkes Durchhaltevermögen, was sich auch in den Projekten meiner Stiftung widerspiegelt. Es fällt mir leicht, Ideen für wichtige Projekte zu entwickeln und die Mitarbeitenden bei der Umsetzung zu motivieren und mitzunehmen.

    Ich mag es, über den Tellerrand zu gucken und innerhalb der Projekte, insbesondere im mitKids-Projekt, in unterschiedliche Lebenswelten einzutauchen. Aus den Erfahrungen und Erlebnissen, die ich dort machen darf, ergeben sich häufig Ansätze zu neuen Projekten. So haben wir festgestellt, dass viele mitKids-Kinder nicht schwimmen können, und deshalb haben wir ein Schwimmprojekt entwickelt, das den Kindern zu Seepferdchen und Bronzeabzeichen verhilft.

    Was sind Ihre größten Schwächen?

    Wo soll ich da anfangen? Ich bin oft ungeduldig und meine, „das machen wir mal eben“.

    Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?

    Ich hatte das Glück, über die Jahre viele Entscheider/-innen kennenzulernen. In bester Erinnerung sind mir die Menschen geblieben, die auf mich sehr authentisch wirkten.

    Was denken Sie über Betriebsräte?

    In großen Firmen ist es ein Muss, in kleineren ein Kann. In großen Unternehmen ist es wichtig, dass die Angestellten Ansprechpersonen haben, die ihre Interessen vertreten, weil viele sich nicht selber trauen. In kleineren Betrieben, wenn das Betriebsklima stimmt, kann man die Dinge auf direktem Wege ansprechen.

    Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?

    Fehler passieren mir täglich. Ich versuche immer aus meinen Fehlern zu lernen, aber so ganz werde ich sie nicht loswerden.

    Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?

    Ich habe irgendwann gemerkt, dass ich meinem Bauchgefühl vertrauen kann, denn ein Bauchgefühl ist ja immer die Summe aller Erfahrungen, die man gemacht hat.

    Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?

    In den Anfangszeiten habe ich viel Zeit in den Aufbau der Projekte investiert. Mit größer werdendem Team konnte ich mehr Arbeit abgeben.

    Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)?

    Das ist bei mir sehr unterschiedlich.

    Wie gehen Sie mit Stress um?

    Ich meditiere schon seit einigen Jahren, und das verhilft mir zu mehr Gelassenheit.

    Wie kommunizieren Sie?

    Ich versuche immer auf Augenhöhe zu kommunizieren, gerne persönlich und offen.

    Wie viel Zeit verbringen Sie an Ihrem Schreibtisch?

    Hoffentlich peu à peu weniger, aber ohne Kontakte zu allen Projektbeteiligten möchte ich nicht sein.

    Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?

    Ein eigenes Talent und Herzblut für eine Sache zu finden, die man später beruflich umsetzen kann, um dann „dicke Bretter zu bohren“.

    Was unterscheidet den Menschen von der Managerin Ehlerding?

    Hoffentlich wenig.

    Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?

    Das Wohl und die gesunde Entwicklung unserer Kinder müssen viel mehr in den Fokus gerückt werden. Seit Langem wissen wir, dass für ein Kind in den ersten drei Lebensjahren die Bindung an eine Bezugsperson – sei es Mutter, Vater oder auch außerfamiliär – für ein gelingendes Leben entscheidend ist. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, brauchen junge Familien und vor allem Alleinerziehende die Unterstützung der ganzen Gesellschaft.