Hamburg. Viele Hygienemaßnahmen sind freiwillig, die tatsächliche Inzidenz ist unbekannt. Warum trotz leichter Verläufe Gefahr droht.

Für diesen Sommer haben die Zahlen Weckrufcharakter: Anders als in den Vorjahren schwappt eine Covid-Welle zur Ferienzeit durch Hamburg. Doch im Unterschied zu 2020 und 2021 hat sie ein anderes Gesicht. So liegt die Sieben-Tage-Inzidenz in der Hansestadt mittlerweile bei 825,3 Infizierten pro 100.000 Einwohner binnen einer Woche. In Hamburgs Krankenhäusern werden 409 Patienten mit oder wegen Corona behandelt, 27 von ihnen intensivmedizinisch. Doch die Dunkelziffer dürfte gewaltig sein.

Das hat mehrere Gründe. Der wichtigste: Corona-Infektionen verlaufen „dank“ der Omikron-Variante und ihres Subtyps BA.5 überwiegend mild. Getestet und gemeldet werden diese Fälle oftmals nicht. Ärzte wie Dr. Björn Parey (Vizevorsitzender der Vertreterversammlung in der Kassenärztlichen Vereinigung) berichten von einer „gefühlten Erkältungswelle“. Er sagt: „Husten und Halskratzen werden als Erkältung wahrgenommen, dabei haben sich neun von zehn Patienten mit diesen Symptomen mit dem Coronavirus infiziert. Das ist deutlich mehr als vor einem Jahr.“ Das Virus hält sich hartnäckig und sorgt allerorten für Personalausfälle – auch in Arztpraxen und Krankenhäusern.

Corona Hamburg: Weniger schwere Fälle, trotzdem großes Risiko

„Das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger ist anders. Viele sind der Hygienemaßnahmen überdrüssig. Überall fallen die Masken“, sagt Parey. Für die Mediziner lauert in diesem Pandemie-Gebräu auch ein Risiko: „Die Gefahren liegen darin, dass es zwar weniger schwere Corona-Fälle gibt, aber es ist unvorhersehbar, ob der Geschmacks- und Geruchssinn über einen längeren Zeitraum verloren geht, ob sich ein Fall zu Long Covid entwickelt. Das kann auch Jüngere treffen.“ Welche Varianten sich noch herauskristallisieren und wie sie das Krankheitsbild beeinflussen, könne man noch nicht sagen.

Und wer sich vorsorglich testen lassen will, muss das jetzt im Zweifel komplett selbst bezahlen. Die neue Testverordnung aus dem Hause des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD), die seit dem 30. Juni gilt, will die „Bürgertests“ eigentlich komplett von den Bürgern bezahlen lassen. Kostenlos sind sie zum Beispiel für Schwangere in den ersten drei Monaten, Besucher von Krankenhäusern und Pflegeheimen und Angehörige von Corona-Infizierten. 3 Euro muss zahlen, wer eine Veranstaltung im Innenraum besucht oder eine rote Warn-App hatte.

Corona-Schnelltests: Apotheker kritisieren Politik

Menschen mit Symptomen sollen in eine Arztpraxis – aber am besten vorher anrufen oder zur ausgewiesenen Infektsprechstunde kommen. Wer komplett Selbstzahler ist, entscheidet sich oft erst im Testzentrum oder in der Apotheke vor Ort. So sagte Apothekerkammer-Präsident Kai-Peter Siemsen: „Zahlreiche Rechtsfragen sind nicht geklärt, und die Bevölkerung ist nicht gut über die Kosten und Inanspruchnahme informiert worden. Daneben ist es eine unzumutbare Aufgabenbelastung, Eintrittskarten oder Ähnliches kontrollieren zu sollen. Der bürokratische Aufwand der schriftlichen Selbsterklärung der Testpersonen sowie deren Archivierung mit entsprechendem Datenschutz bei gleichzeitiger Senkung des Honorars ist schon frech.“

Das sind auch die Themen von Unternehmer Axel Strehlitz, der mit Corona Freepass große Testzentren an prominenten Orten betreibt. Angesichts der Dunkelziffer bei den tatsächlichen Corona-Zahlen spricht er von einem „Blindflug“. Und er rechnet vor: Vom 1. bis 4. Juli habe er 266 Selbstzahler zu 9,95 Euro gehabt, 785 kostenlose Tests und 405 3-Euro-Tests. Im Vergleich mit der Vorwoche ein Rückgang von 55 Prozent bei der Zahl der Tests. Und jeder fünfte Abstrich sei positiv – eine enorm hohe Quote. „Unsere Gäste sind nicht begeistert“, so Strehlitz.

Corona Hamburg: Ärzte kritisieren Politik

Auch nicht begeistert sind Hamburgs Ärzte, wenn sie an die Gesundheitspolitik denken. Für neue Patienten bekamen sie mit dem Terminservicegesetz die wirklichen Behandlungskosten erstattet. Denn der Aufwand ist für sie größer. Nun sollen auch für Neupatienten die (niedrigeren) Abrechnungspauschalen gelten. Real werden die Ärzte, die neue Patienten aufnehmen, also Honorareinbußen haben.

Das beklagte Hamburgs KV-Chef John Afful und warnte: Es sei „absehbar“, dass Patientinnen und Patienten vor allem in weniger stark versorgten Regionen wieder länger auf Termine warten müssten. Hausarzt Parey hat das in Volksdorf bereits gespürt: „In unserer Praxis gibt es wieder einen Aufnahmestopp. Wir werden einfach überrannt.“ Dass die Honorarregeln für Neupatienten wieder geändert werden, treffe viele, die einen Arzt suchen.

Andererseits würden die Niedergelassenen spätestens nach dem Sommer wieder gebraucht, wenn die nächste Impfrunde laufe. Parey sieht das gelassen: „Wenn noch eine neue Corona-Welle im Herbst kommen sollte, können wir die Impfkapazitäten sofort wieder hochfahren, auch auf das Zehnfache des jetzigen Volumens. Unsere Arbeitsabläufe sind eingespielt, wir machen dann auch wieder sonnabends auf, der Impfstoff wird vorhanden sein, die Patienten kennen das – wozu brauchen wir noch staatliche Impfzentren in Hamburg?“