Hamburg. Beim Wilhelmsburger Brutpaar zeigt sich ein trauriger Trend. Sorge auch um Kiebitze. Experten kritisieren Einsatz von Pestiziden.

Es ist ein drohender Verlust, den viele Hamburgerinnen und Hamburger noch gar nicht realisiert haben: In den Wilhelmsburger Feuchtgebieten beim Einlagedeich gibt es immer weniger Amphibien. Damit verbunden droht ein massiver Rückgang der Storchenpopulation.

Und auch die Kiebitze, die es auf den vielen Wiesen und sonstigen Grünzonen in Autobahnnähe noch vor wenigen Jahren in großer Zahl gegeben hatte, sind vor Ort vom Aussterben bedroht. Expertinnen und Experten schlagen jetzt Alarm: Gras- und Moorfrösche sowie Erdkröten kommen dort aktuell so gut wie nicht mehr vor.

Klimawandel: Regenwasser nur reduziert verfügbar

„Wenn dies so weitergeht, wird auch das einzige Storchenpaar auf Wilhelmsburg bald keine Nahrung mehr finden“, beklagt Christiane Blömeke, Vorsitzende des BUND Hamburg. Die Wilhelmsburger Störche brüten seit den 1990er-Jahren auf dem Storchenhorst, den der ehemalige BUND-Vorsitzende Harald Köpke dort aufgestellt hatte. Und: Die Gefahr für die Störche ist nicht auf das Wilhelmsburger Brutpaar beschränkt. Sie besteht langfristig auch für alle anderen Storchenpaare im Stadtgebiet und darüber hinaus.

Denn die Ursachen wie der massive Einsatz von Herbiziden und die Reduzierung von Regenwasser im Zuge des Klimawandels machen sich schrittweise überall bemerkbar. Das Beispiel Wilhelmsburg ist entsprechend – traurig aber wahr – nur eines von vielen. Aktuell gibt es auf dem Hamburger Stadtgebiet rund 30 Storchenpaare – auf „stabil niedrigem Niveau“, wie es in der Fachsprache heißt.

Jungstörche auf Amphibien angewiesen

Bei einem Rundgang am Wilhelmsburger Jakobsberg zeigt sich die Misere deutlich: Nur einen einzigen Laichballen hat Gisela Bertram, Geschäftsführerin der Stiftung Ausgleich Altenwerder, in diesem Frühjahr in einem der vielen Wassergräben vor Ort gefunden – früher waren es Hunderte. „Teiche und Gräben als Wasserlebensraum sowie Gehölzbestände zum Überwintern gibt es dort zuhauf und bis zum Jahr 2015 waren die Amphibien hier auch massenhaft vorhanden“, sagt Bertram.

„Doch seither werden es jedes Jahr weniger.“ Und Bauer Otto Huber ergänzt: „Bis vor Kurzem konnte man hier ohrenbetäubende Froschkonzerte hören, und nun: traurige Stille.“ Während größere Störche zum Beispiel auch Mäuse fressen können, seien die Amphibien für die Aufzucht der Jungstörche laut Christiane Blömeke „unverzichtbar“.

Spritzmittel reichert sich in Nahrungskette an

Einen Grund für den massiven Rückgang sieht der Geschäftsführer der Loki-Schmidt-Stiftung, Axel Jahn, in der immer massiveren Belastung mit Herbiziden, die vor Ort häufig im Ackerbau eingesetzt werden. „Der Maisanbau hat auf Wilhelmsburg in den letzten Jahren deutlich zugenommen und mit ihm der Einsatz des Wirkstoffes Glyphosat, der leider auch in die Gewässer gelangt“, kritisiert Jahn. Gelangt Glyphosat in einen Graben, breitet es sich im gesamten Wasserbereich aus.

Studien zeigen, dass an Insekten mittlerweile oft mehrere verschiedene Spritzmittel gleichzeitig anhaften. Wenn sie nicht direkt verenden, werden sie von Fröschen gefressen und das Gift reichert sich in der Nahrungskette an. „Zum Schutz der Gewässer brauchen wir deshalb geeignete gesetzliche geregelte Abstände, innerhalb derer keine Spritzmittel eingesetzt werden dürfen“, so Axel Jahn.

„Klimawandel wird Problem deutlich verschärfen"

Gisela Bertram sieht in der Trockenheit der Jahre 2018 bis 2020 einen weiteren Grund für den Amphibienschwund. Die Gewässer führten in diesen Sommern laut Bertram deutlich weniger Wasser, obwohl es in der Elbmarsch eigentlich reichlich vorhanden sei und die Wasserstände im Wilhelmsburger Osten über die Stauwehre und Siele technisch höher eingestellt werden könnten.

„Der Klimawandel wird dieses Problem nochmals deutlich verschärfen, zumal auch die Landwirtschaft Wasser zur Bewässerung ihrer Felder aus den Gräben entnimmt“, sagt Bertram. Sie fordert, künftig mehr Wasser in die Gräben hineinzulassen. Technisch sei das durchaus möglich, aber die Landwirte müssten „mitspielen“.

Klimawandel: Zahl der Kiebitze geht stark zurück

Neben den Störchen sorgt man sich auf der Elbinsel auch um die Kiebitze. Während vor Ort noch vor wenigen Jahren viele der Vögle mit ihrem namensgebenden Kiwitt-Ruf brüteten, stehen sie dort jetzt kurz vor dem Aussterben. Schuld daran ist aus Sicht des BUND nicht zuletzt der Bau des Logistikzentrums Obergeorgswerder, auf dessen Flächen vor dem Bau bis zu 20 Kiebitzpaare brüteten. Den Umzug auf die vorgesehenen Ausgleichsflächen machten sie jedoch nicht mit, weil die Wiesen offenbar nicht feucht genug sind.

Um die anderen Hamburger Störche ist es – noch – besser bestellt. Mittlerweile sind zwei Drittel von ihrer Winterpause in Afrika nach Hamburg zurückgekehrt und bereits mit der Paarfindung beschäftigt, der Rest wird bis Ende April erwartet. Auch das Curslacker Webcam-Storchenpaar Erna und Fiete hat sich bereits gefunden und auch schon gepaart. Die meisten nisten in künstlich angelegten Horsten auf Masten oder Körben auf Dächern. Einige Paare bauen aber auch auf Schornsteinen oder Strommasten selbst ihre Nester. Der Nabu hatte zuletzt zwölf der Tiere mit Sendern ausgestattet.