Hamburg. Christian Kuhnt ist Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals. Hier spricht er über Applaus, Großstadtarroganz und die Karriere.

Er hat einen der schönsten Jobs, die es in Norddeutschland gibt, und wenn man sich sein Leben so ansieht, könnte man denken, dass er genau darauf hingearbeitet hat: Christian Kuhnt ist seit 2013 Intendant des Schleswig-Holstein Musik Festivals, sein Vertrag läuft (mindestens) noch bis 2027. In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ spricht der 55-Jährige über Justus Frantz, Großstadtarroganz, Landliebe – und den Blödsinn, zwischen E- und U-Musik zu unterscheiden.

Das sagt Christian Kuhnt über …

… Klatschen an der (vermeintlich) falschen­ Stelle:

„Unsere Aufgabe ist es, möglichst viele Menschen von dem Reichtum, der in der Kultur steckt, zu überzeugen, nicht nur die, die sich bereits damit auskennen. Wir wollen immer wieder neue Begegnungen zwischen Musik und Publikum herstellen. Auch wenn es nicht jeder verstehen kann: Ich habe kein Problem damit, wenn an den vermeintlich falschen Stellen geklatscht wird, weil es keinen besseren Beweis gibt, dass man ein neues Publikum erreicht hat.“

… Justus Frantz, den Begründer des SHMF, und die Popularisierung klassischer Musik:

„Es gibt im 20. Jahrhundert kaum jemanden, der eine so wichtige kulturelle Leistung vollbracht hat wie Justus Frantz. Jeder, der ihn kritisiert, blendet aus, dass klassische Musik noch in den 80er-Jahren einer relativ kleinen Gruppe vorbehalten war: dem konservativen Teil des Bildungsbürgertums, der gern unter sich geblieben ist. Justus Frantz hat das aufgebrochen, und darauf haben einige Fans der Hochkultur reflexartig mit Vorbehalten reagiert. Auch weil sie stolz darauf waren, zu einem Kreis von Kennern zu gehören. Das Öffnen solcher Strukturen heißt, dass man sich Kultur mit Menschen teilen muss, die damit weniger Erfahrung haben und anders darüber sprechen. Kaum jemand hat die Popularisierung der klassischen Musik so vorangebracht wie Justus Frantz, und der Preis ist vielleicht, dass er deswegen in den Feuilletons nicht so präsent war wie auf den Boulevard-Seiten.“

… seine Karriereplanung, den Weggang vom und die Rückkehr zum SHMF:

„Intendant des SHMF zu sein ist mein absoluter Traumjob. Als ich von 1997 bis 2007 das erste Mal für das Festival gearbeitet habe und am Ende stellvertretender Intendant war, war das eine wahnsinnig schöne Zeit. Ich wusste aber, dass ich da noch einmal wegmusste, und habe das Angebot angenommen, Geschäftsführer der Konzertdirektion Dr. Goette zu werden. Die Zusammenarbeit mit deren Eigentümern Pascal und Hans-Werner Funke war so schön, dass ich dort gern bis ins hohe Alter geblieben wäre. 2011 aber begann das SHMF, einen neuen Intendanten zu suchen, und man fragte mich, ob ich meinen Hut in den Ring werfen würde. Ich habe abgelehnt, wurde ein Jahr später noch mal gefragt, ob ich nicht wenigstens ein Gespräch mit dem Stiftungsrat des SHMF führen wollte – und dann war es um mich geschehen. Ich habe im Abendblatt damals gesagt, dass ich zu meiner Liebe zurückkehre, und das trifft bis heute zu.“

… Großstadtarroganz und die Schätze Schleswig-Holsteins:

„Für mich hörte als junger Mensch Deutschland lange Zeit in Hamburg auf. Ich habe das gehabt, was man auch heute noch gelegentlich erlebt: die klassische Großstadtarroganz. Das hat sich auch durch das SHMF geändert, weil ich an Orten wie Wotersen oder Neumünster etwas spürte, das ich noch nie in klassischen Konzerten erlebt hatte. Ab diesem Zeitpunkt bin ich öfters in Schleswig-Holstein gewesen und habe mich in die wunderbare Landschaft, in die Strände und das ganze Land verliebt. Und diese Entdeckungsreise hört gar nicht auf, weil der Schleswig-Holsteiner sehr gut daran ist, seine Schätze vor anderen zu verbergen. Ich finde, dass Hamburg und Schleswig-Holstein perfekt zusammenpassen, und aus der Perspektive des SHMF liegt Hamburg sowieso in Schleswig-Holstein.“

… U- und E-Musik:

„Die Aufteilung der Musik in U und E, in unterhaltsam und ernst, ist und bleibt ein großer Blödsinn und ist eine Erfindung der GEMA, um zwei unterschiedliche Vergütungssysteme zu etablieren. In den 60er-Jahren standen viele Menschen nicht vor der Alternative Beethoven oder Mozart, sondern Beatles oder Rolling Stones. Wir würden als Veranstalter einen Riesenfehler machen, wenn wir versuchten, klassische Musik als museales Gut zu bewahren. Für mich ist klar: Elton John wäre ein Liedkomponist der Romantik gewesen, wenn er 100 Jahre vorher gelebt hätte. Wir werden beim Schleswig-Holstein Musik Festival in diesem Jahr neben der Auseinandersetzung mit dem Menschen und Komponisten Johannes Brahms auch Tom Jones zu Gast haben, und ich weigere mich, den in irgendeine Schablone zu pressen.

Wir müssen das Gemeinsame guter Musik in den Vordergrund rücken, nicht das Trennende. Auch Zoe Wees und Gentleman werden diesmal beim SHMF dabei sein, und das ist Ausdruck meiner Verweigerung, dass ich Intendant eines Schleswig-Holstein Klassik-Festivals bin. Es ist ein Musik-Festival, und Musik ist unfassbar facettenreif.“

… Verhandlungen mit Musikern:

„Während wir in der Klassik mit unseren Künstlerinnen und Künstlern meist erst einmal über das Programm sprechen und ganz am Schluss über das Honorar, ist es in der Popwelt genau andersherum.“

… eine seiner Lieblingsspielstätten:

„Das ist das Biotomatengewächshaus in Wöhrden, das ich 2015 durch einen Zufall entdeckt habe – eigentlich wollte der Besitzer, dass wir in seiner Reithalle spielen. Aber die hatte nicht ansatzweise den Charme des Gewächshauses. Seitdem sind wir jedes Jahr bei den Biotomaten, und jedes Mal ist es ausverkauft, ganz egal, wen wir dort hinbringen. Der Ort ist einmalig, und nur über uns kommt man hinein.“