Hamburg. Heftige Debatte um die geplante U-Bahnlinie: Erlebt die Stadtbahn trotz U5 ein Revival? Senator macht klare Ansage.
Diese drei Rentner brachten Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) gleich morgens auf die Palme: „Langsam nervt es“, schrieb er bei Twitter. „Jahrelang alles diskutiert & geprüft. Jetzt gibt’s Planrecht & Bau startet bald. U5 ist bei Schnelligkeit, Leistungsfähigkeit, Kapazität u.v.m. unschlagbar. Wer jetzt Stopp fordert, riskiert die Mobilitätswende. Wir halten Kurs!“
Der Senat hält also Kurs bei der geplanten U-Bahnlinie U5. Wo Dressel irrt: Der Bau startet nicht bald, sondern ist bereits im Gange. Am Gleisdreieck nördlich der City Nord wurden Bäume gefällt und gewaltig Erde bewegt für die U5-Ost, die von Bramfeld Richtung Alsterdorf und Winterhude führen wird. Es wurden Pfähle in den Boden gerammt und erste größere Baustellen eingerichtet. Die U5 soll führerlos und fast ausschließlich unterirdisch fahren. Vermutlich 20 Bahnhöfe auf der gesamten geplanten Strecke und eine große Zahl an Notausstiegen müssen je-doch in offener Bauweise errichtet werden.
Diese mehr als einhundert Meter langen Baustellen werden über Jahre für Beeinträchtigungen im Stadtgebiet sorgen. Für Großprojekte, an deren Ende eine deutlich verbesserte Mobilität steht, ist das normal.
HVV: U5 in Hamburg – Rentner nerven den Senat
Doch drei Rentner – allesamt Experten, aber auch Betroffene der Baustellen– haben im Abendblatt die klimaschädlichen Aspekte des U-Bahnbaus gnadenlos offengelegt und die Zahlen der Hochbahn hinterfragt. Die Resonanz ist gewaltig: Zahlreiche Leserinnen und Leser äußerten sich zur U5 – auch vor dem Hintergrund der gasförmigen Emissionen, die das Mega-Projekt hervorrufen wird. Sie sehen Hamburgs Klimaziele in Gefahr. Anhänger der in Hamburg politisch beerdigten Stadtbahn waren ebenfalls unter den neuerlichen Kritikern.
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hatte sie als „altmodische Stahlungeheuer“ bezeichnet. Wie das zu Plänen moderner Städte passe, ihre Stadtbahnen noch auszubauen, fragten viele.
U5 und die Klimaauswirkungen: "Peinlich für den Senat"
Im Netz äußerte sich Ole Thorben Buschhüter, SPD-Verkehrspolitiker, zur U5: Man solle jetzt nicht einfach alles schon wieder in die Tonne treten, schrieb er in einer Diskussion bei Facebook. „Nein danke, so gelingt das mit der Mobilitätswende nicht. Man muss jetzt auch mal Kurs halten. Der Bau der U5 im ersten Abschnitt wurde von der Bürgerschaft Ende 2019 übrigens einstimmig beschlossen, eine Fraktion hat sich enthalten. Das Thema CO2-Bilanz wurde im Verkehrsausschuss ausführlich beraten.“
Linken-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann konnte ihre Schadenfreude kaum verhehlen: "Wie peinlich für den Senat, dass er sich von drei betroffenen Bürgern Nachhilfe in Sachen Klimaauswirkung der U5 geben lassen muss." Ihre Erkenntnisse düften nicht beiseitegewischt werden, sagte Sudmann dem Abendblatt. Denn: "Vor Jahren hat sich niemand um „graue Energie“ oder die schlechte Klimabilanz von Beton gekümmert. Wer mit irre hohem Zeit- und Geldaufwand eine 20 bis 30 Meter tiefe U-Bahn durch die Stadt buddeln will, trägt zu der heute notwendigen Mobilitätswende nichts bei."
Sudmann favorisiert die Stadtbahn: "Ein erstes Netz mit mehreren Straßenbahnlinien kann bis 2030 fertig sein. Die U5 bis Lurup würde frühestens in den 40er Jahren fahren, selbst der Stummel von Bramfeld bis zur City Nord ist kaum vor 2030 fertig. Eine schlechte U5-Planung wird nicht dadurch besser, dass sie als alternativlos dargestellt wird.“
U5: Das ist der Streckenverlauf durch Hamburg
Die CDU-Fraktionsvize Anke Frieling bemängelte in der Facebook-Debatte: „In Hamburg darf an die Stadtbahn ja nicht mal gedacht werden. Viel schneller gebaut, zu einem Bruchteil der Kosten von U- und S-Bahn, bequemer in der Nutzung und schneller als der Bus. Der Bürgermeister hält sie für aus der Zeit gefallen. Hamburg ist die einzige deutsche Großstadt ohne Stadtbahn. Berlin erweitert sein Netz in den Westteil, wo sie – wie in HH – ebenfalls abgeschafft wurde.
Ihr Parteikollege Klaus-Peter Hesse, lange Jahre Verkehrsexperte der Bürgerschaftsfraktion, erklärte: „Für einen Kilometer U-Bahn bekommst Du mindestens 10 Kilometer Stadtbahn. Planung geht auch schnell, liegt bei der Hochbahn in der Schublade. CO2-Bilanz zudem auch viel besser und man kann zudem mittlerweile weitestgehend ohne Oberleitung planen und gleich noch durch die Trassenführungen das Umfeld verschönern.“ Er wünsche sich eine pragmatische, keine „ideologische“ Lösung.
U5 versus Stadtbahn: Geht da noch was?
Für die Grünen schrieb der Haushaltspolitiker Dennis Paustian-Döscher: „Mir ist ja vor allem eine Bahnanbindung wichtig, die fährt und nicht nur auf dem Papier. Die Herren von Beust, Ahlhaus und Scholz haben in Gemeinschaftsarbeit zweimal die Stadtbahn gestoppt. Nun kurz vor Baubeginn nochmal mit neuen Planungen zu beginnen, ist gerade den Menschen in Bramfeld und Steilshoop nicht zuzumuten. Obwohl ich immer für eine Stadtbahn war und auch die Debatte für andere Routen sicher nochmal in Frage kommt.“
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Wird der Streckenverlauf der U5 geändert?
Der Streckenverlauf der U5 soll nach den Worten des Grünen noch einmal angefasst werden? Das wird die Hochbahn wenig freuen. Ihr ist es immerhin gelungen, zwei von neun Klägern zur Rücknahme der Klagen zu bewegen. Ob dabei Geld geflossen ist und welche anderen Zugeständnisse im Hinblick auf die Standorte der Baustellen gemacht wurden, das ist geheim.
Die Verkehrsbehörde von Senator Anjes Tjarks (Grüne) erklärte auf Abendblatt-Anfrage, im Planfeststellungsverfahren für die U5-Ost seien „alle notwendigen Belange, auch Umweltbelange, abgeprüft und alle notwendigen Genehmigungen erteilt“ worden. Dazu zähle auch eine Umweltverträglichkeitsprüfung. „In den Planfeststellungsunterlagen wurden auftretende Luftschadstoffbelastungen zum Beispiel durch Staub oder Abgase in der Bauzeit im Bereich der Baustellen betrachtet. CO2-Emissionen die im Rahmen der Produktherstellung entstehen, sind nicht Gegenstand der Umweltverträglichkeitsprüfung. Die CO2-Emissionen aus industrieller Produktion werden sinnvollerweise beim Produzenten bewertet.“
Die Hochbahn leiste „Pionierarbeit“ darin, im Austausch mit der Industrie schon bei der Herstellung von Materialien auf reduzierte Emissionen zu achten. Die U5 sei ein wesentlicher Teil der „Mobilitätswende“. Sie verlagere Teile des Individualverkehrs unter die Straße. Die Bahn werde im Betrieb „keine wesentlichen Emissionen ausstoßen“.
Stadtbahn am Hamburger Rand?
Überraschenderweise lässt sich die Verkehrsbehörde eine Hintertür in der Stadtbahn-Diskussion offen: „Wir bauen in Hamburg in den kommenden 20 Jahren 36 neue Bahnhöfe. Der Neubau von U5 sowie S4 hat für die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende Priorität. Die Stadtbahn steht dabei aktuell nicht auf der Agenda. Perspektivisch kann es aber Sinn machen, sie in den äußeren Stadtgebieten ergänzend einzusetzen.“
Und die laufenden Klagen gegen die U5? „Die Hochbahn drängelt“, sagten die als „drei Rentner“ qualifizierten Kritiker im Abendblatt.
- Hier geht's zur privaten Untersuchung der Umweltverträglichkeit der U5
Kein Wunder. Denn obwohl der Bau der U5-Ost weitergehen kann, dräut doch vor dem Oberverwaltungsgericht ein quälender Prozess, der die CO2-Argumente während der Bauzeit noch einmal auf die Agenda des rot-grünen Senats heben wird. Der Klimabeirat der Umweltbehörde hat sich bereits positioniert: U5 und Hafenautobahn A26-Ost seien keine Beispiele für positive Klimapolitik des Senates.
Die Hamburger Hochbahn sieht die U5 auf der nachhaltigen Seite: „Für die Bauausschreibung der U5 Ost sind alle heute technisch möglichen und am Markt verfügbaren CO2-Reduktionsmöglichkeiten auf der Bauteil- und Materialebene integriert worden“, so eine Sprecherin. Im Übrigen sei der Bedarf für die neue Strecke nach wie vor da: „Wir gehen davon aus, dass Mitte des Jahrzehnts die Fahrgastzahlen wieder auf dem Vor-Corona-Niveau sein werden und weiter ansteigen.“ Mit allen Klägerinnen und Klägern sei man in guten Gespräche. Über die Inhalte könne man keine Auskunft geben.
BUND: Für U5 auf A26 Ost verzichten!
Der Naturschutzverband BUND hat eine andere Einschätzung als die Hochbahn – stellt die neue U-Bahn aber nicht mehr grundsätzlich in Frage „Die U5 ist kein gutes Beispiel für die Mobilitätswende“, sagte BUND-Geschäftsführer Lucas Schäfer. „Wenn der Senat an den vorhandenen Plänen festhalten will, müssen die CO2-Belastungen, die durch den Bau entstehen, ausgeglichen werden. Dieser Ausgleich muss im Verkehrssektor vorgenommen werden.“ Denkbar sei ein Verzicht auf neue Autobahnen, wobei sich „die überflüssige A26 Ost geradezu aufdrängt“, so Schäfer. „Anstatt U5 und Stadtbahn in Debatten über die Vergangenheit gegeneinander auszuspielen, sollten zusätzlich zur längst planfestgestellten U5 Planungen für eine Stadtbahn neu aufgenommen werden.“