Hamburg. Auf Entenwerder flüchten Aale an Land, um Sauerstoff zu bekommen. Zustände sind so schlimm wie noch nie: “Es stirbt ein Ökosystem“.
So schlimm war das Fischesterben in der Elbe in Hamburg noch nie, behaupten Umweltschützer. „Es stirbt ein Ökosystem und ganze Jahrgänge von Jungfischen“, sagt Paul Schmid vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Die im Aktionsbündnis lebendige Tideelbe zusammengeschlossenen Umweltverbände BUND, Naturschutzbund (Nabu) und World Wide Fund For Nature (WWF) schlagen Alarm.
Nachdem bereits in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass das sommerliche „Sauerstoffloch“ in der Elbe deutlich größere Ausmaße angenommen habe als in den vergangenen Jahren, setze jetzt ein dramatisches Fischsterben ein.
Der Unterschied zu anderen Jahren sei die Ausdehnung der sauerstoffarmen Zonen: Im Hafenbereich sowie bis Wedel und weit hinter die Bunthäuser Spitze sei die Saumerstoffkonzentration auf Werte von unter zwei Milligramm pro Liter abgesunken: Die Elbe in Hamburg sei für Fische tödlich, sagt Tideelbe-Referentin Linda Kahl vom BUND Hamburg. „Das ist dramatisch. Bei Werten um 2,0 Milligramm pro Liter ist das Ersticken für alle Fischarten relativ sicher. Gerade die Jungfische sind absolut nicht in der Lage so zu navigieren, dass sie diesen Todeszonen ausweichen können.“
Fischsterben in Elbe betrifft auch Stör-Bestand
Hier würden nicht nur die Fische sterben, hier sterbe ein Ökosystem, warnen die Umweltverbände. „Seit Jahren wird der Nachwuchs der ehemals in Massen vorkommenden Stinte im Sommer von den schlechten Sauerstoffwerten in der Elbe vernichtet – jetzt trifft es verstärkt auch die Altfische und weitere Fischarten.“ Sogar Exemplare des Europäischen Störs von bis zu 1,5 Metern Länge wurden tot aufgefunden, so BUND-Sprecher Paul Schmid. Diese hatten bislang seit mehr als zehn Jahren in der Elbe überlebt.
Im schlimmsten Fall könne das derzeitige Massensterben enorme Auswirkungen auf die Wiederansiedlung des Europäischen Störs haben. David Kappenberg, Sprecher der Umweltbehörde: „Der aktuelle Bestand dieser Art beschränkt sich auf wenige Hundert Exemplare, verteilt über nur wenige Altersstufen. Störe werden erst mit circa 15 Jahren geschlechtsreif. Entsprechend gravierend kann der Ausfall bereits weniger fortpflanzungsreifer Tiere sein“, sagt der Behördensprecher.
Heimliches Massensterben in der Elbe
„Im Bereich Entenwerder flüchten Aale aus der Elbe an Land, um Sauerstoff zu bekommen, "dabei können sie mit ihren Kiemen außerhalb des Wassers gar keinen Sauerstoff aufnehmen“, sagt Paul Schmid. Für den normalen Elbspaziergänger sei die Dramatik kaum zu erkennen und spiele sich im Verborgenen ab, da die Elbe so trüb sei, dass die Fische nicht zu sehen seien. Schmidt: „Und wenn die Fische an der Wasseroberfläche schwimmen, werden sie sofort von Möwen geholt.“ Flunder, Scholle, Rapfen und auch die Finten, die derzeit in der Elbe sind, verendeten in Massen. Auch hier sterbe ein kompletter Jahrgang aus. Für Fische sind die derzeitigen Werte aber immer noch tödlich. Die Sauerstoffsättigung im Hafen lag zuletzt bei rund 20 Prozent, sagt Behördensprecher David Kappenberg.
Das entspricht etwa 1,7 Milligramm gelöstem Sauerstoff pro Liter. An der Messstation Bunthaus wurden Werte von 1,5 Milligramm pro Liter gemessen, das entspricht einer Sauerstoffsättigung von 19 Prozent. Das ist laut Behörde und Umweltverbänden zu wenig. „Es sind alle Fisch- und Neunaugenarten betroffen, die in der Tideelbe vorkommen“, so Kappenberg. Die Zone mit geringen – weniger als 4,0 mg/l - und sehr geringen – weniger als 2,0 mg/l – Sauerstoffkonzentrationen innerhalb der Hamburger Tideelbe erstrecke sich über eine Strecke von etwa 45 Kilometern.
Umweltschützer sehen Schuld bei Elbvertiefung
Als mögliche Ursache für den Sauerstoffmangel nennt die Behörde mehrere Gründe: In den schiffbaren Tiefen der Tideelbe ist es unterhalb von einem Meter zu dunkel für sauerstoffproduzierende Photosynthese. Die deshalb absterbenden Algen verbrauchen stattdessen Sauerstoff. Ist es dazu warm und sonnig, wird der Prozess beschleunigt. Im Sommer sei das regelmäßig in der Elbe zu beobachten, „wobei die Ausprägung in diesem Jahr besonders kritisch ist“, so Kappenberg. Zudem bleibe derzeit das hilfreiche sauerstoffreiche Wasser aus der Mittelelbe aus. Das bei Ebbe nach Hamburg fließende Wasser aus dem Stauwehrbereich Geesthacht habe momentan ebenfalls eine sehr niedrige Sauerstoffkonzentration.
BUND, Nabu und WWF behaupten, dass die letzte Elbvertiefung die Situation im bereits schwer geschädigten Ökosystem des Flusses nochmals deutlich verschlimmert habe. „Deutschland hat sich zur Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie verpflichtet, die einen guten Zustand aller Gewässer anstrebt. Vor diesem Hintergrund darf die im Rahmen der Elbvertiefung ausgebaggerte Fahrrinnentiefe nicht auf Kosten des Lebensraumes Elbe aufrechterhalten werden“, so die Verbände.
Fischsterben: Elbe droht ökologischer Tod
Sie kritisieren auch, dass der Umweltbehörde selbst in sich zuspitzenden Situationen die Hände gebunden seien und diese erst eingreifen könne, wenn die Katastrophe schon da sei. So war das Arbeitsschiff„Akke“ im Auftrag der Hafenbehörde HPA auch in den vergangenen Wochen in der Elbe und im Hafen unterwegs, um den Schlick in der Flusssohle aufzuwirbeln, damit er von der Strömung weggespült wird. „In der ohnehin bereits trüben Suppe der Elbe ist das der Todesstoß für vieles, was in der Elbe noch lebt. Die „Akke“ muss sofort in die Kette, und auch die ab Juli wieder erlaubten Baggerarbeiten müssen bis auf Weiteres ausgesetzt werden“, fordern die Umweltverbände.
Auch der Stint ist wichtig für das Ökosystem, weil er Nahrungsgrundlage unter anderem für Seeschwalben an der Nordseeküste ist. „Da der Stint im Bereich der Hamburger Tideelbe laicht und die Jungfische dieses Jahrgangs wahrscheinlich größtenteils aufgrund des Sauerstoffmangels gestorben sind, fehlt in wenigen Wochen das Futter für die geschlüpften Seeschwalben“, so Kappenberg. Zudem fehlt es dann in zwei, drei Jahren an rückkehrenden laichreifen Stinten. „Es droht eine Abwärtsspirale beim Stintbestand, dann mit fatalen Folgen für das Ökosystem.“
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Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht, so BUND-Referentin Linda Kahl. „Es gibt keine akute Lösung für die jetzt sterbenden Fische. Man kann nur versuchen, es nicht noch schlimmer zu machen, indem man keine Einleitungen, keine Umlagerungen und keine Ausbaggerungen vornimmt.“ Umweltverbände fordern, die Elbvertiefung einzuschränken, um den Fluss und sein Biotop retten zu können. Paul Schmid: „Wenn nichts gemacht wird, droht der Elbe das Schicksal wie der Ems. Diese ist auf 30 Kilometer ökologisch tot. Die starke Trübung und die immer dramatischen Sauerstoffmangelsituationen sind ein Hinweis darauf, dass auch die Elbe „umkippen“ könnte.“