Hamburg. Die Hamburgerin Sylvie Gühmann macht ihr Erlebnis öffentlich – und löst ein riesiges Echo aus. Was sich aus ihrer Sicht ändern muss.

Im Karolinenviertel tritt ein Mann aus einem Hauseingang. „Das Viertel war leer, außer uns war niemand auf der Straße. Ich wich instinktiv zurück“, erinnert sich Sylvie Gühmann an jenen späten Sonnabendabend. Doch das reicht nicht, der Mann folgt ihr und attackiert sie verbal: „Zeig deine Ritze, du geile Fotze, ich fick dich“, droht er. Gühmann wird schneller, versucht, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie Angst bekommt.

„Ich wollte nicht aussehen, als würde ich fliehen müssen“, erzählt die 28-Jährige. Sie versucht, selbstsicher zu wirken. „Verpiss dich. Das ist Belästigung“, sagt sie in Richtung des Mannes. Ohne Erfolg. Der Mann kommt immer näher.

Sexuelle Belästigung: Passant kommt ihr nicht zu Hilfe

Als Sylvie Gühmann andere Schritte in der Nacht hört, blickt sie sich hilfesuchend um. „Ich dachte, jetzt bin ich sicher, die Situation löst sich auf“, sagt sie. Die junge Frau bittet den Passanten um Hilfe – doch der läuft einfach vorbei. Er müsse zur Arbeit, sonst hätte er eingegriffen, sagt er noch. „Ich weiß nicht, wer von den beiden mich fassungsloser gemacht hat“, sagt Gühmann. „Ich hätte auch lieber keine Zeit dafür gehabt, aber ich konnte mir das leider nicht aussuchen.“

Verzweifelt beschließt Gühmann, zwischen vorbeifahrenden Autos auf die Straße zu rennen. „Ein Taxifahrer machte eine Notbremsung und nahm mich mit“, sagt Gühmann. „Leider hatte er die Situation aber nicht mitbekommen.“

Polizei Hamburg: Viele Übergriffe werden nicht gemeldet

Diese Arten von Straftaten fallen in der Polizeistatistik unter „sexuelle Belästigung“. Davon wurden im vergangenen Jahr in Hamburg 407 Fälle gemeldet. Von den 266 Tätern, die die Polizei identifizieren konnte, waren 258 Männer. Die Mehrheit der Opfer waren Frauen. Polizeisprecher Sören Zimbal bittet Betroffene, sich in Fällen der sexuellen Belästigung beim Notruf der Polizei zu melden und Hilfe zu holen.

Wichtig sei auch, danach Anzeige bei der Polizei zu erstatten. „Das bringt den Fall ins sogenannte Hellfeld und ermöglicht es den Strafverfolgungsbehörden, überhaupt erst zu reagieren“, sagt Zimbal. Manchmal liefere eine Anzeige auch Hinweise zu möglichen weiteren Fällen. „Parallel dazu erhalten die Geschädigten Hinweise zu Unterstützungsangeboten und – bei Bedarf – Verhaltenstipps.“

Allerdings meldet bei Weitem nicht jeder oder jede einen solchen Vorfall. „Und das ist das Problem: Die Statistik spiegelt nicht unsere Lebensrealität wider“, sagt Gühmann. Dabei spiele auch Scham eine Rolle, sagt sie. „Ich stand auf der Wache und habe mich geschämt, als ich die Worte wiederholen musste, die gar nicht meine eigenen waren. Dabei hatte ich nichts falsch gemacht. Der Täter sollte sich schämen, genauso wie der Mann, der weggerannt ist.“

Sie hat den Vorfall auch für die Statistik angezeigt

Ob der Angreifer gefunden wird, ist eine andere Frage. Eine kleine Hoffnung: Die Polizei deutete gegenüber Gühmann an, dass möglicherweise mehrere Anklagen erhoben werden, die miteinander verknüpft werden könnten. „Ich habe diese Anzeige aber nicht nur für mich gemacht, sondern auch für andere“, sagt die Hamburgerin.

„Jemand, der so aufdringlich ist, macht das höchstwahrscheinlich nicht zum ersten Mal und leider auch nicht zum letzten Mal.“ Außerdem landet Gühmanns Fall jetzt in der Statistik. „Und erst, wenn die Zahlen passen, sieht die Politik auch das Problem“, sagt Gühmann.

Ihr Beitrag auf Instagram wird tausendfach geteilt

Es ist klar, dass solche Situationen in Hamburg und im Rest des Landes häufiger vorkommen. Um dem Problem mehr Aufmerksamkeit zu schenken, beschloss die Autorin („Die Junge Frau und das Meer“), die Erfahrung in einem Instagram-Post zu teilen. Dies führte zu vielen Reaktionen, auch von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Prominenten wie Schauspieler Jochen Schropp.

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„Pro Sekunde kamen zehn Likes dazu, und mein Postfach platzte aus allen Nähten. Es hat sich irgendwie verselbstständigt“, sagt Gühmann. Ihr Beitrag hat mittlerweile mehr als 130.000 Menschen erreicht. Laut der Autorin zeigt dies, dass sie nicht die Einzige ist, der so etwas widerfährt. „Man merkt, dass viel Unterstützung da ist, aber auch Schmerz“, so Gühmann.

Sexuelle Belästigung: Gühmann fordert "strukturelle Prävention"

Die Autorin hofft, dass sie mit dem Eintrag etwas ändern kann. „Und wenn es am Ende nur dazu führt, dass sich ein paar Männer mehr Gedanken darüber machen, was sie dafür tun können, damit wir einen sichereren Heimweg haben.“ Das sollten sie berücksichtigen, wenn sie eine Frau alleine auf der Straße sehen, findet Gühmann. Sie sollten auch andere Männer für ihr Verhalten zur Rechenschaft ziehen.

Langfristig hält die Hamburgerin „strukturelle Prävention“ für wichtig. „Es klingt furchtbar hart, aber ich bin nicht besonders, kein Einzelfall.“ Es sei ein systematisches Problem, das wir innerhalb unserer Gesellschaft hätten, so die junge Frau. „Es ist egal, wie wir aussehen, welche Strecke wir nehmen und was wir anhaben – es passiert trotzdem.“