Hamburg. Segeln ist Coaching, sagt Tobias Schadewaldt. Wie der zehnfache Deutsche Meister Segelsport und Coaching in Hamburg zusammenbringt.

Wir sitzen alle in einem Boot – oder der Kapitän hat das Kommando: Tobias Schadewaldt muss es wissen. Der Hamburger war jahrelang als Profi im Segelsport aktiv, ist zehnfacher Deutscher Meister, Weltranglisten-Erster und Teilnehmer der Olympischen Spiele 2012 auf dem 49er – und er ist Führungskräfte-Trainer und Business-Coach bei Pawlik Consultants. Ein Gespräch über Ich, Wir, Teams, Konkurrenten, über Segelboote und Unternehmen.

Hamburger Abendblatt: Sie sind nicht nur Coach, sondern auch begeisterter und erfolgreicher Segler. Welche Rolle spielt das Thema „Ich oder Wir?“ auf einem Schiff?

Tobias Schadewaldt: Das hängt sehr vom Schiff ab. Die meisten Segler beginnen als Kind auf einem Opti. Da geht es total ums Ich. Zunächst müssen wir unabhängig werden und uns alleine auf dem Boot generell zurechtfinden. Und wenn wir dann größere Boote und größere Herausforderungen angehen wollen, dann geht das allein meist nicht mehr. Dann wollen wir gemeinsam arbeiten, damit wir was anderes Großes erreichen können. Und da müssen wir lernen, mit den Wechselwirkungen mit anderen umzugehen. Dann wird das Wir immer wichtiger, das geht aber nur mit einem stabilen, relativ unabhängigen Ich.

Aber ist das Segeln nicht eigentlich eine „Ich-Sportart“? An Bord eines jeden Schiffes, jeder Yacht gibt es einen Kapitän, der das Kommando hat. Einer sagt der Mannschaft, wo es langgeht und was sie zu tun hat ...

Schadewaldt: Wir haben schon jemanden, der die Verantwortung dafür trägt, die gesamtheit­liche Richtung vorgibt und dann auch das Kommando für einzelne Manöver gibt. Das muss einer oder eine entscheiden. Da können wir nicht einen Konsens anstreben. Das würde einfach zu lange dauern. Das heißt aber nicht, dass die anderen nichts zu sagen haben. Im Gegenteil. Es gibt einen Steuermann, jemanden, der für den Trimm des Großsegels verantwortlich ist, und jemanden, der den Trimm des Vorsegels verantwortet. Nur in den allerseltensten Fällen wird es dazu kommen, dass der Skipper dem Groß- oder Vorsegel-Trimmer reinredet. Wir haben an Bord lokale Autorität, um das Team nach vorne zu bringen. Da gibt es nicht den Übermenschen am Steuer, der alles weiß.

Profitieren Sie in Ihrem Job als Coach vom Segeln – oder profitieren Sie beim Segeln von Ihrer Arbeit als Coach?

Schadewaldt: Beides auf jeden Fall. Ich glaube, als Coach ist es schön, Erfahrung im Sport zu machen, weil sie unter so viel Zeit- und Konkurrenzdruck entstehen und damit eine hohe Dichte an Erfahrungen ermöglichen. Und das kann man mit gewissen Abstrichen auch auf Unternehmen übertragen. Es ermöglicht mir, Managern einen Perspektivwechsel zu ermöglichen. Und andersrum, wenn wir eine Regatta segeln, dann gelten häufig ähnliche Methoden, wie in der Wirtschaft und wie ich sie aus Büchern und Seminaren kenne. Zum Beispiel nutzen wir in unserem Team beim Norddeutschen Regatta Verein auch das Handlungs-Steuerungs-Modell, was bei Pawlik totale DNA ist. Und das hilft uns beim Segeln.

Tobias Schadewaldt (geboren 1984) arbeitet als Führungskräftetrainer bei Pawlik Consultants in Hamburg (Archivbild).
Tobias Schadewaldt (geboren 1984) arbeitet als Führungskräftetrainer bei Pawlik Consultants in Hamburg (Archivbild). © Pawlik Consultants GmbH

Erklären Sie uns dieses Modell in zwei Sätzen?

Schadewaldt: Das Modell gibt einen Überblick über die Vorgänge im Gehirn, die von einer Absicht zur Tat führen, und wie Informationen und Gefühle dabei zusammenwirken. Wir können damit beispielsweise eine Reaktion nach einem Fehler in einer Regatta oder auf eine stressige Situation im Business einordnen und ableiten, welcher Fokus uns hilft, wieder in einen Handlungsfluss zu kommen.

Nutzen Sie das Segeln für Coaching?

Schadewaldt: Segeln ist sogar Coaching. Also, wir haben Kunden, mit denen wir auf der Ostsee auf großen Booten unterwegs sind. Das sind ehemalige Volvo Ocean Racer, und an Bord üben wir Teambuilding und auch Kommunikation in kritischen Situationen. Wir segeln mit Kunden aber auch auf der Alster. Da segeln wir kleinere Boote und üben mehr Verhalten und Kommunikation unter Druck.

Ist das Segeln als Kommunikations­coaching geeignet, weil es so eine klare Kommandosprache gibt?

Schadewaldt: Ja, und weil es auch um rechtzeitige Kommunikation geht. Wenn sich ein Boot in Bewegung setzt, dann kommt Masse in Bewegung, und die braucht Zeit, um ihren Kurs zu ändern oder zu stoppen. Also müssen wir an Bord supergut vorab kommunizieren. Wir müssen alle rechtzeitig abholen und ankündigen, was wir gleich tun werden. Nur so können wir den Kurs schnell und effizient ändern.

In vielen Unternehmen erleben wir, dass sie den Kurs ändern wollen oder müssen. Und da ist es auch entscheidend, alle vorher abzuholen, um dann den Kurs entscheidend und schnell zu ändern. Das sieht man auch auf einem Segelboot: Wenn wir eine Wende sehr zaghaft und langsam steuern, damit alle mitkommen, das wird dann nichts. Dann stoppen die Wellen das Boot auf, und dann fährt es nicht mehr. Wenn man einmal wendet, dann darf das auch recht zackig gehen. Aber eine zackige Wende gibt es nur, wenn alle informiert sind, verstanden haben, was geplant ist, und vorbereitet sind.

Dafür gibt es an Bord ja diese typische und klare Kommunikationsstruktur: Der Skipper fragt „Klar zur Wende?“, und die Mannschaft antwortet „Klar ist!“ und erst dann gibt der Skipper das Kommando „Re!“. Menschen, die nicht so viel Regatta segeln, sagen manchmal „Klar zur Wende. Re“. Sie warten nicht auf die Antwort der Mannschaft, die ihnen signalisiert: Befehl verstanden. Alle sind bereit.

Diese Rückmeldung ist aber doch auch im normalen Arbeitsleben extrem wichtig.

Schadewaldt: Absolut! Nicht nur bei Lotsen, im Militär oder beim Fliegen und im Segelsport – diese Rückmeldung benötigen wir eigentlich überall im Leben, wenn etwas Wichtiges kommuniziert wird. Aber manchmal glaube ich, in Unternehmen will man irgendwie cool sein und kommuniziert deswegen nicht gründlich genug im Dialog.

Was segeln Sie derzeit?

Schadewaldt: Hauptsächlich segele ich Bundesliga im Moment. Die Wettbewerbe werden auf J/70-Booten gesegelt – zu viert an Bord.

Tobias Schadewaldt segelt in der Bundesliga. 2012 nahm er an den Olympischen Spielen teil (Archivbild).
Tobias Schadewaldt segelt in der Bundesliga. 2012 nahm er an den Olympischen Spielen teil (Archivbild). © Tobias Schadewaldt

Das kann ja ganz schön eng werden ...

Das ist auch ein Punkt, der spannend beim Segeln ist. Es gibt Situationen, in denen die Boote total nah beieinander sind. Und ich bemühe mich immer zusammen mit meinem Team Folgendes zu machen: Je wilder die Bedingungen um uns herum sind, desto klarer und weniger kommunizieren wir, damit es keine Missverständnisse mehr gibt. Und wir bauen dann darauf, dass alle so viel trainiert haben, dass sie wissen, was zu tun ist, wenn ein paar wesentliche Kommandos oder Informationen gegeben werden. Bei Unternehmens-Coachings erlebe ich Teams, bei denen wird in den brenzligen Situationen entweder gar nicht mehr geredet oder alle reden durcheinander. Die haben das vorher super gemacht. Aber plötzlich verlieren Sie ihre Stärke als Wir und kommunizieren viel aus dem Ich. Wie ein Schwarm Fische, der wild durcheinanderschwimmt. Und dann denke ich mir: Was ist denn jetzt los? Nur weil die Situation sich ändert, heißt das nicht, dass wir alles über Bord werfen dürfen, was wir uns als Fähigkeiten angeeignet haben. Und ich glaube, dass man davon definitiv etwas mitnehmen kann ins Unternehmensumfeld.

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  • Was bedeutet das für das Ich und das Wir?

    Schadewaldt: Der Einzelne sitzt am Großsegel und hat dafür die Verantwortung. Und wenn ich jetzt als Steuermann glaube, nur weil jetzt Druck da und wir gerade nicht schnell sind, muss ich ihm sagen, was er zu tun hat, dann bewege ich mich in der Entwicklung des Teams zurück. Ich muss so kommunizieren, dass der andere sich selbst im Team entfalten kann. Nur weil Druck da ist, darf ich die Menschen nicht wieder einengen.

    Also Mikromanagement, weil Druck und Unsicherheit im Management entsteht?

    Schadewaldt: Ja. Das Problem bei dem Mikromanagement ist meiner Erfahrung nach, dass dann andere still werden. Der Einzelne nimmt dann eher eine reaktive Haltung an. Dann habe ich weniger Wir und weniger Ich bei meinem Teampartner. Wenn ich mich an Bord zu sehr in die Arbeit meines Vorschoters einmische und zu viel reinrede, dann denkt der: Okay, alles klar. Ich warte mal wieder, bis er mir was sagt. Aber das passt überhaupt nicht mehr zu unserer komplexen, volatilen Welt. Ich muss im Management dafür sorgen, dass die Menschen weiter nachdenken, weiter kreativ nach Lösungen suchen. Und deswegen ist Mikromanagement so gefährlich.

    Was ist das Entscheidende beim Gruppen-Coaching?

    Schadewaldt: Beim Gruppen-Coaching müssen wir häufig erst einmal klären, welche Art von Gruppe wir überhaupt vor uns haben: Sind es Menschen, die etwas Ähnliches tun oder aber in einem Unternehmen unterschiedliche Aufgaben haben, aber einander brauchen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen? Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Und ich erlebe immer wieder, dass ich Gruppen coache, die sagen, „wir wollen ein Team sein“ – aber die brauchen einander gar nicht, um ihr primäres Ziel zu erreichen. Sie fühlen sich wie Konkurrenten um die nächste Beförderung. In dem Fall kann ich das klassische Team-Coaching nach hinten stellen und mich zunächst der Strukturent¬wicklung widmen. Stellen Sie sich vor: In der deutschen Nationalmannschaft sind fünf Sportler, und alle wollen an den Olympischen Spielen im Laser-Segeln teilnehmen. Aber nur einer kann dahinfahren. Würden Sie sagen, die fünf sind ein Team? Wie soll das funktionieren? Die sind kein Team, sondern auch Konkurrenten.

    Wie sind Sie zu Pawlik gekommen?

    Schadewaldt: Ich bin durch den Sport zu Pawlik gekommen. Ich hatte versucht, mich für die Olympischen Spiele 2008 in Peking zu qualifizieren. Das hat nicht geklappt, weil ich am entscheidenden Tag bei der Weltmeisterschaft nicht meine Leistung abrufen konnte und zweimal gekentert bin. Danach habe ich mit mentalem Training begonnen und bin über ein paar Umwege bei einem Coaching bei Pawlik gelandet. Das hat wirklich geholfen. 2012 habe ich es dann geschafft und mich für die Spiele qualifiziert. Danach habe ich zunächst in der Offshore-Windenergie-Industrie gearbeitet. Aber ich habe schnell gemerkt, dass mich das Thema menschliche Weiterentwicklung und Hochleistung fasziniert. Ich wollte zu einer Organisation, die versucht, Menschen weiterzubringen. Deshalb bin ich zu Pawlik rückgekehrt – diesmal als Coach.

    Zum Thema gibt es am 15. November einen Kongress in Hamburg. Infos unter www.pawlikcongress.de