Hamburg. Der Tunnel galt als Prototyp und vereinfachte einst Reparaturen an Leitungen – das vermied Baustellen-Staus. Doch nun wird er verfüllt.
- Der Kaiser-Wilhelm-Tunnel war als Experiment angedacht
- Obwohl sich die Anlage technisch gut bewährte, blieb es bei dem einen Versuchsbau
- Das Projekt hätte Hamburg viele Baustellen ersparen können. Nun ist der Tunnel stark beschädigt
Leitungen, die unterhalb der Straße in einem Versorgungstunnel verlaufen – das war 1892 in Hamburg eine bahnbrechende Idee. Nach Londoner Vorbild sollten beim Bau der Kaiser-Wilhelm-Straße unter den Trottoirs jeweils ein 450 Meter langer und etwa drei Meter breiter begehbarer Tunnel errichtet werden.
Das Ganze war als Experiment angedacht. Durch das Unterbringen der Ver- und Entsorgungsleitungen außerhalb der Fahrbahn sollte vermieden werden, dass bei späteren Reparaturen und Ergänzungen an den Leitungen in der Straße eine Baugrube angelegt werden muss. Außerdem wurde er unmittelbar an die Kelleraußenwände der angrenzenden Häuser gebaut, sodass die Hausanschlüsse direkt vom Leitungstunnel aus hergestellt werden konnten.
Verkehr Hamburg: Kaiser-WilhelmTunnel wird verfüllt
Dieser Leitungstunnel, der jetzt im Zuge eines Straßen- und Radwegeausbaus abgerissen und verfüllt werden soll, gehörte zu den ersten derartigen Bauten auf dem europäischen Festland und zählt heute zu den ältesten erhaltenen Anlagen dieser Art in Europa. Die Decke besteht aus Stahlträgern, zwischen die gemauerte Gewölbekappen eingebaut wurden. Die Oberseite wurde mit einer Asphaltschicht abgedichtet und mit etwa 25 Zentimeter Erdreich überdeckt. Darüber wurde der Gehweg verlegt. Die Leitungen im Tunnel wurden auf Konsolen an den Wänden angeordnet, mit so viel Abstand, dass an den Leitungen gut gearbeitet werden konnte.
Das Projekt war als Experiment angelegt, und zumindest in Hamburg blieb es der hohen Kosten wegen bei dem einen Versuchsbau – obwohl sich die Anlage technisch gut bewährte und noch heute in Betrieb ist. Andere Städte dagegen griffen die Idee auf. „In Prag und Zürich gibt es noch heute ausgedehnte unterirdische Netze solcher Versorgungstunnel, die auch immer noch weiter ausgebaut werden“, weiß Michael Berndt vom Verein Hamburger Unterwelten, der schon viel zum Leitungsgang unter der Kaiser-Wilhelm-Straße recherchiert und geschrieben hat.
Kaiser-Wilhelm-Straße einseitig gesperrt
Wäre das Projekt auch in Hamburg weiterentwickelt worden, den Verkehrsteilnehmern wären etliche der jährlich 30.000 Baustellen erspart geblieben. Stattdessen werden Straße und Fußweg häufig kurz nach Ende der Arbeiten wegen einer weiteren erforderlichen Maßnahme wieder aufgerissen. Ironie der Geschichte: Für den Rückbau des Tunnels und das Verlegen der bestehenden Leitungen ist derzeit die Kaiser-Wilhelm-Straße einseitig gesperrt.
Doch der Leitungstunnel, der seit 2017 denkmalgeschützt ist, ist mittlerweile stark beschädigt. Da eine Instandsetzung aus denkmalfachlicher Sicht einem Neubau gleichkäme, hat sich die Stadt dazu entschieden, nur ein Teilstück von 26 Metern Länge zu erhalten – sozusagen als Referenz an dieses technische Denkmal aus der Frühzeit der modernen Infrastruktur. Der Rest des Tunnels wird verfüllt.
22 Bäume werden gefällt
Die Maßnahme findet im Zuge des Ausbaus der Velorouten 1 und 2 zwischen dem Axel-Springer-Platz und dem Johannes-Brahms-Platz statt sowie der Erneuerung der Fahrbahn an der Kaiser-Wilhelm-Straße und der Bushaltestellen am Johannes-Brahms-Platz. Außerdem soll die Erreichbarkeit des Bezirksamts verbessert, der ruhende Verkehr neu geordnet und die Gehwegflächen erneuert werden.
Nach 16 Bäumen im Dezember 2020 werden in der kommenden Saison 22 weitere gefällt. Am Ende soll „der bisherige Baumbestand mit 59 ortsnahen Neu- und Ersatzpflanzungen wiederhergestellt und gestärkt werden“, so der zuständige Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG).
LSBG: Arbeiten bis 2023 abgeschlossen
Vor den eigentlichen Straßenbauarbeiten aber müssen die in dem Tunnel verlaufenden Leitungen aufwendig verlegt und ausgebaut werden. Parallel und nachlaufend zu Abbruch und Verfüllung des Versorgungstunnels folgen weitere Arbeiten zur Herstellung der endgültigen Leitungstrassen. Auch das zu erhaltende Teilstück wird noch vor dem Beginn der Straßenbauarbeiten saniert. Die Arbeiten sollen laut LSBG mit den Baumpflanzungen im Frühjahr 2023 abgeschlossen werden.
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Wäre es nach der damaligen Baudeputation gegangen, hätte die aufwendige Maßnahme sogar zweimal vorgenommen werden müssen. Der Ausschuss hatte nämlich 1892 dafür plädiert, zwei unterschiedliche Konstruktionsprinzipien auszuprobieren. So sollte nur in einem der beiden Gänge auch eine Gasleitung verlegt werden, wofür eine zusätzliche Belüftung notwendig war.
Leitungstunnel nur auf einer Straßenseite
Auch der Anschluss an die Häuser sollte unterschiedlich hergestellt werden. „Wegen der hohen Kosten entschied der Senat dann allerdings, nur auf einer Straßenseite einen Leitungstunnel anzulegen und dort beide Konstruktionsarten auszuführen“, sagt Michael Berndt. So wurden die nördliche und südliche Hälfte des Tunnels in unterschiedlicher Bauart hergestellt und durch eine Wand mit einer feuerfesten Eisentür abgetrennt.