Hamburg. Annika Rittmann, Sprecherin von Fridays for Future, über die Lehren aus dem Ukraine-Krieg, Tankrabatte und was die Stadt nun tun muss.
Mit einem riesigen, 400 Quadratmeter großen Plakat auf der Binnenalster hat Fridays for Future an diesem Sonnabend für mehr Klimaschutz appelliert. Damit soll auf den bevorstehenden zehnten globalen Klimastreik am kommenden Freitag, 25. März, sowie die dringende Handlungsnotwendigkeit angesichts der sich überschlagenden Krisen aufmerksam gemacht werden.
Aufgebaut auf einem schwimmenden Gerüst und begleitet von Schwimmern und einem Boot, schwamm das 20 mal 20 Meter große Banner um 11 Uhr auf Höhe der Kreuzung zwischen Alstertor und Ballindamm auf der Binnenalster.
Demo in Hamburg: Rittmann schon sechsmal dabei
Annika Rittmann (19) ist Sprecherin von Fridays for Future in Hamburg und bundesweit für diese Bewegung in der Aktions- und Kooperationsarbeit engagiert. Sie studiert Mensch-Computer-Interaktion an der Universität Hamburg. Im Abendblatt spricht sie über den Krieg gegen die Ukraine und fordert: „Um uns von Autokraten wie Putin unabhängig zu machen, muss eine Antwort auf den Krieg der Ausbau der erneuerbaren Energien sein.“
Hamburger Abendblatt: Wie viele Mal haben Sie bislang gegen den Ukraine-Krieg demonstriert?
Annika Rittmann: (denkt nach) Ich glaube, sechsmal. Die meisten davon sind Demonstrationen, die es in Hamburg bislang gab und bei denen auch Fridays for Future involviert war.
Wie haben Sie die Stimmung erlebt?
Rittmann: Die Stimmung war bei jeder Demonstration sehr unterschiedlich, weil die Lage sehr dynamisch ist. Ich habe bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Wut, Frustration und Unverständnis gespürt – gegenüber Putin und den Menschen in Russland, die da mitmachen. Aber ich habe auch Hoffnung, große Bereitschaft zur Solidarität wahrgenommen. Wir werden die ukrainische Community bei weitere Demonstrationen unterstützen.
Menschen politisieren sich in den Krisen
Haben Sie nicht Sorge, dass das Thema Klimawandel an Relevanz im öffentlichen Bewusstsein verliert?
Rittmann: Die Menschen merken, dass sich gegenwärtig die Krisen häufen. Das darf aber nicht zur Normalität werden. Wir dürfen uns nicht angewöhnen, mit diesen Krisen zu leben. Wir müssen uns dieses Angewöhnen abgewöhnen. Ich beobachte, wie sich sehr viele Menschen angesichts dieser Krisen politisieren. Bei diesem Krieg sehen wir, wie Außenpolitik und Klimapolitik miteinander verwoben sind. Um uns von Autokraten wie Putin unabhängig zu machen, muss eine Antwort auf den Krieg der Ausbau der erneuerbaren Energien sein.
Es ist ein Krieg um Ressourcen.
Rittmann: Wir importieren Öl, Gas und Kohle aus Russland. Putin merkt, dass sich Länder unabhängig von seinen fossilen Ressourcen machen wollen. Neben den absurden territorialen Ansprüchen auf die Ukraine erhebt er Anspruch auf die Nutzung dieser Ressourcen durch andere Länder, weil er finanziell davon abhängig ist.
Energiesysteme müssen umgestellt werden
Deutschland ist nach wie vor vom russischen Gas abhängig. Altbundespräsident Gauck hat deshalb vorgeschlagen, auch mal für den Frieden zu frieren.
Rittmann: Ukrainische Aktivistinnen fordern, dass wir damit aufhören, Gas, Öl und Kohle aus Russland zu beziehen, weil wir dadurch den Krieg mitfinanzieren. Wir müssen schnellstmöglich für den kommenden Winter und die danach anfangen, unsere Energiesysteme komplett umzustellen. Es wird am Ende nicht die eine Lösung für alle geben. Aktuell passiert überall zu wenig. Politiker müssen sich in dieser Frage mit Wissenschaftlern an den Tisch setzen. So zu tun, es wäre die Lösung, dass alle frieren für den Frieden, ist dagegen absurd.
Die hohen Spritpreise müssten eigentlich ganz im Sinne der Klimabewegung sein?
Rittmann: Die Idee, diese Preise steigen zu lassen, steht ja – unabhängig von der gegenwärtigen Entwicklung – im Koalitionsvertrag. Was nicht kommen darf, sind Tankrabatte. Die sind weder sozial noch klimapolitisch sinnvoll. Die Spritpreise sind am Ende von den Konzernen in die Höhe getrieben worden. Der Staat darf das nicht auch noch belohnen.
Preise für den ÖPNV senken
Haben Sie einen Gegenvorschlag?
Rittmann: In einigen Ländern wie Neuseeland wurden die Preise für den ÖPNV halbiert oder ganz auf null gesetzt. Das müsste bei uns ebenfalls die Antwort sein.
Da müsste der HVV ein deutliches Zeichen setzen.
Rittmann: Das kann der HVV nicht allein, das muss Hamburg, das muss der Senat entscheiden. In einer wohlhabenden Stadt wie unserer wäre das aber zweifelsfrei das richtige Signal.
"Die Ukraine wird von Russland zerstört"
Wie informieren Sie sich über Putins Krieg gegen die Ukraine?
Rittmann: Ich nutze Live-Blogs von ZDF und „Tagesschau“, den „Spiegel“ und Kiev independent. Ich spreche auch viel mit Ukrainerinnen und Ukrainern.
Welche ökologischen Folgen hat der Krieg in der Ukraine?
Rittmann: Das Land wird von Russland zerstört – und damit auch Menschen, Kultur, Natur. Die klimapolitische Perspektive zielt darauf, die Lieferungen von fossilen Energien aus Russland zu stoppen.
Angriff auf Kinder besonders emotional
Welche der vielen schlimmen Nachrichten aus der Ukraine haben Sie besonders betroffen gemacht?
Rittmann: Die erste Nachricht, dass Krankenhäuser und Kinder bombardiert werden. Das hat emotional sehr viel bei mir ausgelöst. Ich habe bei einer Telefonkonferenz mit Aktivistinnen und Aktivisten erlebt, dass eine teilnehmende Person in der Ukraine sich plötzlich wegen Bombenalarms in Sicherheit bringen musste. So etwas bringt einen schon aus dem Gleichgewicht.
Haben Sie Sorge, dass der Krieg nach Deutschland kommt?
Rittmann: Es ist jetzt unsere Aufgabe, an der Seite der Ukraine zu stehen und Putin zu stoppen.
Atomwaffen müssen endgültig verbannt werden
Engagiert sich Deutschland genug?
Rittmann: Ich bzw. wir sind nicht die Richtigen, die Antwort auf diese Frage zu finden. Das ist Aufgabe der Experten.
Haben Sie Angst vor einem Atomkrieg?
Rittmann: Putin hat angedeutet, dass er bereit ist, Atomwaffen einzusetzen. Das bestätigt einmal mehr, dass wir Atomwaffen und Atomenergie endlich von der Erde verbannen müssen. Diese Technologie ist einfach zu gefährlich.
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Was macht Ihnen Hoffnung?
Rittmann: Es sind die Menschen, die auf die Straße gehen und die den Geflüchteten helfen. Die Zivilgesellschaft kann es schaffen, die Krisen, die uns gerade überhäufen, anzugehen und zu lösen.