Hamburg. Die ursprüngliche Initiative ging von André Trepoll, Farid Müller und Mathias Petersen aus. Nun gibt es einen konkreten Vorschlag.
Es war im besten Sinne eine Initiative aus der Mitte der Bürgerschaft. Im Mai 2021 präsentierten die drei Abgeordneten André Trepoll (CDU), Farid Müller (Grüne) und Mathias Petersen (SPD) im Abendblatt ihren Vorschlag, die Präambel der Hamburgischen Verfassung um ein Bekenntnis zur Bekämpfung des Antisemitismus, Nationalsozialismus und Extremismus zu ergänzen. Ungewöhnlich war, dass sich die Drei zuvor nicht mit ihren jeweiligen Fraktionen abgestimmt hatten, was zunächst für Stirnrunzeln sorgte.
Jetzt – nach eineinhalb Jahren und intensiven Beratungen sowie einer Expertenanhörung im Verfassungsausschuss – wird aus der Idee Realität: Die Fraktionen von SPD, Grünen und CDU haben sich auf einen Vorschlag zur Ergänzung der Verfassung geeinigt, der dem Abendblatt exklusiv vorliegt. Der Text greift den Grundgedanken der drei erfahrenen Parlamentarier auf, erweitert und präzisiert ihn und ergänzt die Präambel zudem um das Bekenntnis zu Europa und den Schutz der Kinderrechte.
Verfassungsexperten hatten die Abgeordneten der Bürgerschaftberaten
So soll der zentrale neue Passus der Präambel lauten, auf den sich die beiden verfassungspolitischen Sprecher André Trepoll und Olaf Steinbiß (SPD) sowie die verfassungspolitische Sprecherin Lena Zagst (Grüne) verständigt haben: „Vielfalt und Weltoffenheit sind identitätsstiftend für die hanseatische Stadtgesellschaft. In diesem Sinne und mit festem Willen sichert die Freie und Hansestadt Hamburg die Würde und Freiheit aller Menschen. Sie setzt sich gegen Rassismus und Antisemitismus sowie jede andere Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ein. Sie stellt sich der Erneuerung und Verbreitung totalitärer Ideologien sowie der Verherrlichung und Verklärung des Nationalsozialismus entgegen.“
Mehrere Experten hatten in der Anhörung des Verfassungsausschusses darauf hingewiesen, dass der Begriff des Extremismus nach wissenschaftlichen Kriterien unscharf sei, weswegen er in der neuen Fassung nun nicht mehr vorkommt. Auf Anregung der Verfassungsexperten wurde hingegen eingefügt, dass sich die Stadtgesellschaft ausdrücklich auch gegen Rassismus einsetzt.
Im Hamburger „Grundgesetz“ fehlte bislang jeder Hinweis auf die NS-Zeit
Die Ergänzung der Präambel füllt eine Leerstelle. Denn anders als in den meisten anderen Landesverfassungen fehlt im Hamburger „Grundgesetz“ jeder Hinweis auf die Gräueltaten der Nationalsozialisten und die daraus resultierende Aufgabe der Demokraten der Bekämpfung des Rassismus und Antisemitismus. Die vor 70 Jahren beschlossene Verfassung richtete den Blick ausschließlich in die Zukunft, etwa mit der bekannten Formulierung, Hamburg wolle „im Geiste des Friedens eine Mittlerin zwischen allen Erdteilen und Völkern der Welt sein“.
- Antisemitismus: Das Ringen um die Staatsziele in der Hamburger Verfassung
- Klimaschutz in Hamburg: Wird er zum Staatsziel erklärt?
- Bürgerschaft: So viel sollen Hamburgs Abgeordnete mehr verdienen
Direkt im Anschluss an diese häufig zitierte Passage soll ein Satz eingefügt werden, der die allgemeine Aussage konkretisiert: „Sie [die Freie und Hansestadt Hamburg, die Red.] fördert ein geeintes Europa und leistet ihren Beitrag zu einer Europäischen Union, die demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen sowie dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist.“ Auch mit dem Bekenntnis zu Europa holt Hamburg nach, was in andere Landesverfassungen längst Eingang gefunden hat.
„Das Vermächtnis der Opfer bleibt: nie wieder!“
Schließlich soll die Präambel um einen weiteren Aspekt ergänzt werden, den sich SPD und Grüne bereits in ihrem Koalitionsvertrag mit Blick auf das Grundgesetz vorgenommen haben: „Die Freie und Hansestadt Hamburg achtet, schützt und fördert die Rechte der Kinder.“
André Trepoll, der den Anstoß zu den Überlegungen einer Verfassungsergänzung gegeben hatte, ist mit dem Ergebnis zufrieden. „Es ist jetzt Aufgabe unserer Generation, die Erinnerung an das Unrecht, an das unsägliche Leid, wachzuhalten und Antisemitismus keinen Platz zu bieten. Das Vermächtnis der Opfer bleibt: nie wieder!“, sagte der CDU-Politiker.
Initiator André Trepoll freut sich, dass es eine interfraktionelle Einigung gibt
Gerade in einer Zeit der immer stärkeren Polarisierung der Gesellschaft bis hin zu extremistischen Bestrebungen aller Richtungen sei ein klares Bekenntnis zur Abwehr vor allem der Verherrlichung und Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts dringend erforderlich. Das sei umso wichtiger, als unmittelbare Zeitzeugen kaum mehr vorhanden seien. „Aus diesem Grund freue ich mich sehr, dass wir interfraktionell nach intensiven Beratungen nun auf einem gemeinsamen Weg zur Aufnahme dieses Staatsziels in die Hamburgische Verfassung sind.“
Aus Sicht der Grünen-Abgeordneten Lena Zagst stellt sich Hamburg mit der Präambel-Ergänzung „konsequent gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus sowie jede andere menschenfeindliche Ideologie“. Vielfalt und Weltoffenheit seien Grundprinzipien des Zusammenlebens, der Einsatz für die Europäische Union eine „Herzensangelegenheit“ der Hansestadt. „Für uns sind all diese Werte unverhandelbar, sie werden allerdings immer öfter angegriffen und ausgehöhlt“, sagte Zagst.
Auch der ehrenamtliche Einsatz für das Gemeinwohl erhält Verfassungsrang
„Unsere Verfassung enthielt bislang keine Erinnerung an die NS-Zeit. Das ist aber fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dringend erforderlich, auch weil es kaum noch Zeitzeugen gibt, die ihre Stimme mahnend erheben können“, sagte der SPD-Politiker Steinbiß.
Auf Anregung Trepolls wird Artikel 73 der Verfassung um einen Satz vier ergänzt: „Das freiwillige Engagement, wie insbesondere der ehrenamtliche Einsatz für das Gemeinwohl, genießt den Schutz und die Förderung des Staates.“ Ehrenamtlicher Einsatz, so Trepoll, sei nicht nur für Staat und Gesellschaft unerlässlich, sondern stärke auch die Demokratie.
Mit den Stimmen von SPD, Grünen und CDU hätte die Verfassungsänderung die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht. Dem Vernehmen nach wollen auch die Linken-Abgeordneten zustimmen.