Hamburg. Über 25.000 Besucher lassen sich auf dem Spielbudenfestival von Clowns und Artisten begeistern – und lachen Tränen. Einige Eindrücke.

Henning, der Unfreiwillige aus dem Publikum, hat seine tragende Rolle als Leiterhalter nicht auf Anhieb kapiert. „Bist Du Beamter?“, will Straßenkünstler Jens Ohle via Lautsprecher wissen. Sodann beweist der wortgewandte Artist, dass guter Klamauk keiner großartigen Ausstattung bedarf. Die Zutaten neben der Sprossenleiter: ein Hochrad, drei Fackeln, eine angeschlagene Bratpfanne, ein Sixpack Eier.

Damit zieht der Unterhaltungsprofi aus Bergedorf eine grandiose Nummer ab. Die Leute auf dem Spielbudenplatz, junge wie ältere, lachen Tränen. Nach 30 Minuten gibt’s Applaus satt – und Bargeld nicht zu knapp. „Hutgeld“, so heißen die kleinen Gaben in die Cap eines Kindes in Reihe eins, ist das Honorar für die Könige des Spielbudenplatzes.

Spielbudenfestival Hamburg lockt mit bizarren Angeboten

Der historische Veranstaltungsort macht seinem Namen alle Ehre: Eingangs der Reeperbahn, am Millerntor, lockten einst Holzbuden mit bizarrem Angebot. Gaukler, Ganoven, Zauberer, Quacksalber und weitere schillernde Paradiesvögel zogen Neugierige in ihren Bann. Irgendwann stellten die Hagenbecks dort exotische Tiere zur Schau. „Diese Tradition volksnaher Straßenkunst und kurioser Kabinettstückchen wollen wir wiederbeleben“, sagt Theatermacher Corny Littmann beim Gang über das Festgelände.

Da hatte sich der 69 Jahre alte Impresario von den Strapazen des Vorabends erholt: Trotz ausgeprägter Höhenangst war er, auf dem Trapez unter einem schweren Motorrad sitzend, über das Gelände transportiert worden – auf einem dünnen Drahtseil, in 40 Metern Höhe. Dieses Vabanquespiel hatte an den Nerven geknabbert.

Stiftung für Kunst & Kultur trägt die Kosten

Gemeinsam mit dem Berufsclown und Komiker Bernd Busch initiierte Littmann die zweite Auflage des Internationalen Spielbudenfestivals. Die Kosten von mehr als 100.000 Euro trägt seine Stiftung für Kunst & Kultur. Auch die Stadt beteiligte sich an einem kunterbunten Programm mit 25 Aktivisten aus mehreren Ländern. Die Gaudi gibt’s gratis. Mehr als 25.000 Zuschauer besuchten das dreitägige Spektakel. Die Einladung beinhaltete die Bitte, Kleingeld mitzubringen. Für die Hüte.

Wer führt hier wen vor? Leonid Beljakov mit einem seiner drei Hunde.
Wer führt hier wen vor? Leonid Beljakov mit einem seiner drei Hunde. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Unbekannt

Festivalleiter Bernd Busch weiß um den Wert. Der examinierte Musikpädagoge aus Thüringen, seit Jahrzehnten als Clown und Komiker im Geschäft, ist im Auftrag der Littmann-Stiftung federführend für Auswahl und Buchen der Attraktionen. Neben der zwölfköpfigen Hochseiltruppe der Geschwister Weisheit, besetzt von Familienangehörigen zwischen vier Jahren und Anfang 60, gehören der Pingpong-Jongleur Jay Che aus Singapur, der Stangenakrobat Noah Chorny sowie der Comedy-Zauberer Tobi van Deisner dazu. Letzterer, ein schräger Fürst erster Klasse, bringt mit dem Motto seiner Show die Sache auf den Punkt: „Föhnt dich weg!“.

Besucher werden von Flammlachs und Naschkram gelockt

Bevor das Gebläse in Gang gesetzt wird, sind die Haare nass: Zwei abgefahrene Clowns mit fantasievollen Kostümen und irren Helmen fahren mit einem skurrilen Feuerwehrwagen umher. Wasserspritzen und Tamtam entzücken nicht nur den Nachwuchs. Auf sechs Spielflächen geht’s im halbstündigen Rhythmus rund. Dazwischen offerieren Buden Schaumeis wie vom Dom, am offenen Buchenholzfeuer gegarten Flammlachs, Grillspieße, Schafskäse „Kräuterglück“ und Naschkram.

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Vis-à-vis des Tivoli fetzt die Zirkusartistin Bikerina, dass es eine Lust ist. Sie vollbringt das Kunststück, sich ihrer bunten Hose zu entledigen, derweil sie auf dem Einrad balanciert. Kinder auf den Bierbänken kreischten bereits beglückt beim Anblick der an den Seiten hochtoupierten Frisur. Ganz viel Beifall für Bikerina. Ein Hingucker folgt dem nächsten. Remmidemmi pur. Auf dem Sommerdeck präsentiert Leonid Beljakov eine tierische Hundeshow. Sein Boxer und zwei Artgenossen werfen die Frage auf: Wer führt hier eigentlich wen vor – und an der Nase herum?

Das gebotene Programm ist reine Kunst

„Unser Festival ist das zeitgemäße Zurück zu den Wurzeln der Straßenkunst“, philosophiert Corny Littmann bei Sprudelwasser und E-Zigarette. Professionelle Akrobatik, gepaart mit Wortwitz und Stegreifspaß, habe nichts zu tun mit Musikern in den Einkaufsstraßen. Es handele sich um Kunst, hart erarbeitet, gekonnt einstudiert. Und so locker vom Hocker dargeboten, mit spontanen Sprüchen gewürzt, dass der Auftritt gar nicht nach Arbeit aussieht. Ist er jedoch sehr wohl. Die Geschwister Weisheit sind mit einem Dutzend Lkw aus Gotha angereist. Staunen ist ihr Geschäft.

Heimspiel: Artist Jens Ohle aus Hamburg jongliert hoch oben auf dem Rad.
Heimspiel: Artist Jens Ohle aus Hamburg jongliert hoch oben auf dem Rad. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Unbekannt

Fast alle waren dabei, als auf dem Spielbudenplatz am Sonntag um 11.30 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst zelebriert wurde. Auch das ist Littmann. Im Anschluss moderierte Comedymaster Konrad Stöckel, der mit der extravaganten Wuschelfrisur, einen Familienzirkus. Später beeindruckt die spanische Theatergruppe Cia La Tal. Untermalt von Jahrmarktmusik führen Spielleute, Ritter und Narren ein poetisches Glockenspiel auf – faszinierend sprachlos.

Spielbudenfestival Hamburg: Heimspiel für Jens Ohle

Als Einziger beim Festival hat Jens Ohle Heimspiel. Die neun jeweils 30-minütigen Spektakel zählen zu den Brüllern der drei Tage. Mehr als 300 Zuschauer sind aus dem Häuschen, als der artistische Comedian aus dem Südosten Hamburgs auf seiner Leiter loslegt. Nach dem ersten Opfer Henning fischt er Finn, nach eigenen Angaben Unternehmensberater, dann die pfiffige Hanna aus dem Publikum. Widerstand zwecklos. Mit vereinten Kräften soll’s erneut Spiegelei geben. Das erste rohe Ei zerplatzt auf dem Pflaster. „Der Beweis“, ruft Herr Ohle, „alles echt hier.“