Hamburg. Seit 1. September muss Werbebeleuchtung um 22 Uhr abgeschaltet werden. Betreiber und Senat ignorieren das. Nun justiert Habeck nach.

Seit 1. September gilt bundesweit die „Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen“. Danach ist auch „der Betrieb beleuchteter oder lichtemittierender Werbeanlagen von 22 Uhr bis 16 Uhr des Folgetages untersagt“. Nach der bisherigen Lesart gilt das auch für beleuchtete Namensschilder von Clubs, Kneipen, Restaurants oder Geschäften, es sei denn. ihre Beleuchtung ist für die Sicherheit wichtig.

Sogar auf dem Kiez müssten also um 22 Uhr fast alle Lichter ausgehen. Ein nächtlicher Gang durch St. Pauli aber zeigt: Hier hält sich auch vier Wochen nach ihrer Einführung so gut wie niemand an die Verordnung aus dem Haus des grünen Bundeswirtschaftsministers Robert Habeck. Das hat wohl mehrere Gründe: Erstens wissen viele Betriebe nicht, was denn genau für wen genau gilt. Zweitens gibt es keinerlei systematische Kontrollen, wie die zuständige Umweltbehörde auf Abendblatt mitteilt. Und drittens gibt es bisher auch keinerlei Strafen für Betriebe, die die Vorgaben ignorieren.

Energiekrise Hamburg: „Der Kiez ist ein Gesamtkunstwerk"

Die Folge: Kaum ein Betrieb auf dem Kiez befolgt die Licht-aus-Regel. „Es ist klar, dass die Beleuchtung wichtig ist, für den Standort und die Sicherheit“, sagt Lars Schütze, der Vorsitzende der IG St. Pauli. „Der Kiez ist ein Gesamtkunstwerk. Wenn die Lichter ausgehen, ist die Stimmung weg, dann wird es schwierig.“ Zudem hätten viele Betriebe längst auf sparsames LED umgestellt.

In der dafür verantwortlichen Umweltbehörde ist man offenbar nicht gewillt, Habecks Sparregeln durchzusetzen. Stattdessen heißt es aus dem Haus des grünen Umweltsenators Jens Kerstan, man führe Gespräche mit Vertretern des Kiezes, um eine „verhältnismäßige Lösung“ zu finden. Das hört sich so an, als könnten die Bundesländer die Vorgaben des Bundes nach Gusto aufweichen. Das allerdings ist nicht vorgesehen. Die Länder können die Habeck-Vorgaben keinesfalls eigenmächtig auslegen, das räumt auf Nachfrage auch die Umweltbehörde ein – vielmehr sollen sie sie durchsetzen, was Hamburg bisher offenkundig nicht tut.

Umweltbehörde kontrolliert nicht - aber kritisiert Habeck

„Der Vollzug dieser Verordnung liegt bei den Ländern“, betont auf Abendblatt-Nachfrage auch eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministers. „Wie und durch wen die Vorschriften von den Ländern überwacht werden, liegt in deren Ermessen. Auch wenn wir keine Bußgeldvorschriften erlassen haben, heißt das nicht, dass die Vorschriften sanktionslos bleiben müssen. Die Länder können aufgrund allgemeiner Landesregeln tätig werden.“

In der Umweltbehörde von Habeck-Parteifreund Kerstan erklärt man die eigene Untätigkeit unter der Hand auch mit einer enormen Überlastung. Offiziell verweist man darauf, dass „bei einigen Vorschriften Unklarheit bei der Auslegung“ bestehe. „Mangels Auslegungshilfen des Bundes gibt es hier Spielraum“, so die Kerstan-Sprecherin. Das ließe sich auch als Vorwurf an Habeck lesen, unklare Regeln gemacht zu haben.

Regeln für Betriebe teilweise unklar

Tatsächlich ist auch vielen Betrieben nicht klar, welche Beleuchtung abgeschaltet werden muss und welche nicht. Schaufensterbeleuchtung etwa ist laut City-Managerin Brigitte Engler ausgenommen. „Die Straßenbeleuchtung in der Mönckebergstraße ist darauf abgestimmt, wie hell die Schaufensterbeleuchtung ist“, so Engler. Ohne diese wäre es zu dunkel und unsicher.

Schriftzüge, die auf einen Betrieb hinweisen, seien dagegen abzuschalten. Schaufensterlicht an, Namensschild aus – das sei oft auch technisch nicht einfach machbar, so Engler. Denn bisweilen hingen beide Beleuchtungen an einem einzigen Stromkreis. „Ich hoffe, dass die Umsetzung mit Augenmaß verfolgt wird“, so Engler. Denn der Handel habe sich auch noch nicht voll von der Pandemie erholt.

Handelskammer hält Vorgaben für „völlig praxisfern“

Auch in der Handelskammer gibt es Kritik an den bisherigen Vorgaben. „Gerade auf St. Pauli ist eine Regelung, die das Abschalten von Beleuchtung ab 22 Uhr vorsieht, völlig praxisfern“, sagte Marcus Troeder, Leiter der Abteilung Tourismus, Handel und Kultur. „Dafür braucht es Ausnahmen in der Energiesparverordnung. Grundsätzlich helfen kleinteilige Verordnungen den Unternehmen nicht bei der Bewältigung der aktuellen Lage. Die Betriebe aus der Kultur, dem Veranstaltungsbereich sowie dem Gastgewerbe haben sich zum Energiesparen bekannt. Sie unternehmen im Sinne der gesellschaftlichen Solidarität und auch im eigenen wirtschaftlichen Interesse alles, um Einsparungen vorzunehmen.“

Die aktuelle Regelung zur Abschaltung der beleuchteten Werbung hält auch Ulrike von Albedyll, Landesgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), für nicht optimal. „Die Außenbeleuchtung ist nur ein minimaler Teil der Energiekosten einer Gastronomie, und auch hier sind die meisten Betriebe St. Paulis bemüht, die Zeiten zu minimieren. Während der Betriebszeiten eines Ladens muss es jedoch möglich sein, die notwendige Beleuchtung einzuschalten.“

Energiekrise: Schmidts Tivoli hält sich an Regeln

Immerhin ein Betrieb hält sich nach eigenen Angaben weitgehend an den Habeck-Stundenplan. „Wir haben sowohl unsere Fassadenbeleuchtung als auch unsere Außenwerbung im Sinne der Verordnung zeitlich eingeschränkt“, sagt Tessa Aust vom Schmidts Tivoli.

Nach Abendblatt-Informationen könnte sich die unübersichtliche Lage bald immerhin ein wenig aufklären. So soll die Zeit des Verbots beleuchteter Werbung von 22 auf 6 Uhr (statt 16 Uhr) verkürzt werden, wie das Bundeswirtschaftsministerium auf Abendblatt-Anfrage mitteilte. Und es sollen „Ausnahmeregelungen für Werbeanlagen hinzugefügt werden, die während der Öffnungszeiten auf Gewerbe und Beruf am selben Ort hinweisen, sowie für Werbeanlagen, die während Sport- und Kulturveranstaltungen in Funktion sind“. Mithin: Clubs oder Restaurants dürfen ihre Schilder bald wieder auch offiziell leuchten lassen, solange sie geöffnet sind.

Energiekrise Hamburg: Naturschützer fordert Aus für den Dom

Derweil mehren sich die Stimmen, die die bisherigen Sparbemühungen für nicht ausreichend halten, um diesen Winter zu überstehen. „Wenn wir da halbwegs heil durchkommen wollen, muss jetzt wirklich Schluss mit lustig sein“, sagt Malte Siegert, Hamburger Chef des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu). Das sei aber vielen Bürgern nicht klar -- weil es die Politik auch nicht klarmache. „Da feiert sich die Stadt mit Cruise Days oder Hafengeburtstag selber ab und lässt es zu, dass wirklich völlig unnötig wasser- und landseitig ein Haufen Energie verballert wird, um drei Tage später die Energiesparkampagne ,Hamburg dreht das‘ auf den Weg zu bringen“, moniert Siegert. „Wer soll denn das ernst nehmen? Um die Bevölkerung wirklich mitzunehmen, hätten Politik und Verwaltung sie längst schmerzlich spüren lassen müssen, dass sich Dinge verändern.“

Er wünsche sich „mehr Beteiligte – auch in der Opposition –, die statt unsäglicher Parteipolitik auch mit unpopulären Vorschlägen mithelfen, die Gesellschaft mit möglichst wenig Schäden durch diese größte Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zu bringen“, so der Nabu-Vorsitzende. Der „Verzicht auf Spaßveranstaltungen wie Hafengeburtstag, Dom oder Weihnachtsmarkt“ wäre zwar „bitter, und vor allem Schausteller müssen dafür entschädigt werden“, so Siegert. „Aber es wäre weit mehr als ein Symbol. Es würde zeigen: Wir meinen es wirklich ernst.“