Hamburg. Serie: Die Geschichte Hamburgs – erzählt entlang der großen Themen. Teil zwei: Der ewige Kampf um die Macht. Wer regiert die Stadt?

Jahrhundertelang ist die Gesellschaft in drei Stände gegliedert: Adel, Klerus und Bauern beziehungsweise Bürger. Das Herrschaftsrecht des Adels wird lange nicht grundsätzlich infrage gestellt. Bei Kirchenfürsten sieht das manchmal schon anders aus, denen wird auch im Mittelalter bisweilen vorgehalten, sie sollten „weltlicher Herrschaft entsagen“. Wenn aber Bürger über Bürger wie Adlige herrschen, dann ist es schon schwieriger zu begründen, warum das eigentlich so ist. Und das ist der Kern vieler Konflikte, die in Hamburg ausgetragen werden.

Auf dem Weg zur Stadtrepublik

So wie in den meisten Firmen nicht eben Trauer herrscht, wenn der Chef oder die Chefin im Urlaub ist, sind die Menschen im Mittelalter in der Regel dann am glücklichsten, wenn der Herrscher möglichst weit weg ist. Und so sind die Hamburger nicht übermäßig traurig, dass ihr nach dem Wikinger-Überfall 845 nach Bremen geflüchteter Bischof dort bleibt – und all seine Nachfolger auch. Bischöfe heißen ja nicht umsonst Kirchenfürsten, und manche von ihnen scheren sich weniger um das Seelenheil ihrer Schäfchen als darum, die eigene Pfründe ins Trockene zu bringen.

Vorsichtig formuliert sind sie machtbewusst. Da lebt es sich doch ein bisschen freier ohne Bischof. Präsent ist die Kirche dennoch mit dem Domkapitel in Hamburg, und natürlich beharrt sie darauf, Stadtherrin zu sein. Ob sich die einfachen Leute daran stören oder nicht, ist nicht überliefert – im Gegensatz zum Ärger der Herzöge aus dem Hause der Billunger und ab 1110 der Schauenburger Grafen: Die wollen schließlich selbst Stadtherren sein. Einer dieser Schauenburger, Adolf IV., schafft es, die Kirche auszubooten. Da haben die Bürger längst das Recht, einen eigenen Rat zu wählen.

Mit Geld, Fortune und Geschick gelingt es ihnen, die folgenden Generationen der Schauenburger ins Abseits zu stellen. Hamburg ist nun frei von Fürsten- und Pfaffenherrschaft und regiert sich selbst. Genauer gesagt: Die Reichen regieren – also die großen Kaufleute. Und somit ist der Weg bereitet für immer neue, teils sogar blutige Auseinandersetzungen. Der Satz „Die da oben machen doch eh, was sie wollen“ hat auch in der Stadtrepublik Hamburg viele Jahrhunderte lang seine Berechtigung.

Der Rat (erst ab 1860 heißt er offiziell Senat) ist ursprünglich die Interessenvertretung der Bürger gegenüber dem Stadtherrn, also Kirche oder Fürsten. Als die ausgeschaltet sind, benehmen sich die Ratsmitglieder bald selbst wie adlige Herrscher. Sie werden nicht gewählt, sondern bestimmen selbst, wer einem ausscheidenden Mitglied nachfolgt.

So gehören dem 30- bis 60-köpfigen Gremium auch ausschließlich Kaufleute an. Jegliche Mitsprache der anderen Bürger lehnen sie ab – als ob sie von „Gottes Gnaden“ herrschen würden. Der Rest der Bürger stellt lediglich ein beratendes Gremium: die „Wittigesten“ (Weisesten). Reden dürfen sie, zu sagen haben sie aber fast nichts.

Rezesse, Kollegien, Oberalte

Lange regiert der Geldadel unangefochten, aber im Spätmittelalter begehren die vielen dann doch gegen die wenigen auf – natürlich wegen der Steuerlast. 1375 kann der Rat die Forderungen vor allem der Handwerker noch abwehren, 1410 muss er dann erstmals einen Kompromiss eingehen. „Rezess“ nennt man so einen Vergleich. Nun dürfen Steuern nur noch mit Zustimmung der Bürgerschaft erhöht werden, auch einem Krieg muss sie zustimmen.

Und willkürliche Verhaftungen ohne Gerichtsverfahren sind seither verboten – was darauf schließen lässt, dass es sie zuvor gegeben hat. Mit Bürgerschaft ist übrigens keineswegs ein Parlament gemeint, sondern die Gesamtheit der Bürger. Jeder darf zu Versammlungen kommen und abstimmen – aber nur, wenn er das Bürgerrecht hat. Dafür muss man einen Eid ablegen und das Bürgergeld zahlen. Die Armen – also die Mehrheit – sind völlig ausgeschlossen.

Dem ersten Rezess folgen noch weitere, Grundlegendes ändert sich erst 1529, nach der Reformation. Jetzt erhalten nur noch Grundeigentümer das Bürgerrecht, also noch weniger Leute als zuvor. Und es gibt nun eine enge Verquickung von Kirche und Staat. Das geschieht über die „Kollegien“. Da gibt es zum Beispiel die zwölf „Oberalten“, jeweils die drei ältesten der für die Armenpflege Zuständigen aus den vier Kirchspielen.

Die Kirchspiele sind so eine Art Bezirk: St. Petri, St. Nikolai, St. Jacobi und St. Katharinen, später kommt dann St. Michaelis dazu. Aus den Bezirken werden dann noch Diakone in zwei Ausschüsse entsandt: die 48er und die 144er – nur sie dürfen neue Gesetze vorschlagen.

Die Jastram-Snitger-Rebellion

Fassen wir mal kurz zusammen: Nur die Wohlhabenderen und nur Lutheraner haben das Bürgerrecht, nur die Reichsten bilden den Rat. Und die Oberalten und ­48er sehen sich als eine Art Schiedsrichter. Schon bald sind diese Strukturen ziemlich verkrustet. Der Rat besetzt alle Posten gern mit Familienmitgliedern, manchen wird Korruption vorgeworfen, und aus den Oberalten werden im Volksmund bald die „Überalten“, also ein verschlafenes Gremium aus Tattergreisen.

Im 17. Jahrhundert geht es ohnehin eher wild zu. Zwar profitiert Hamburg vom Dreißigjährigen Krieg, aber die Verdopplung der Einwohnerzahl in wenigen Jahrzehnten auf 78.000 bei Kriegsende schürt die Unruhe. Die Bürgerschaft will dem Rat mehr Rechte abtrotzen, der aber sieht seine Herrschaft als gottgegeben an und die Bürger als Untertanen, die doch bitte glücklich sein sollten, so einen Rat zu haben. Da muss es wohl knallen.

Jetzt treten Cord Jastram und Hieronymus Snitger auf die Bühne. Jastram ist ein Aufsteiger: Eigentlich Färber, rüstet er mithilfe des Kaufmanns Snitger Walfangschiffe aus und wird reich. Er stellt sich an die Spitze der protestierenden Bürger und schafft es 1684, den Rat in Teilen aus dem Amt und der Stadt zu jagen. Die Geschassten suchen Hilfe von außen und finden sie mit dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg, der damit droht, das alte Recht mit Gewalt wiederherzustellen.

Jastram macht jetzt den Fehler, ausgerechnet den dänischen König um Unterstützung zu bitten – denn der kommt mit einem Heer und belagert die Stadt, auf die er ja immer noch Anspruch erhebt. Zwar können die Hamburger die Stadt halten, Jastram und Snitger sind aber unhaltbar geworden. Der alte Rat kehrt zurück, die beiden werden am 4. Oktober 1686 hingerichtet. Und das heißt: geköpft, ausgeweidet und gevierteilt, die Strafe für Verräter.

Der Kampf um die Macht ist aber noch nicht vorbei. Die Reformer wollen bei der Ratswahl mitbestimmen und auch Nicht-Grundeigentümer für die Bürgerschaft zulassen. Nach viel Hin und Her gibt es 1712 mal wieder einen Rezess. Wenn Rat und Bürgerschaft uneins sind, wird jetzt per Los ein Ausschuss bestimmt, der entscheidet. Ansonsten bleibt es beim restriktiven Bürgerrecht.

Die Verfassung bleibt rückständig

Lange herrscht Ruhe. Und das, obwohl das Missverhältnis zwischen privilegierten Bürgern und dem Rest der Einwohner immer krasser wird. Um 1800 haben etwa 3000 bis 4000 Hamburger das Bürgerrecht – bei einer Einwohnerzahl von 130.000. Daran ändert auch das kurze Intermezzo der französischen Besatzung von 1806 bis 1814 nichts. Die Einführung moderner Gesetze, Trennung von Kirche und Staat, Judenemanzipation – all das wird nach dem Abzug der Franzosen wieder abgeschafft. Bald bilden sich politische Vereine, die aber erfolglos Reformen fordern.

Andere wie der an der Gelehrtenschule des Johanneums lehrende Jacob Gallois flüchten sich in Spott: „Eigentlich gibt es 24 Senatoren, aber jetzt sind es 230 – bei der jüngsten Neubesetzung wurde eine Null hinzugefügt.“ Die Bürgerschaft nennt er eine Institution, die an erster Stelle stehen sollte, aber an letzter steht – „wohl wegen der richtigen Selbsteinschätzung“. Und die Oberalten sind für ihn eine „Körperschaft, die fürs Nichtstun bezahlt wird – die einzige Tätigkeit, der sie angemessen nachkommt“.

Erst mit der europaweiten Revolution 1848 scheint sich etwas zu ändern. Zwar verlaufen die Unruhen in Hamburg weitgehend unblutig, aber den Forderungen nach Demokratisierung kann sich der Rat nicht entziehen. Aus freien Wahlen geht eine „Konstituante“ hervor, die eine Verfassung ausarbeitet.

Die Revolution 1848 verläuft in Hamburg relativ unblutig, zu Unruhen wie hier am Steintor kommt es aber doch.
Die Revolution 1848 verläuft in Hamburg relativ unblutig, zu Unruhen wie hier am Steintor kommt es aber doch. © Ellert & Richter Verlag

Doch schon bald dreht sich der Wind. Überall sind die Konservativen auf dem Vormarsch und drehen das Rad der Zeit zurück. Die Konstituante wird aufgelöst, jetzt legen der Rat und die alte Bürgerschaft einen Entwurf vor. Doch auch der ist den Konservativen noch zu modern. Es folgt ein quälend langes Hickhack unter massivem preußischem Druck, ja nicht zu radikal – also demokratisch – zu werden, bis endlich 1860 eine neue Verfassung in Kraft tritt.

Nach einer Modifizierung 1879 gibt es in der Bürgerschaft, die nun ein Parlament ist, 160 Abgeordnete. Nur die Hälfte wird von den Bürgern gewählt, aber nur von Männern ab 25, die mindestens 1200 Mark pro Jahr versteuern und pünktlich zahlen. Die meisten Hamburger bleiben unter dieser Einkommensgrenze. Die andere Hälfte der Sitze teilen sich die von ihrem eigenen Verband gewählten Vertreter der Grundeigentümer und die „Notabeln“. Das ist eine kleine Gruppe aus Richtern, hohen Beamten und Mitgliedern der Handels- und der Gewerbekammer.

Die Herrschaft der Reichen bleibt also gesichert. Das bringt aber auch Pflichten mit sich. Wer in ein Amt gewählt wird, darf diese Wahl nicht ablehnen, sonst verliert er sein Bürgerrecht. Doch nicht jeder hat Lust, denn die Arbeit in einer Deputation oder gar im Senat ist zeitaufwendig – und so tricksen einige: Sie zahlen ihre Steuer etwas verspätet oder zahlen eine Mark zu wenig, und das hat unweigerlich zur Folge, dass sie nicht mehr wählbar sind. Solchen unhanseatischen Menschen kann man ja kein Amt anvertrauen.

Die neue Bürgerschaft hat zwar durchaus etwas zu sagen, vor allem in Geldfragen, der Senat ist ihr gegenüber aber nicht verantwortlich. Senatoren werden auf Lebenszeit gewählt, außer Kaufleuten dürfen jetzt auch Juristen in das Gremium. Die bekommen das doppelte Gehalt (25.000 Mark pro Jahr), dürfen dafür aber keiner anderen Tätigkeit nachgehen.

Die Wahl der Senatoren ist eher Schauspiel und Farce. Die Bürgerschaft darf zwar mitbestimmen, aber dank eines hoch komplizierten Verfahrens setzt der Senat seine Kandidaten eigentlich immer durch. Der Senat bestimmt dann in der Regel die Dienstältesten als Ersten und Zweiten Bürgermeister, sie lassen sich als „Magnifizenz“ anreden.

Die SPD als die „rote Gefahr“

In der Bürgerschaft entstehen im Laufe der Jahre drei Fraktionen: die „Rechten“, die „Linken“ und die „Linke Mitte“. Aus heutiger Sicht missverständliche Bezeichnungen, denn Lackschuhe tragen sie alle: Es sind Konservative, Liberale und Nationalliberale. Parteien im modernen Sinne gibt es nicht, und die Fraktionen sind ein nur lockerer Verbund. Um 1900 werden dann die Sozialdemokraten immer stärker.

Bei den Reichstagswahlen, bei denen im Unterschied zu den Bürgerschaftswahlen alle Männer das gleiche Stimmrecht haben, gewinnt die SPD nun alle Hamburger Mandate. In der Bürgerschaft ist sie erstmals 1901 vertreten: mit einem einzigen Mandat, das Otto Stolten innehat. Als die SPD nach den Bürgerschaftswahlen 1904 trotz der Wahlrechtsbeschränkungen 13 Abgeordnete stellt, herrscht in der Bürgerschaft Panik.

Der Senat,  angeführt von Bürgermeister Versmann, hält seinen Einzug ins neue Rathaus (Gemälde Hugo Vogels von 1904).
Der Senat, angeführt von Bürgermeister Versmann, hält seinen Einzug ins neue Rathaus (Gemälde Hugo Vogels von 1904). © Ellert & Richter Verlag

Man beschließt eine Änderung des Wahlrechts mit noch höheren Einkommenshürden, obwohl sogar der Erste Bürgermeister Carl Petersen dagegen ist. Das Ganze geht als „Wahlrechtsraub“ in die Geschichte ein und verursacht Massenproteste: Am 17. Januar 1906, dem „Roten Mittwoch“, beteiligen sich 30.000 Arbeiter am ersten politischen Streik der Hamburger Geschichte. Er bleibt zwar erfolglos, aber in der Bürgerschaft bildet sich jetzt eine neue Fraktion der „Vereinigten Liberalen“. Sie wollen – in engen Grenzen – mit der SPD zusammenarbeiten und lehnen Wahlrechtseinschränkungen entschieden ab.

Revolution von 1918

Es sind politisch chaotische Tage, als am 9. November 1918 der Erste Weltkrieg verloren geht, das Kaiserreich zusammenbricht und damit auch in Hamburg ein Arbeiter- und Soldatenrat die Macht übernimmt. Nun weht kurzzeitig die rote Fahne auf dem Rathaus, doch die Sozialdemokratie ist längst gespalten.

Die SPD, die während des Krieges die Politik des „Burgfriedens“ mit der kaiserlichen Regierung betrieben hat, bekommt 1917 eine radikale Tochter: die USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands), aus der an der Jahreswende 1918/19 die KPD hervorgehen wird. Doch die Mehrheit der Hamburger Arbeiter hält treu zur „alten“ SPD, die sich bald durchsetzen kann und auf ein Parlament setzt, statt wie in Russland „alle Macht den Räten“ zu geben.

Am 16. März 1919 wird die neue Bürgerschaft gewählt – das erste demokratische Parlament in Hamburgs Geschichte. Alle ab 21 Jahren dürfen wählen, endlich auch Frauen. Die SPD gewinnt die absolute Mehrheit mit 50,5 Prozent, die USPD kommt nur auf 8 Prozent. Stark schneidet die Deutsche Demokratische Partei (DDP), in der die Vereinigten Liberalen aufgehen, mit 20 Prozent ab. Und von den 160 Abgeordneten sind immerhin 17 Frauen. Eine von ihnen ist Helene Lange, eine Ikone der Frauenbewegung, die als Alterspräsidentin die erste Sitzung leitet.

Der Sieg der SPD hat auch damit zu tun, dass sie die einzige Partei im modernen Sinne ist, bestens organisiert und sehr diszipliniert. Alle anderen sind Neugründungen ohne erfahrenen „Apparat“. Und gerade viele Konservative haben eine Abneigung gegen solche Parteien und hängen dem Alt-Hamburger Ideal nach, wonach Bürger sich für die Allgemeinheit engagieren und ihrem Menschenverstand folgen und nicht einem Parteiprogramm.

Die alte Elite hat verloren – und gehört doch zu den Gewinnern. Denn die SPD will trotz Mehrheit keineswegs durchregieren, sie hat fast panische Angst, die alte Elite zu verschrecken, und glaubt, ohne die Hilfe des Geldadels und des konservativen Beamtentums zu scheitern. Und so verzichtet die Partei auch auf den Posten des Ersten Bürgermeisters und bestätigt den Parteilosen Werner von Melle im Amt, der vor allem als einer der Väter der erst jetzt endlich gegründeten Universität in Hamburgs Geschichte eingeht.

Obwohl die SPD zwölf Jahre lang stärkste Kraft im Parlament bleibt, wird erst 1930 mit Rudolf Roß ein Sozialdemokrat Erster Bürgermeister. Die alte undemokratische Bürgerschaft beweist indes bei ihrer letzten Sitzung im März 1919 noch einmal, wes Geistes Kind sie ist: Eine Universität brauche man nicht, und auch die Einführung der schwarz-rot-goldenen Flagge lehnt sie ab. Nicht etwa aus politischen Gründen, aber Stoff sei doch gerade knapp und viel zu teuer …

Chaotische Jahre und kurze Blüte

Die ersten Nachkriegsjahre sind bitter. Viele Hamburger hungern, und im Juni des ersten Friedensjahres kommt es zu den berühmt-berüchtigten Sülzeunruhen: Als vor einer Fleischerei ein Fass mit verfaulten Kadavern gefunden wird, die eigentlich für die Leimproduktion gedacht sind, glaubt die Menge, dass diese in der Sülze verarbeitet werden, und stürmt den Betrieb.

Der Besitzer wird in die Alster geworfen und überlebt nur knapp, während die wütende Menge andere Fleischfabriken stürmt und tatsächlich üble Missstände vorfindet. Die ganze Stadt ist in Aufruhr, über Jahre angestauter Ärger bricht sich Bahn. Am Ende gibt es 80 Tote, auch weil kaisertreue Freiwilligenkorps wahllos Arbeiter aus den Wohnungen zerren, misshandeln und umbringen.

Der Frust über die harten Bedingungen des Versailler Friedensvertrages sitzt tief; Hamburg ist wegen der Auslieferung weiter Teile der Handelsflotte besonders betroffen. Konservative, Rechte und Kommunisten können mit der Demokratie nichts anfangen und bekämpfen sie von Beginn an. 1920 versuchen die Rechten mit dem „Kapp-Putsch“ den Umsturz, der daran scheitert, dass der Hamburger Gewerkschaftsboss Carl Legien einen Generalstreik organisieren kann.

Im Oktober 1923, während der Hyperinflation, kommt es zum kommunistischen „Hamburger Aufstand“. Die KPD um Ernst Thälmann stürmt in Hamburg Polizeiwachen und blockiert Bahnstrecken – dieses Fanal soll zu Aufständen in ganz Deutschland und dann Mitteleuropa führen und die Weltrevolution auslösen. Etwas zu groß gedacht: Der Aufstand wird blutig und schnell niedergeschlagen, es gibt mindestens 100 Tote und 300 Verletzte.

Wie angespannt das politische Klima ist, zeigt sich auch an einem eher banalen Vorfall aus dem Jahr 1921, als eine Segeljolle auf der Alster von Nationalkonservativen angegriffen und zum Kentern gebracht wird – weil sie auf den Namen „Loving Smile“ getauft ist, in der Sprache der britischen Kriegsgegner.

Mit dem Ende der Inflationsprobleme 1924 beginnt eine nur fünfjährige Phase der Stabilität; diese Zeit ist gemeint, wenn von den „Goldenen Zwanzigern“ die Rede ist. Die politischen Verhältnisse sind stabil – SPD und DDP behalten eine Mehrheit –, und jetzt ist auch etwas Geld da für die vielen Reformprojekte. Dann ändert die Wirtschaftskrise ab 1929 alles. Kommunisten und Nationalsozialisten erstarken mit der Massenarbeitslosigkeit, 1932 wird die NSDAP stärkste Fraktion in der Bürgerschaft. Der braune Terror wird bald auch in Hamburg einziehen.

Teil eins der Serie lesen Sie hier.

Die „Geschichte Hamburgs“ von Abendblatt-Redakteur Sven Kummereincke ist für 25 Euro in der Abendblatt-Geschäftsstelle, unter www.abendblatt.de/shop und im Buchhandel erhältlich. Es hat 224 Seiten und ist im Ellert & Richter Verlag erschienen.