Hamburg. Monika Schorn ist die neue Landesvorsitzende des Weißen Rings. Eine Aufgabe, die der früheren Richterin schon immer am Herzen lag.

Empathie ist ihre Stärke. Es ist dieses besondere Gespür dafür, wie sie Menschen erreicht. Wenn Monika Schorn in ihrer jahrzehntelangen Karriere als Strafrichterin und Jugendrichterin ihre Urteile gesprochen hat, hat sie gewusst, wie es gelingen kann, dass andere ihr wirklich zuhören – und dass diese Menschen sich zugleich wahrgenommen und verstanden fühlen. Die Angeklagten – und eben auch die Opfer.

Schon immer, sagt die Hamburgerin, sei es ihr ein Anliegen gewesen, sich für die Belange von Opfern von Straftaten einzubringen. Jetzt hat die Juristin ein Amt übernommen, in dem sie sich an höchster Stelle und verantwortlich für Schutzbedürftige engagieren kann. Schorn ist die neue Landesvorsitzende der Opferschutzorganisation Weißer Ring. Am Sonnabend wurde sie bei der Mitgliederversammlung mit überwältigender Mehrheit als Nachfolgerin von Hans-Jürgen Kamp, der acht Jahre Vorsitzender war, gewählt.

Weißer Ring: "Mein neues Amt ist mir zugeflogen"

„Eigentlich“, sagt die pensionierte Richterin, „ist mir mein neues Amt zugeflogen.“ Tatsächlich hat nicht sie sich für diese Aufgabe beworben, sondern es war umgekehrt: Der Weiße Ring warb um sie. Da war dieser Anruf von höchster Stelle, als angefragt wurde, ob Schorn sich vorstellen könne, Chefin in Hamburg zu werden? Sie konnte! Es schien, als sei dieser Posten wie für die Juristin gemacht. Und sie für das Amt. Mehr als 35 Jahre war Schorn in der Justiz tätig. „In meinem Beruf habe ich sehr vielschichtig mit Opfern zu tun gehabt“, erzählt die Hamburgerin. Sie ist eine Frau mit zugewandtem, wachem Blick und warmer Stimme. Wenn sie über ihr Berufsleben spricht, lächelt sie häufig.

Es ist offensichtlich, dass sie ihr Richteramt sehr gern ausgeübt hat und es als erfüllend betrachtet. Allerdings: „Die Aufgabe des Strafrichters kann nie dergestalt sein, dass man alle Opfer-Interessen berücksichtigt“, weiß Schorn. „Man ist der Wahrheitsfindung verpflichtet – und muss immer erst von der Unschuldsvermutung eines Angeklagten ausgehen. Dass mit einem Urteil Gerechtigkeit hergestellt wird, ist ein Wunsch. Aber was von den Verfahrensbeteiligten als gerecht empfunden wird, ist immer höchst subjektiv.“ Schorn sieht ihre damaligen Möglichkeiten pragmatisch. „Ich konnte für ein faires Verfahren sorgen, ein hoffentlich gerechtes Urteil fällen – und eine angemessen freundliche Behandlung der Opferzeugen gewährleisten.“ Aber wahre, direkte Unterstützung: Das sei in dieser Position nicht möglich gewesen.

„Ich bin seit 20 Jahren im Vorstand der Opferhilfe"

In sehr vielen Verfahren hat die ehemalige Richterin gesehen, wie viel Leid die Misshandelten, Vergewaltigten und Vernachlässigten erleben. Es sind Schmerzen an Körper und Seele, die sehr lange nicht heilen können. Manche Wunden schließen sich nie, das Trauma bleibt ein Leben lang. „Ich habe oft erfahren“, sagt Schorn, „wie viel mehr Hilfe manches Opfer brauchen würde, die man aber als Richter selbst nicht leisten kann.“

Ehrenamtlich habe sie sich deshalb seit Langem für Opfer eingesetzt, erzählt Schorn. „Ich bin seit 20 Jahren im Vorstand der Opferhilfe, habe dort aber nie eine inhaltliche Tätigkeit gehabt.“ Es ging mehr um Verwaltungsaufgaben. Mit ihrer Pensionierung vor zwei Jahren, erzählt die Mutter dreier erwachsener Söhne und vierfache Großmutter, habe sie sich mit dem Gedanken getragen, sich beim Weißen Ring zu engagieren. „Da habe ich aber nie daran gedacht, Landesvorsitzende zu werden!“ Als Stellvertreterinnen hat sie Adelina Michalk und die im Amt bestätigte Kristina Erichsen-Kruse an ihrer Seite: „Ich bin wirklich sehr froh, dass wir Monika Schorn für dieses wichtige Amt gewinnen konnten.“

Schorn coacht junge Richter

Als der erste Anruf kam mit der Frage, ob sie sich vorstellen könne, das Amt zu übernehmen, saß Schorn gerade in ihrem Dienstzimmer des Strafjustizgebäudes. Seit sie als Richterin pensioniert ist, coacht sie in Teilzeit junge Kollegen, die gerade angefangen haben, als Richter zu arbeiten. Sie hilft ihnen dabei, in ihren Beruf hineinzuwachsen, erklärt die Hamburgerin. Selber sei es immer ihre Maxime gewesen, „mit offenen Ohren und Empathie an die Fälle heranzugehen“.

Die Organisation
Beim Weißen Ring finden diejenigen Hilfe, die einer Straftat zum Opfer gefallen sind oder Krimi­nalität und Gewalt im persönlichen Umfeld erfahren haben. Auch Menschen, die einen Angehörigen durch ein Verbrechen verloren haben und mit dem schlimmen Verlust zurechtkommen müssen, können sich an die Opferschutz­organisation wenden. Hier können Betroffene mit kompetenten, geschulten Mitarbeitern reden sowie Rat, praktische Hilfe und menschliche Zuwendung finden – schnell und unbürokratisch. Der Weiße Ring Hamburg ist zu erreichen unter Telefon 040-2517680 und Mail: Hamburg@weisser-ring.de, weitere Informationen unter hamburg.weisser-ring.de

Eigenschaften, die ihr bei der Opferarbeit nun beim Weißen Ring sehr zugutekommen. Vor allem will Schorn „meine Erfahrung aus Tausenden von Strafverfahren in den Dienst dieser Organisation stellen und dazu beitragen, dass Opfern tatsachenorientiert und realistisch geholfen wird. Gleichzeitig möchte ich vermitteln, dass auch vermeintliche Täter beziehungsweise Angeklagte Rechte haben.“ Als Richterin habe sie mitunter erlebt, dass Opfer nach ihrer Zeugenaussage erzählen, sie hätten die Situation im Gerichtssaal als „ganz furchtbar“ empfunden. „Deshalb finde ich es wichtig, dass man sie vorbereiten und ihnen erklären kann, warum eine Befragung auch unangenehm sein kann.“

Zu den Opfern gehören oft Kinder

In der Anfangsphase ihres neuen Amtes will Schorn jede der acht Außenstellen des Weißen Ringes in Hamburg besuchen und den persönlichen Kontakt ausbauen. „Die ehrenamtlichen Mitarbeiter können sich auch jederzeit an mich wenden. Außerdem bin ich sehr gern bereit, selber Opfer in Prozesse zu begleiten.“ Darüber hinaus hält die neue Landesvorsitzende eine Zusammenarbeit mit anderen Organisationen für sinnvoll. „Nicht jeder Berater kann alles können. Um den Opfern die bestmögliche Hilfe anbieten zu können, muss man sie manchmal auch an andere vermitteln, etwa an einen Traumatherapeuten.“

Viele Opfer seien ja Kinder, erklärt Schorn. Zu Opfern würden sie auch dann, wenn sie Gewalt miterlebten, die ihren Müttern angetan worden sei. „Es gibt leider immer wieder Kinder, die so mit Gewalt sozialisiert wurden, dass sie irgendwann selber zum Täter werden.“ Die Juristin erinnert sich unter anderem an den Fall einer Prostituierten, die ihre zur Tatzeit fünf und sieben Jahre alten Kinder an Freier verkauft hatte. „Wir haben in Abgründe eines Familienlebens geschaut, die uns sprachlos machen“, sagte Schorn später beim Urteil.

Weißer Ring: Schorn glaubt an die Arbeit der Organisation

„Die Angeklagte war von einer Schlichtheit, wie man sie selten erlebt“, erzählt die Juristin. „Zu ihrer mittlerweile erwachsenen Tochter hat sie gesagt: ,Ich bin auch als Kind missbraucht worden. Da musste ich auch durch.‘ Sie hat die Dimension ihrer Tat nicht begriffen.“ Ein Wunsch von ihr sei es, betont Schorn, „hoffentlich die Gewaltspirale zu durchbrechen“. So sei auch geplant, beim Weißen Ring einen neuen Präventionsbeauftragten zu wählen. „Prävention ist der beste Schutz vor Straftaten.“

Von ihr werde es wohl die eine oder andere neue Idee für den Weißen Ring geben. Doch das allermeiste werde beibehalten. „Der Weiße Ring macht großartige Arbeit. Ich trete voll Hochachtung an vor dem, was bisher geleistet wurde“, sagt Schorn. Landesvorsitzende dieser „segensreichen Organisation zu werden ist wirklich ein Traum“.