Hamburg. Seit der Pandemie treten Wurfpfeilspieler häufiger online statt in der Kneipe gegeneinander an. Jetzt gibt es die technische Lösung dafür.
Kurz nachdem um 18 Uhr die Eingangstür aufgeschlossen worden ist, füllt sich das Café Kö am Winterhuder Weg mit Gästen. Hamburgs wohl größte Darts-Kneipe ist zugleich Vereinslokal und Trainingsstätte der Wurfpfeilsparte des SC Eilbek (SCE). An diesem Abend bereitet sich unter anderem die 1. Herrenmannschaft nach der kürzlich errungenen Verbandsliga-Meisterschaft auf die Aufstiegsrunde zur Bundesliga vor. Zig Pokale auf den Regalen über den 20 Dartsscheiben an den Wänden zeugen von früheren Erfolgen.
Zwischen den Scheiben Nummer 9 und 10 haben Alisa Möhrke, Florian Bautsch und Lennart Zorn auf einem Dreibeinständer eine spezielle Scheibe mit den Punktefeldern 1 bis 20 platziert. Sie werfen probeweise einige Pfeile, deren Eisenspitzen sich in das Sisal bohren. Rund um die Scheibe ist eine Art Metallkragen installiert, aus ihm fällt Licht auf das Ziel, im oberen Drittel sind drei Minikameras angebracht. Immer wenn ein Pfeil trifft, erscheint auf dem Bildschirm gleich daneben die Punktzahl – und wie viele Punkte bis hinunter zur null noch erzielt werden müssen. Zudem ist zu sehen, wo genau der Pfeil im Board steckt.
Im November soll das Gerät auf dem Markt sein
„Wir sind jetzt bei einer Erfassungsgenauigkeit von mehr als 98 Prozent. Die Spieler sagen uns, dass das für sie völlig in Ordnung ist“, sagt Möhrke. Sie, die Brüder Florian und Jan Bautsch sowie Zorn sind die Gründer und Teilhaber des Hamburger Start-ups WeDart. Und sie haben einer herkömmlichen, handelsüblichen Steeldart-Scheibe das Zählen und Rechnen beigebracht.
Die Geschichte der Produktidee ist in einem Satz erzählt: „Drei Ingenieure spielen Darts und haben keine Lust zu rechnen“, sagt Möhrke, die damals nicht dabei war im Keller des Elternhauses der Bautsch-Brüder in Schnelsen. Fünf Jahre und fünf anfangs abenteuerlich zusammengebastelte Prototypen später, steht WeDart nun kurz vor dem Marktstart. „Ab September sollen Vorbestellungen möglich sein, im November soll das Produkt auf dem Markt sein“, sagt sie. Vorher würden die Gründer Anfang Juni gern den Hamburg Innovation Award in der Kategorie Starter gewinnen. Sie gehören zu den drei Nominierten. Beim Innovation Summit soll der sechste Prototyp enthüllt werden, der dem marktreifen Produkt dann schon sehr nahe kommt. Im Businessplan steht, dass noch in diesem Jahr 1000 Systeme verkauft werden, 2023 dann schon 8000.
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Das Rechnen stört die Konzentration
Aber an wen? „Zielgruppe sind ambitionierte Steeldart-Spieler, die sich mit strukturiertem Training verbessern wollen und gern online gegen andere antreten wollen“, sagt die Frau fürs Marketing. Dazu muss man wissen, das der Trendsport Darts nicht nur ein Präzisions- und Wurfspiel ist, sondern auch Denk- und Rechensport. Bei der gängigsten Variante 501 Double Out gewinnt, wer zuerst sein Punktekonto von 501 auf genau null reduziert hat. Der letzte Pfeil muss zudem eines der nur wenige Quadratzentimeter großen Felder treffen, in denen die Punktzahl verdoppelt wird.
Bei den letzten Würfen, dem sogenannten Checkout, ist das Ausrechnen, welche Felder getroffen werden sollten, besonders wichtig. Profis und Vielspieler müssen das nicht mehr, sie haben die Varianten im Kopf. Die meisten Steeldarter aber müssen rechnen – und das stört die Konzentration. „Außerdem ist das Punkte zählen, notieren und runterrechnen einfach lästig und kostet Zeit“, sagt Zorn, der damals im Bautsch-Keller dabei war. All das nimmt WeDart dem Spieler ab. Die Kameras erfassen, wo der Pfeil in der Scheibe steckt, die Software schreibt die Punkte gut, auf dem Bildschirm erscheint die aktuelle Punktzahl.
In der Pandemie entstanden Plattformen für Online-Fernduelle
Nur gibt es das ja längst, es heißt E-Darts. Dabei werfen die Spieler mit Kunststoffpfeilen auf eine elektronische Scheibe. Im Café Kö stehen drei E-Dart-Automaten – an diesem Abend weithin unbeachtet. „Steeldarter und E-Darter sind zwei ganz unterschiedliche Communitys“, weiß Florian Bautsch. Obwohl beide Varianten viel gemeinsam haben, gibt es für jede von ihnen eigene Verbände und Ligen. Viele Steeldarter spielen auch mal E-Darts, E-Darter spielen Steeldarts. Aber die Pfeile mit den Metallspitzen sind nun mal der Klassiker.
Doch auch Steeldarter drängt es zur Digitalisierung. Und in der Pandemie, als die Darts-Kneipen und klassischen Treffpunkte der Szene, lange geschlossen waren, bekam die einen Schub. Es entstanden Plattformen für Online-Fernduelle, Software zum Erfassen und Übermitteln der Punkte an den Gegner. „Aber auch das kostet viel Zeit und lenkt ab“, sagt Möhrke. Zudem könnten die Systeme Schummelei nicht völlig ausschließen.
WeDart macht auch Verbesserungsvorschläge
Vor allem aber sehen die 24 und 28 Jahre alten Gründer mit Abschlüssen in Internationalem Management, Medizinischer Ingenieurwissenschaft und Mechatronik, von denen zwei eine Festanstellung gekündigt haben, um WeDart groß zu machen, ihn als ein ideales Trainingsgerät. „Darter sind datenhungrig. Sie wollen wissen, wie sich ihre Ergebnisse entwickeln, ob und wie sie sich verbessert haben und weiter verbessern können“, sagt Möhrke. WeDart könne erkennen, ob die Würfe einen ungünstigen Drall haben, auf welchen Feldern der Spieler deutliche Schwächen hat – und gezielte Übungsprogramme vorschlagen. Und auch einen virtuellen Caller soll das System haben. Ein Caller, das ist einer dieser Blitzschnellrechner, die bei großen Turnieren, die mit drei Würfen erzielte Punktzahl lauthals dem Publikum verkünden, kaum, dass sich der letzte Pfeil ins Sisal gebohrt hat.
400 bis 450 Euro sollen der WeDart und die dazugehörige Handy-App kosten, die mit einer handelsüblichen Scheibe kombiniert werden. „Das hängt letztlich vom Preis und den Transportkosten für die elektronischen Bauteile ab, die wir aus Asien beziehen“, sagt Möhrke. Ob sie rechtzeitig zur Endmontage des Geräts in Europa sind, ist eine spannende Frage. Dass mit Scolia aus Ungarn seit Jahren eine ähnliche Lösung für Steeldarts auf dem Markt ist, macht die Gründer nicht bange. Ihr System sei besser – und Scolia annähernd doppelt so teuer.
Das Wirtschaftsministerium förderte mit 130.000 Euro
Tatsächlich halten auch Dritte einen WeDart-Erfolg für möglich. Das Bundeswirtschaftsministerium gab eine 130.000 Euro-Gründerförderung. Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften, an der Bautsch und Zorn einst studierten, stellt kostenlos ein Büro zur Verfügung. Und die Dartszubehör-Branche sei interessiert, so Möhrke: „Wir haben Vorverträge mit drei Großhändlern, die das Gerät vertreiben wollen.“ Die Hamburger nehmen nicht nur Deutschland mit der wachsenden, aber noch vergleichsweise kleinen Dart-Gemeinde in den Blick, sondern gleich halb Europa und insbesondere Großbritannien und die Niederlande. „Allein dort gibt es 300.000 Steeldarter“, sagt Florian Bautsch.
Und was halten Darter von dem Gerät? „Ich habe es selbst noch nicht gespielt, höre aber, dass es richtig gut funktioniert. Und so eine Wurfstilanalyse kann schon interessant sein“, sagt Nico „Zico“ Ziemann, der wie die Profis einen Wettkampfnamen hat, einer der Bundesliga-Aufstiegsaspiranten aus der 1. Herren des SEC ist und Szenefremden als „wahrscheinlich einziger lizenzierter Dart-Trainer in Hamburg“ vorgestellt wird. Mitzählen und rechnen sei für ihn nicht so interessant. „Das mache ich selber.“ Thomas Schulz aus der 4. Herren urteilt nach ersten Probewürfen: „Ist ganz witzig, dass man sich die Rechengeschichte ersparen kann.“ Und Mannschaftskamerad Hebbo Möller findet einen überraschenden Vergleich: „Das Gerät nimmt einem wirklich viel ab, das ist so eine Art Thermomix fürs Darten.“