Hamburg. Erstmals seit 1978 wird in Hamburg wieder ein gemeinsames Tennisturnier für Damen und Herren gespielt. Das bringt viele Veränderungen.

Sie war noch lange nicht geboren, als die Hamburger Fans zum bislang letzten Mal am Rothenbaum erleben durften, wie Damen und Herren in derselben Turnierwoche um die Titel kämpften. 44 Jahre ist es her, dass sich die Jugoslawin Mima Jausovec (65) und der Argentinier Guillermo Vilas (69) gemeinsam in der Siegerliste des traditionsreichsten deutschen Tennisturniers verewigten. Doch bevor Ende kommender Woche die Nachfolger der beiden ehemaligen French-Open-Sieger feststehen werden, hat Lisa Fuchs die Neuauflage des kombinierten Events, das an diesem Sonnabend (11 Uhr) mit der Qualifikation startet, mit einem bemerkenswerten Satz eingeläutet.

„Wir wollen in diesen Zeiten, in denen auf der Welt oft hervorgehoben wird, was die Menschen trennt, zeigen, dass ein Miteinander wichtig und möglich ist“, sagt die 27-Jährige. Ein Satz ist das, der etwas pathetisch klingen mag, aber als Motto für die neun Veranstaltungstage gelten könnte, die für das Team um Turnierdirektorin Sandra Reichel eine Herausforderung darstellen, die es bislang nicht kannte. Wenige Tage vor Turnierstart hat das Abendblatt zu ergründen versucht, was sich durch die Ausrichtung eines kombinierten Turniers verändert, und auf der Anlage zwischen Hallerstraße, Hansastraße, Rothenbaumchaussee und Mittelweg Gespräche mit Reichels Team geführt.

Tennisturnier: Damen und Herren am Rothenbaum

Den offiziellen Leitspruch haben alle Mitarbeitenden, die an einem gelben Armband mit der Aufschrift „Cool Team“ zu identifizieren sind, längst verinnerlicht: „Strong alone, unstoppable together“ – alleine stark, gemeinsam unaufhaltsam. Das ist der Österreicherin Reichel besonders wichtig. „Ich habe das beste Team der Welt“, pflegt die 50-Jährige zu sagen. Auch wenn sie ein Mensch ist, der gern Kontrolle und Überblick über das Ganze behält, vertraut sie auf die Fähigkeiten, die Helferinnen und Helfer einbringen. Das muss sie auch, denn könnte sie das nicht, wäre der Aufwand, der vor ihrer Mannschaft liegt, kaum zu stemmen.

Die Österreicherin Sandra Reichel ist seit 2019 Turnierdirektorin am Rothenbaum.
Die Österreicherin Sandra Reichel ist seit 2019 Turnierdirektorin am Rothenbaum. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Seit 2019 und noch bis 2023 hat Sandra Reichel gemeinsam mit ihrem Vater Peter-Michael Reichel (69) das Recht, das Herrenturnier der 500er-Kategorie (500 Weltranglistenpunkte für den Sieger, dritthöchste Kategorie nach Grand Slam und Masters) in Hamburg auszurichten. Die Lizenz dafür, die die Herrentennisorganisation ATP ausschreibt, hält der Deutsche Tennis-Bund (DTB). Im vergangenen Jahr erwarben die Reichels zusätzlich eine 250er-Lizenz von der Damenorganisation WTA. Das Ziel war schon damals, beide Turniere innerhalb einer Woche auszurichten. In Deutschland hat Hamburg damit ein Alleinstellungsmerkmal, nur Stuttgart hat ein Damen- und Herrenturnier, diese sind allerdings zeitlich und räumlich getrennt. In Halle und München spielen nur die Herren, in Berlin, Bad Homburg und Karlsruhe nur die Damen. Weltweit gibt es in 2022 neben den vier Grand-Slam-Turnieren nur acht weitere Events, die Damen und Herren vereinen.

Kombiniertes Tennisturnier 2021 zeitlich nicht möglich

2021 war die Zusammenführung in Hamburg angesichts der Kürze der Vorbereitungszeit nicht möglich, die Damen traten deshalb in der Woche vor den Herren an. Nun aber wächst zusammen, was für viele Tennisfans zusammengehört – und wer sich an die Zeiten bis 2008 erinnert, in denen Hamburg Standort für ein ATP-Masters war, vermutet zunächst einmal, dass die Veränderungen kaum gravierend sein dürften. Schließlich wurde damals mit einem 64er-Hauptfeld gespielt. Nun sind es zwei 32er-Hauptfelder, die Anzahl der Teilnehmenden also ist identisch. „Der große Unterschied ist aber, dass wir es mit zwei unterschiedlichen Dachverbänden zu tun haben, bei denen sich viele Dinge unterscheiden. Alles unter einen Hut zu bringen ist die große Herausforderung“, sagt Lisa Fuchs.

Als ehemalige Skirennfahrerin weiß die Österreicherin, die seit der Übernahme der Reichels zum Team gehört, genau, was für professionelle Athleten zählt. Wie gut also, dass ihr Aufgabenbereich, den sie mit dem Organisationstalent und der Ruhe einer gelernten Bergführerin erledigt, die Betreuung der Spielerinnen und Spieler umfasst. Ihre größte Herausforderung ist, dass – anders als während der Masters-Jahre – eine räumliche Trennung der Umkleidebereiche notwendig ist. „Da hat uns in die Karten gespielt, dass die Anlage 2020 komplett renoviert wurde. So können wir die Herren komplett im Erdgeschoss der Südtribüne unterbringen und die Damen im Obergeschoss“, sagt sie. Auch die Physiotherapeuten, geführt vom erfahrenen Turnierärzteteam um Volker Carrero und Niklas Hennecke – vier für die WTA, sechs für die ATP –, werden diesmal in getrennten Bereichen arbeiten.

Rothenbaum: 75 Schiedsrichter und 100 Ballkinder

Mit Björn Kroll steht der Athletenbetreuerin der Leiter der Personalplanung zur Seite, der seit zwölf Jahren – also auch schon unter Reichels Vorgänger Michael Stich – für die Kooperation mit dem Teamhotel Grand Elysée am Dammtor zuständig ist. „Wir haben an einigen Tagen ein Kontingent von 300 Zimmern, das ist ein Zuwachs von 50 Prozent im Vergleich zu 2021“, sagt der 44-Jährige, der sich in den Wochen vor Turnierstart als Personalchef um das Rekrutieren von freiwilligen und festen Hilfskräften kümmert und deshalb die Veränderungen im Vergleich zu den Vorjahren an Zahlen festmachen kann.

Lisa Fuchs ist als Athletenbetreuerin für das Wohlergehen aller Profis verantwortlich, Björn Kroll kümmert sich als Personalleiter um alle freiwilligen und festen Helfenden.
Lisa Fuchs ist als Athletenbetreuerin für das Wohlergehen aller Profis verantwortlich, Björn Kroll kümmert sich als Personalleiter um alle freiwilligen und festen Helfenden. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

So braucht es in diesem Jahr knapp 100 Ballkinder, während man früher mit rund 70 auskam. Die Zahl der Volunteers, der freiwilligen Unterstützer, wuchs von 60 auf gut 85. 75 Schieds- und Linienrichter werden benötigt; so viele wie 2021, allerdings diesmal innerhalb einer Woche. Nur in der Wäschekammer verzichtet Birgit Schramm, Lehrerin im Hauptberuf und in ihren Ferien als großer Tennisfan froh über die persönlichen Kontakte, auf zusätzliche Unterstützung bei der Befüllung der vier Maschinen und vier Trockner.

Treue Mitarbeitende am Rothenbaum

Warum sich die Zahlen der Mitarbeitenden nicht verdoppeln, kann Björn Kroll auch erklären. „Wir können die Schichten so verändern, dass alle etwas mehr arbeiten, aber dennoch genug Möglichkeiten haben, in ihren Pausen selbst Tennis zu schauen“, sagt er. Dank der Arbeitszufriedenheit liege die Quote derjenigen, die über viele Jahre wiederkommen, bei mehr als 50 Prozent. „Und das ist uns wichtig, denn dadurch können wir auf große Erfahrung bauen“, sagt er.

Erfahrung ist eine Eigenschaft, die Alex Grabowsky wie kein anderer verkörpert. Seit 1995 ist der gebürtige Frankfurter, der seit zwölf Jahren in Hamburg lebt, Mitglied im Fahrdienst, den er mittlerweile gemeinsam mit seiner Tochter Nina (22) leitet. Der Vater, der mit seiner Agentur Evants das gesamte Jahr über Fahrdienste offeriert, koordiniert im Hotel die Flotte, die E-Mobility-Partner Mercedes-Benz in diesem Jahr ausschließlich mit Elektrofahrzeugen bestückt. Die Tochter steht auf der Anlage als Ansprechpartnerin bereit, immer in Begleitung von Familienhund Sir Winston, einem Golden Doodle mit eigenem Social-Media-Account.

Fahrdienstleiter Alex Grabowsky mit seiner Tochter Nina Grabowsky, die ihn auf der Anlage unterstützt, und Familienhund Sir Winston, der einen eigenen Social-Media-Account hat.
Fahrdienstleiter Alex Grabowsky mit seiner Tochter Nina Grabowsky, die ihn auf der Anlage unterstützt, und Familienhund Sir Winston, der einen eigenen Social-Media-Account hat. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Sandra Reichel will Frauen fördern

21 Wagen, von der E-Klasse bis zum Minivan, stehen rund um die Uhr bereit, dazu verkehren Shuttlebusse zwischen der ausgelagerten Trainingsstätte beim Eimsbütteler TV am Lokstedter Steindamm und der Anlage. „2021 waren es 14 Fahrzeuge und ein Pool von 23 Fahrern, auf den ich zurückgreifen konnte. In diesem Jahr sind es 35, zwölf davon weiblich, was mir sehr wichtig ist, denn in Begleitung einer Frau verhalten sich Männer mit viel mehr Anstand“, sagt Alex Grabowsky.

Sandra Reichel freut sich über diese Aussage. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, Frauen zu fördern, um Gleichberechtigung vorzuleben, im Denken aller zu verankern und Klischees entgegenzutreten. Auch deshalb hat sie die Position des „Head of Operations“ im technischen Bereich mit Sabrina Watzenböck besetzt. Die 28 Jahre alte Österreicherin koordiniert die gesamte technische Ausstattung des Geländes und ist Ansprechpartnerin für die TV-Produktionsfirmen. Normalerweise arbeiten ATP und WTA mit separaten Unternehmen, in diesem Jahr einigte man sich, das World Feed, das Weltsignal für die Liveübertragung in mehr als 100 Länder, von der Firma AKK produzieren zu lassen. Diese hat rund 35 Mitarbeitende im Einsatz, dazu kommen zehn Angestellte des italienischen Subunternehmens Crionet, die das Spielgeschehen auf den anderen drei Matchcourts einfangen.

Innenarchitektin für Tennisturnier engagiert

Eine Besonderheit von kombinierten Turnieren ist, dass ATP und WTA unterschiedliche Sponsoren einbringen, die auf den Banden rund um den Court, aber auch im Netz, das die Spielhälften trennt, erkennbar sein müssen. Weil sich im Spielplan Damen und Herren abwechseln, muss das Unternehmen Tespo, das sich seit 1987 um die Instandhaltung der Sandplätze kümmert, mithilfe von Volunteers innerhalb der vorgeschriebenen Zeit von zehn Minuten den Umbau schaffen.

Sabrina Watzenböck, fest angestellt bei Reichels Agentur Matchmaker, arbeitet eng mit Minou Farkhondeh zusammen. Die Innenarchitektin aus Düsseldorf, Mitgründerin des Onlinehändlers cubit-shop.com für modulare Möbelsysteme, ist freiberuflich für die optische Gestaltung der Anlage zuständig. Die größte Herausforderung für die beiden ist, dass das Areal in diesem Jahr von der doppelten Anzahl an Tennisprofis benutzt wird. So werden nicht nur fünf statt bislang drei Matchcourts plus sechs Trainingsplätze am Rothenbaum zuzüglich der drei bis vier beim ETV benötigt. Auch der Spielerbereich, der bislang bequem unter der Südtribüne Platz fand, muss erweitert werden.

Tim Mälzer sorgt für kulinarische Highlights

Die Lösung für dieses Problem bot Der Club an der Alster, der bis 2049 das Erbbaurecht auf der Anlage hält und auch Eigentümer des Stadions ist, der seine 800 Quadratmeter große Hockeyhalle zur Verfügung stellt. Dort sind nun das Spielerrestaurant, in dem wie in den Vorjahren Tim Mälzer mit seiner Speisenwerft das Catering verantwortet, ein großer Gaming-Bereich und eine Players Lounge untergebracht. Auch Alsters Fitnesscenter und die Club-Gastronomie, die während der Turnierphase ebenfalls von der Speisenwerft betrieben wird, dürfen genutzt werden. „Das hat die Lage entspannt und dazu geführt, dass wir den Rest der Anlage so nutzen können wie vor der Corona-Pandemie“, sagt Minou Farkhondeh (47).

Das bedeutet, dass es auf dem Hockeyplatz im Schatten der Osttribüne den gewohnten Public-Bereich mit einer großen LED-Wand und einer Bühne für Interviews und Livemusik geben wird, dazu ein deutlich breiteres Angebot an Speisen und Getränken für die Gäste als während der beiden Pandemie-Jahre, als die Zuschauerzahl im 10.000 Besucher fassenden Center-Court streng limitiert war. Das freut Carla Nareyka ganz besonders. Die 26-Jährige, die ebenfalls aus Österreich stammt und mit den Reichels nach Hamburg kam, ist „Head of Side Events and Sponsoring Relations“ und in dieser Position dafür zuständig, alle Aktionen abseits des Spielbetriebs zu koordinieren.

Tennisturnier mit zwei Inklusionstagen

„Doppelt so viele Teilnehmer bedeutet doppelt so viele Autogrammstunden, denn die Sponsoren wünschen explizit ein gleiches Verhältnis von Damen und Herren“, sagt sie. Während der vergangenen beiden Jahre war Carla Nareyka, deren Vater österreichische Profis managt und ein Schulfreund Sandra Reichels ist, in erster Linie für die Einhaltung der Corona-Regeln zuständig. „Die Rückkehr zur Normalität ist für alle ungewohnt. Ich bin sehr gespannt, wie das nun bei doppelter Intensität gelingt“, sagt sie.

Carla Nareyka ist „Head of Side Events and Sponsoring Relations“.
Carla Nareyka ist „Head of Side Events and Sponsoring Relations“. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Ganz besonders wichtig sind ihr die beiden Inklusionstage am Freitag und Sonnabend kommender Woche, an denen in Kooperation mit der Alexander-Otto-Sportstiftung der Fokus auf Rollstuhltennis und die Integration von Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung gelenkt werden soll. Als Unterstützung hat sie in diesem Jahr das frühere Hamburger Toptalent Lisa Matviyenko (24), deren Schwester Eva Lys (20) dank einer Wildcard im Hauptfeld startet, an ihrer Seite.

Social-Media-Chefin aus New York

Um die vielen Aktionen und Neuerungen dem interessierten Publikum näherzubringen, wurde auch die Social-Media-Abteilung aufgestockt. Acht Mitarbeitende setzen das Turnier multimedial in Szene. Geleitet wird das Team von Kristie Ahn. Die 30-Jährige, die in New York lebt, hatte während der Pandemie mit aufmunternden Posts mit Tennis-Bezug auf sich aufmerksam gemacht. Nachdem sie im März ihre Karriere beendet hatte, nahm Medienchefin Inga Radel Kontakt zu ihr auf und überzeugte sie davon, am Rothenbaum ihrer Leidenschaft nachzugehen. „Nun bin ich hier, das erste Mal überhaupt in Deutschland, und freue mich sehr darauf, das Miteinander bei einem kombinierten Turnier in die Welt zu tragen.“

Ex-Profi Kristie Ahn führt das Social-Media-Team in diesem Jahr an.
Ex-Profi Kristie Ahn führt das Social-Media-Team in diesem Jahr an. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Dieses Miteinander vor Ort erlebbar zu machen, das ist die Aufgabe von Ann-Berit Kerker. Die 32-Jährige ist seit 2014 für das Ticketing zuständig und kann eine wichtige Neuerung verkünden. So wird es in diesem Jahr erstmals seit 2018 wieder Ground-Tickets geben. Eintrittskarten also, mit denen man zu günstigeren Kon­ditionen auf den Nebenplätzen Tennis schauen oder die Anlage kennenlernen kann. „Das ist ein wichtiges Element, um Menschen wieder an das Erlebnis Live-Tennis heranzuführen“, sagt sie.

Ann-Berit Kerker leitet das Ticketing und freut sich auf viele Besucher.
Ann-Berit Kerker leitet das Ticketing und freut sich auf viele Besucher. © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Der Vorverkauf lief, ähnlich wie in den Vorjahren, in Wellenbewegungen. „Rund um Weihnachten war es super, dann kam eine Delle, bis die Teilnehmerfelder feststanden, seitdem läuft es wieder sehr gut“, sagt Ann-Berit Kerker, die in diesem Jahr wieder mehr Personal an den Tageskassen einsetzen wird. „Schließlich hoffen wir, dass viele Menschen, die noch vorsichtig sind, sich spontan für einen Besuch entscheiden.“ Dazu bräuchte es neben sportlich hochwertigem Programm gutes Wetter. Vorausgesagt ist eine Hitzewelle mit kaum Niederschlag. Aber da in Hamburg gilt, dass man sich auf die meteorologische Prognose nicht verlassen sollte, bleibt das Bangen um Petrus’ Gnade eine Konstante in einem Jahr voller Veränderungen.