Hamburg. Stadtteilschulen bieten Hoffnung für Jungen und Mädchen mit Startschwierigkeiten. Große soziale Schere zwischen den Schulformen.
Die Stadtteilschule, die vor gut zehn Jahren als zweite Schulform neben dem Gymnasium neu gegründet wurde, hat sich für viele junge Menschen mit Startschwierigkeiten beim Lernen zur Hoffnungsschule entwickelt. Das zeigt die Auswertung der Senatsantworten auf eine umfangreiche Große Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktion.
Danach hatten 83 Prozent der 3002 Stadtteilschülerinnen und -schüler, die im Sommer 2021 das Abitur bestanden, keine Gymnasialempfehlung. Das heißt, bei diesen Jungen und Mädchen hatten die Grundschullehrer am Ende der vierten Klasse aufgrund ihrer Leistungen nicht die Erwartung, dass sie das Abitur schaffen. Umgekehrt melden vor allem Eltern ihre Kinder auf einer der 59 staatlichen Stadtteilschulen an, wenn sie keine Gymnasialempfehlung haben: Von den Fünftklässlern des laufenden Schuljahres haben nur 5,1 Prozent eine Gymnasialprognose erhalten – nur jeder 20.
Schule Hamburg: Schultypen gleich beliebt
Die Quoten unterscheiden sich in gewissem Umfang nach dem Einzugsgebiet der Schule, wobei der Anteil nicht gymnasial empfohlener Schülerinnen und Schüler in sozial benachteiligten Stadtteilen eher hoch ist. Es gibt nur wenige Stadtteilschulen, an denen der Anteil der Schüler mit der Prognose Abitur 15 Prozent überschreitet. Umgekehrt sind an den Gymnasien mehr als 30 Prozent nicht für die Schulform empfohlener Fünftklässler die Ausnahme.
Bei Eltern sind Stadtteilschulen und Gymnasien als die beiden Säulen des Hamburger Schulsystems etwa gleich beliebt: 53,2 Prozent der Schüler und Schülerinnen der künftigen fünften Klassen werden ein Gymnasium besuchen, 46,8 Prozent eine Stadtteilschule. In Hamburg gilt das Elternwahlrecht der weiterführenden Schule unabhängig von der Laufbahnempfehlung der jeweiligen Grundschule.
Stadtteilschule: Abitur nach 13 Schuljahren
Die Stadtteilschule bietet das Abitur nach 13 Schuljahren an. Die Schülerinnen und Schüler haben also ein Jahr länger Zeit bis zur Reifeprüfung als am Gymnasium. Die Klassen sind etwas kleiner als am Gymnasium, und die Ausstattung mit Lehrkräften ist gerade an Schulen in sozial belastetem Umfeld erheblich besser.
Die Unterschiede zwischen beiden Schulformen werden nicht zuletzt in der sozialen Zusammensetzung ihrer Schülerschaft sehr deutlich.
Differenzen beim sozialen Status
Der soziale Status der Schülerinnen und Schüler an den 59 staatlichen Stadtteilschulen ist danach im laufenden Schuljahr zu 18,3 Prozent sehr niedrig und zu 11,7 Prozent niedrig – zugrunde gelegt wurde die Bewertung des jeweiligen Wohngebiets der Schülerinnen und Schüler. Zum Vergleich: Für die 63 staatlichen Gymnasien werden lediglich Werte von 5,6 Prozent (sehr niedrig) und 4,9 Prozent (niedrig) angegeben.
Der breite mittlere soziale Status ist an Stadtteilschulen (58,3 Prozent) und Gymnasien (59,4 Prozent) etwa gleich. Nur 8,7 Prozent der Stadtteilschüler wird ein hoher sozialer Status zugewiesen; bei den Gymnasiasten ist es mit 27,4 Prozent ein gut dreimal so hoher Anteil. Bei der jeweiligen Differenz zu 100 Prozent an den beiden Schulformen konnte der Sozialstatus nicht angegeben werden – aus welchen Gründen auch immer.
60,4 Prozent der Stadtteilschüler haben Migrationshintergrund
Eine deutliche Diskrepanz weisen die beiden Schülerschaften auch hinsichtlich ihrer Herkunft auf. Laut Senatsantwort auf die Große Anfrage haben 60,4 Prozent der Stadtteilschüler aktuell einen Migrationshintergrund, bei den Gymnasiasten sind es mit 40,8 Prozent deutlich weniger. Grundlage für die Annahme eines Migrationshintergrunds ist die weitgefasste Definition, nach der der Schüler nicht in Deutschland geboren ist oder keine deutsche Staatsangehörigkeit hat oder ein Elternteil nicht in Deutschland geboren ist oder keine deutsche Staatsangehörigkeit hat.
Vor dem Hintergrund der Zuwanderung von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine stellt sich wieder verstärkt die Frage, wo und wie die neu angekommenen Schülerinnen und Schüler ins hiesige Schulsystem integriert werden. Dabei entfällt auf die Stadtteilschulen ein größerer Anteil. Zu Beginn des Schuljahres – also noch vor der aktuell erforderlichen Aufstockung – waren 52 Internationale Vorbereitungsklassen, in denen junge Menschen mit Deutschkenntnissen auf das Regelsystem vorbereitet werden, an den Stadtteilschulen eingerichtet.
33 Vorbereitungsklassen an den Gymnasien
An den Gymnasien gab es lediglich 33 solcher Vorbereitungsklassen für Geflüchtete und andere Zugewanderte. Schulpflichtige Kinder und Jugendliche, die völlig ohne Deutschkenntnisse einreisen, werden zunächst in Basisklassen unterrichtet, in denen der deutsche Spracherwerb im Vordergrund steht. Während 17 Stadtteilschulen zu Beginn dieses Schuljahres dieses Angebot vorhielten, gab es andererseits nur drei Gymnasien mit Basisklassen.
Auch beim Sprachförderbedarf der Schülerinnen und Schüler ergeben sich deutliche Unterschiede zwischen den Schulformen: Insgesamt nutzen 14,5 Prozent der Stadtteilschüler dieses zusätzliche Angebot, aber nur fünf Prozent der Gymnasiasten. Dramatisch hoch ist die Förderbedürftigkeit in Klasse fünf: Hier liegt die Quote an den Gymnasien bei 12,3 Prozent und an den Stadtteilschulen bei 28,6 Prozent. In absoluten Zahlen: Im Schuljahr 2021/22 hatten 8724 Schülerinnen und Schüler in Sekundarstufe I der staatlichen Schulen einen Sprachförderbedarf. Im Schuljahr zuvor waren es noch 9229 Kinder und Jugendliche.
Förderung für leistungsschwächere Schüler
Mit dem Programm „Fördern statt Wiederholen“ soll leistungsschwächeren Schülern die Möglichkeit gegeben werden, durch zusätzliche Förderung das Klassenziel zu erreichen, bzw. nachzuholen. Im ersten Halbjahr des Schuljahres 2020/21 nahmen 9402 Stadtteilschüler an den in der Regel nachmittags stattfindenden Kursen der Lernförderung nach § 45 Hamburgisches Schulgesetz teil, aber nur 3685 Gymnasiasten. Neuere Zahlen liegen dem Senat noch nicht vor.
Die Stadtteilschulen tragen die Hauptlast der Inklusion, die den Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf das Recht zuspricht, eine Regelschule zu besuchen. Der Anteil der Schüler mit solchem Förderbedarf liegt im laufenden Schuljahr bei acht Prozent an den Stadtteilschulen, aber bei nur 0,5 Prozent an den Gymnasien.
Schule Hamburg: Sitzenbleiben wird abgeschafft
Während das Sitzenbleiben insgesamt abgeschafft ist, gilt für den Übergang von Klasse sechs nach sieben am Gymnasium eine Ausnahme. Wer nicht den erforderlichen Notenschnitt für eine Versetzung erreicht, muss auf eine Stadtteilschule wechseln. Der Anteil dieser Schulformwechsler betrug 2019/20 noch 11,2 Prozent (904 Schülerinnen und Schüler) und sank zum Schuljahr 2021/22 auf 8,6 Prozent – möglicherweise eine Folge milderer Zensierung aufgrund der Corona-Pandemie. Die vom Gymnasium gewechselten Schüler stellen die Stadtteilschulen auch vor organisatorische Probleme. Einige Schulen richten eigene Klassen ein, andere verteilen die neuen Schüler auf die vorhandenen Klassen.
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„Die Aufgaben der Stadtteilschulen sind enorm, und sie müssen gestärkt werden. Ein massives Problem sehe ich bei den Abschulungen nach Klasse sechs, bei denen die Kinder den Gymnasien verwiesen werden müssen, weil ihre Leistungen nicht für ein Abitur nach Klasse zwölf genügen würden“, sagte Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. Das „Aussieben“ führe neben einer demütigenden Erfahrung dazu, dass die Klassenfrequenzen größer seien, als das Schulgesetz vorschreibe.