Hamburg. Die Explosion hat bei einem 42-Jährigen maximale Zerstörung angerichtet. Sein bester Freund hatte ihm die Rakete gegeben.
Sie waren beste Freunde. Und auch jetzt wieder nehmen sie einander zur Begrüßung kurz in den Arm. Doch in der Geste liegt keine Freude und keine Unbekümmertheit – sondern Trauer und Schwermut. Der eine der beiden Männer kann nicht mehr richtig zudrücken. Er hat keine linke Hand mehr. Und der andere ist dafür verantwortlich, dass der Körper des 42-Jährigen schwer gezeichnet ist. Und nicht nur das. Tatsächlich liegt dessen ganzes Leben in Trümmern.
Es ist die erste Begegnung der früheren Freunde seit gut 20 Monaten. Bei ihrem letzten Treffen am 29. August 2020 hat die Explosion eines gefährlichen Böllers die Welt von Hakim D. (alle Namen geändert) in ein Vorher und ein Danach zerrissen. Eben war er noch ein fröhlicher Gast auf einer Geburtstagsfeier gewesen. Dann starrte er fassungslos auf seine zerfetzte Hand. Eine Signalrakete war explodiert und hatte bei dem 42-Jährigen maximale Zerstörung angerichtet.
Durch Böller Hand weggesprengt: bester Freund verantwortlich?
Während Hakim D. jetzt vor dem Amtsgericht seine Leidensgeschichte schildert, stiert der Angeklagte Markus H. vor sich hin. Sein Gesichtsausdruck wirkt gequält, und er mag sein Gegenüber nicht anschauen. Der 37-Jährige, dem die Staatsanwaltschaft fahrlässige Körperverletzung sowie Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion vorwirft, hat bereits gestanden, seinem damals besten Freund einen Böller gegeben zu haben.
Doch er habe Hakim D. nicht verletzen wollen, hat der Hamburger beteuert. Der Anklage zufolge hat der 37-Jährige dem späteren Opfer bei einer damaligen Geburtstagsfeier eine nicht zugelassene Zink-Signalrakete in die Hand gedrückt. Obwohl Hakim D. erklärte, Feuerwerk nicht zu mögen, zündete der Angeklagte den Ermittlungen zufolge die Signalrakete an und forderte den anderen auf, sie wegzuwerfen. Doch dann explodierte die Rakete in der Hand des Geschädigten.
„Für mich war das alles ein Schock“
„Für mich war das alles ein Schock“, erinnert sich Hakim D. an jenen verhängnisvollen Abend. „Erst haben wir bei der Feier Spaß gehabt – bis etwas explodiert ist in meiner Hand.“ Er erinnert sich, dass sein Kumpel Markus H. plötzlich rief: „Wegschmeißen! Wegschmeißen!“ „Ich habe das aber nicht wirklich realisiert“, sagt der 42-Jährige. „Ich hätte nicht gedacht, dass er mir so gefährliche Sachen in die Hand gibt.“ Während der Mann erzählt, mit bedächtigen Worten, hält er die Arme so verschränkt, dass der linke unter dem rechten verborgen ist. Als wolle er verstecken, dass da am Ende des Ärmels nichts mehr ist.
Keine Hand mehr – aber noch starke Schmerzen. „Das macht mich wahnsinnig“, erzählt Hakim D. „Ich komme mit meinem Leben schwer klar. Ich kann schlecht schlafen.“ Und alles im Alltag sei nun so schwierig. Allein ein Brot zu schmieren, erfordere viel Zeit. Mit dem Verlust der Hand hat der 42-Jährige auch seine positive Lebenseinstellung eingebüßt. Er wolle keinen Kontakt mehr mit Leuten, sagt der Zeuge. „Ich bin lieber allein.“
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Böller-Prozess: Angeklagter entschuldigt sich weinend
Markus H. hört sich das alles an, schweigend und sichtlich erschüttert. „Ich will mich gern bei dir entschuldigen“, sagt der Angeklagte, während ihm Tränen über die Wangen laufen. „Ich denke da jeden Tag dran.“ Und in Bezug auf den Feuerwerkskörper sagt er: „Ich hätte das lieber festgehalten.“ Sein früherer Kumpel will nichts mehr davon hören. „Ist schon okay“, sagt Hakim D. – und verlässt mit gesenktem Kopf den Saal.
Am ersten Prozesstag hat Markus H. betont, er habe angenommen, dass es sich bei dem Böller um eine Sprühfontäne handele, die er für „ungefährlich“ gehalten habe. „Es sollte ein kleines Highlight sein. Als ich sah, dass keine bunte Fontäne rauskommt, habe ich geschrien: ,Schmeiß das weg!’ Dann ist das explodiert.“ Den Böller habe er in seinem Keller gefunden, eine Hinterlassenschaft seines Vormieters, hat er behauptet. Früher bei der Polizei hatte er noch erzählt, er habe ihn gekauft. Ein Sachverständiger hat erläutert, solche Zink-Signalraketen dürften ausschließlich mit behördlicher Genehmigung genutzt werden. Zu beziehen seien sie nur bei professionellen Händlern — oder illegal im Internet.
Durch Böller Hand weggesprengt: Bewährung für besten Freund
So ist es nach Überzeugung des Richters bei Markus H. gewesen: ein Einkauf im Darknet. „Ich nehme Ihnen nicht ab, dass Sie glaubten, dass es eine Sprühfontäne war“, sagt der Vorsitzende an die Adresse des Angeklagten. „Ihnen war klar, dass die Rakete großes Gefahrenpotential darstellt.“ Deshalb habe er auch Hakim D. aufgefordert, den Böller schnell wegzuwerfen. „Dass Sie die Folgen nicht gewollt haben, steht allerdings außer Frage.“
Sechs Monate Haft mit Bewährung verhängt der Richter und bleibt damit drei Monate unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Außerdem muss Markus H. 1000 Euro Geldbuße zahlen. Auf Schmerzensgeld hat das Opfer ausdrücklich verzichtet und betont, dass er nicht wolle, dass sein ehemals bester Freund bestraft werde. Dieses Verhalten verdiene „Hochachtung“, sagt der Richter. Insbesondere, weil Hakim D. sein Leben lang unter Beeinträchtigungen zu leiden habe werde. „Es handelt sich um ein tragisches Geschehen, weil damit sein Leben erheblich aus den Fugen geraten ist.“