Hamburg. Yuliia Shcherbyna entkam den Bomben von Charkiw. Doch in Hamburg erlitt sie einen Herzstillstand. Was wird nun aus ihren Kindern?

Sie dachten, sie hätten das Schlimmste hinter sich, als Yuliia Shcherbyna und ihre Kinder Timati und Kristiana in Hamburg ankamen. Die 38-jährige Ukrainerin war zusammen mit ihrer Schwester und deren Tochter vor dem Bombenhagel der Russen aus der schwer umkämpften Millionenstadt Charkiw im Osten der Ukraine in den Westen geflüchtet, über Polen nach Deutschland. Drei anstrengende Tage lang dauerte die Flucht.

Als sie endlich in Hamburg waren, glaubte die kleine Familie, sie habe ihre Leben gerettet, sei in Sicherheit. Doch nun liegt Yuliia Shcherbyna im Sterben.

Yuliias 17-jähriger Sohn Timati übernahm die Herzdruckmassage

Ihre Schwester Kateryna steht vor der Erstaufnahmeunterkunft an der Schmiedekoppel in Niendorf, gegen den kalten Wind hat sie sich die Kapuze ihres schwarzen Anoraks fest über den Kopf gezogen. Sie erzählt Yuliias traurige Geschichte, die die ganze Familie traumatisiert hat. Am 3. März machten sie sich alle gemeinsam in Charkiw auf den Weg, am 6. März kamen sie in Hamburg an und wurden nach der Registrierung der Erstunterkunft in Niendorf zugewiesen. Am 16. März gingen sie abends ins Bett, erzählt Kateryna, „da habe ich von der Seite meiner Schwester seltsame Geräusche gehört.“ Sie wusste, dass Yuliia herzkrank war, doch die Herzmedikamente waren auf der Flucht zu Ende gegangen.

Kateryna lief sofort zu ihrer Schwester, war völlig aufgelöst und rief nach Ärzten. Yuliias 17-jähriger Sohn Timati übernahm die Herzdruckmassage. Immer mehr Menschen strömten herbei, die Kinder schrien. Jemand brachte Katerynas Tochter aus dem Raum. Sieben Minuten dauerte es, bis ein Notarzt zur Stelle war. Doch er konnte nicht mehr viel tun.

An ihrem 38. Geburtstag lag Yuliia schon im Koma

Yuliia hatte einen Herzstillstand erlitten. Sie kam ins Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) und liegt seither im Koma. Die Ärzte haben sie für hirntot erklärt. „Sie haben mir gesagt, dass es keine Hoffnung gibt“, sagt Kateryna. Yuliias Kinder hätten noch nicht richtig realisiert, was passiert ist, wenn sie ihre Mutter im Krankenhausbett liegen sähen. „Die Mediziner haben ihnen alles erklärt, doch sie können es nicht glauben.“ Immer wieder schaut Kateryna in ihr Handy, um zu sehen, ob es etwas Neues gibt.

Vielleicht waren es die besonderen Strapazen der Flucht, die Yuliias Herz stillstehen ließen. „Sie war sehr aufgeregt, weil wir von den Verwandten, mit denen wir geflohen waren, getrennt wurden“, sagt Kateryna. Die seien in Alsterdorf untergebracht. An ihrem 38. Geburtstag vor wenigen Tagen lag Yuliia bereits im Koma. Nun gibt es schwere Entscheidungen zu treffen. Wohl am schwierigsten ist es, den Ärzten zu erlauben, die Geräte abzuschalten. Zunächst war unklar, wer diese Entscheidung überhaupt treffen darf, doch nun liegt sie bei Kateryna. Die aber tut sich schwer, hat Angst und möchte nicht allein die Verantwortung tragen. Irgendwann aber wird das Bett im UKE benötigt. Dann müsste Yuliia in ein Hospiz verlegt werden.

Wer bekommt das Sorgerecht für Tochter und Sohn?

Viele andere Fragen sind ungeklärt. Was wird mit Yuliias Kindern, Timati und der 15 Jahre alte Kristiana? Wer bekommt überhaupt das Sorgerecht für sie? Einen Vater dazu gibt es nicht, also scheint ihre Tante Kateryna demnächst für sie zuständig zu sein. Die Sozialarbeiter der Erstaufnahmeunterkunft von Fördern und Wohnen an der Schmiedekoppel stehen ihr zur Seite, auch das Jugendamt ist mit dem Fall befasst. Kateryna, die zu Hause – ebenso wie ihre Schwester Yuliia – als Verkäuferin in einer Wurstfa­brik gearbeitet hat, spricht weder Englisch noch Deutsch. Vieles ist für sie intransparent.

Immerhin muss die Familie nicht länger in den Containerhäusern der Erstaufnahme wohnen. Privatleute haben ihr eine halbe Autostunde entfernt Unterkunft bei sich zu Hause angeboten, zunächst für ein halbes Jahr. Dort soll sich Kateryna mit ihrer kleinen Tochter ein Zimmer teilen, Timati und Kristiana bekommen jeweils einen Raum für sich. Die Gastgeber leben mit im Haus, die Gemeinschaftsräume werden alle zusammen benutzen. Kleidung allerdings könnten die Shcherbynas sehr gut gebrauchen, denn sie konnten bei ihrer Flucht aus Charkiw nur wenig mitnehmen. Kateryna würde auch Arbeit annehmen, wenn das möglich ist. Sie will, wie sie sagt, „nicht faulenzen“.

Zunächst müssen sie alle erst einmal verarbeiten, was geschehen ist. Die Shcherbynas hoffen, wie ihre Landsleute, auf ein schnelles Ende des russischen Angriffskrieges. Denn eine Perspektive sehen sie für sich nicht in Deutschland. „Wir wollen nach Hause, sobald das möglich ist“, sagt Kateryna. „Wir haben hier keine Zukunft.“