Schleswig-Holsten/Dänemark. Die Fehmarnbeltquerung war lange umstritten – jetzt wird daran gearbeitet. 2029 sollen erstmals Autos und Züge durch den Tunnel fahren.
Sie sind so etwas wie moderne Arbeitsnomaden. Wie eine Karawane, die von Land zu Land zieht, Staudämme oder Bahnstrecken in China baut, U-Bahn-Linien in Katar oder Autobahnen in Spanien. Was sie von den allermeisten Arbeitsnomaden unterscheidet: Sie sind absolute Fachleute, heiß begehrt und sicher auch sehr gut bezahlt. Sie kennen sich von den unterschiedlichsten Baustellen weltweit, vertrauen einander, arbeiten Hand in Hand.
Aktuell treiben solche Experten „Europas größtes Infrastrukturprojekt“ voran – in zwei Ländern, einem Meer und über eine Strecke von rund 20 Kilometern: Die Bauingenieure Martin Staffel, Gerhard Cordes und Matthias Laubenstein und ihre Mitarbeiter errichten den Fehmarnbelttunnel von Puttgarden nach Rødby auf der dänischen Insel Lolland. Die Arbeiten sind in vollem Gange. Besuch auf einer der größten Baustellen Europas.
Fehmarnbelttunnel: Europas größtes Infrastrukturprojekt
Es ist einer dieser typischen Wintertage Ende Februar, vom Hoch über dem Norden gibt es nicht mehr als eine vollmundige Ankündigung für Anfang März. Es regnet, und es stürmt. Die Brücke über den Fehmarnsund ist nach einem Unfall nur noch einspurig geöffnet. Ein Lkw ist bei schwerem Sturm umgekippt, mal wieder. Die Aufräumarbeiten ziehen sich über viele Stunden hin. Kilometer um Kilometer stauen sich Laster auf dem Weg nach Puttgarden. Auch das soll Vergangenheit sein, wenn die beiden neuen Tunnel erst einmal fertig sind: der kleine vom Festland nach Fehmarn und der große von dort nach Dänemark.
Für einen Laien ist es schwer vorstellbar, dass hier alles nach Plan läuft: Die Baustellen auf deutscher und dänischer Seite versinken an jenem Tag in Matsch und Dreck – jetzt, Mitte März, ist alles wieder getrocknet. Und dennoch reiht sich Ende Februar Schwerlast-Lkw an Lkw. 70 davon sind auf dänischer Seite am Start, dazu kommen 30 Bagger. „Laster an Laster – es ist wie bei einer Ameisenstraße“, sagt Denise Juchem. Sie ist die Sprecherin des dänischen Staatskonzerns Femern A/S, der den „weltgrößten Absenktunnel“ baut. Einfach erklärt bedeutet das: Der Tunnel wird nicht gebohrt wie beispielsweise die vierte Röhre des Elbtunnels, sondern es werden Stahlbetonelemente gegossen, versenkt, verbunden und dann vergraben.
Der Tunnel wird 18 Kilometer lang und aus vier Röhren bestehen – zwei für Bahnen, zwei für Autos. Hinzu kommen Rettungs- und Wartungswege. 2029 soll der offizielle Betrieb starten. Die Reisezeit zwischen Hamburg und Kopenhagen wird sich dann von fünf auf weniger als drei Stunden verkürzen. Denn die Züge brauchen zwischen Puttgarden und Lolland nur noch sieben Minuten, Autos zehn. Zum Vergleich: Die reine Schiffspassage dauert aktuell 45 Minuten.
Dänemark lässt sich den Tunnel 7,1 Milliarden Euro kosten, Deutschland zahlt für die neue Querung des Fehmarnsunds, also den kleinen Tunnel, und die Hinterlandanbindung 3,5 Milliarden Euro. Gegenfinanziert wird das Projekt auf dänischer Seite durch eine Maut. Deren Höhe ist noch unklar, wird sich aber an den Fährpreisen orientieren: Uns kostet die einfache Fahrt von Puttgarden nach Rødby an jenem Morgen 100 Euro, wer langfristig bucht, zahlt weniger.
Die Macher des Fehmarnbelttunnels
Aktuell entstehen, wieder extrem vereinfacht, komplett neue gigantische Arbeitshäfen auf beiden Seiten des Projekts, der Bau der beiden Tunnelportale wird vorbereitet, der Graben, in dem die Tunnelelemente verlegt werden, wird ausgehoben, eine Fabrik wird hochgezogen, in der die Tunnelelemente gegossen werden. Allein für die Landgewinnung auf dänischer Seite arbeiten zurzeit 350 Leute, sagt Oberbauleiter Staffel. Ein Teil ist auf einem der 60 Arbeitsschiffe im Einsatz, ein größerer an Land. Insgesamt sind auf dänischer Seite schon um die 1000 Leute am Start, inklusive der Menschen, die die Betonfabrik bauen.
Wo immer es geht, setzt Femern A/S auf regionale Unternehmen, für die ganz großen Projekte wurden aber weltweite Fachleute verpflichtet. So haben zwei holländische, auf große Hafenbauprojekte auf der ganzen Welt spezialisierte Firmen den Auftrag zur Landgewinnung gewonnen. Spezialisten sind auch Matthias Laubenstein, Gerhard Cordes und Martin Staffel. Laubenstein hat das Projekt schon durch die langwierige Planfeststellung gebracht, jetzt verantwortet er als „Vertragsdirektor“ den Bau der Portale und Rampen und die Arbeiten an Land. Staffel ist als Oberbauleiter für Erdaushub und Landgewinnung zuständig. Und Cordes ist derjenige, der als „Vertragsdirektor“ die Tunnelfabrik errichtet, die Produktion der Tunnelelemente und deren Absenken in der Ostsee verantwortet.
„Gerhard Cordes und ich haben schon zusammen die Doha-Metro gebaut“, sagt Staffel. An drei der sechs Linien der erstmals seit 2019 fahrenden U-Bahn haben die beiden entscheidend mitgearbeitet. „Wir haben bei null angefangen“, sagt Staffel. „Und dann mehr als 90 Kilometer gebaut“, ergänzt Cordes. 22 Tunnelbohrmaschinen hatten sie vor Ort, 21 von denen haben gleichzeitig gearbeitet. Damit haben sie es nebenbei noch ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft. „Wenn Geld keine Rolle spielt, geht das“, sagt Cordes. Zum Vergleich: Hamburg setzte beim Bau der U-Bahn in die HafenCity einen Bohrer ein ...
Staffel hat fünf Jahre in Hamburg gelebt und gearbeitet – für Philipp Holzmann und Hochtief hat er mitgebaut an der Arena im Volkspark, am „Theater im Hafen“ (König der Löwen), an der vierten Elbtunnelröhre, hat die dritte Elbtunnelröhre, Köhlbrandbrücke und Elbbrücken saniert. Der Hamburger Matthias Laubenstein hat in den 1990er-Jahren in China einen Staudamm gebaut. Danach zog es ihn erst einmal auf eine Mammutbaustelle gar nicht weit weg: nach Berlin. „Wir haben den Spreebogen gebaut.“ Dort entstanden das Regierungs- und Parlamentsviertel, der neue Hauptbahnhof, neue Straßen, eine U-Bahn-Linie. Die Spree musste zwischenzeitlich verlegt werden.
Gerhard Cordes wiederum hat sich im Auftrag von Bilfinger schon Anfang der 1990er-Jahre mit dem Tunnel in der Ostsee beschäftigt. „Ich habe in einer Arbeitsgruppe Querschnitte des Tunnels mit entwickelt, mehr als 30 Jahre später darf ich mitbauen. Das ist doch ganz gut. Und dann gehe ich in Rente mit dem Projekt“, sagt Cordes (59) und lacht.
Die Vorgeschichte: Baubeginn lange verzögert
„Der Bau klappt schon, wenn man uns lässt, die Planungs- und Genehmigungsphase sind das Problem“, sagt Cordes. Das Projekt steht – wie der Bau der Autobahn 20 – beispielhaft für die Schwierigkeiten, ein Großprojekt in Deutschland rechtsgültig genehmigt zu bekommen. Fangen wir mit dem Ende an: Das Bundesverwaltungsgericht wies am 3. November 2020 die Klagen gegen den Bau des Ostseetunnels ab. Danach folgten noch Auseinandersetzungen um den Schutz der Riffe und die Ausgleichsmaßnahmen für deren Zerstörung.
Aber grundsätzlich hatten die Planer Ende 2020 mit dem Urteil Gewissheit. Der symbolische erste Spatenstich folgte 2021 – eigentlich hätte der Tunnel da längst fertig sein sollen. Das zumindest sahen die Planungen auf dänischer Seite vor. Hier gilt Baurecht seit 2015. Im Nachbarland hatten 42 Anwohner oder Unternehmen im Genehmigungsverfahren Einwände – in Deutschland waren es mehr als 12.000. Zivilklagen und das langwierige Genehmigungsverfahren (die Planfeststellung dauerte sieben Jahre) verzögerten den Baubeginn weiter.
Die deutsche Baustelle: Vorbereitungen begonnen
Strom-, Abwasser- und Frischwasserleitungen sind verlegt, zwei Umspannwerke errichtet, um die Baustelle mit Strom zu versorgen. Auf den Baustraßen sind Laster unterwegs. Ihr Ziel: der neue Arbeitshafen neben dem alten Fährterminal. Sand wurde dafür aufgespült, Wellenbrecher angeliefert. Der Arbeitshafen ist im Bau, zehn Hektar soll er groß werden. Über ihn soll die Baustelle auf deutscher Seite mit Sand, Steinen und Zement versorgt werden. „Wir wollen so das Straßennetz auf Fehmarn entlasten“, sagt Matthias Laubenstein.
„Ende Januar 2022 haben die Vorbereitungen für den Bau des deutschen Tunnelportals begonnen. Für die Spundwände werden lange Stahlträger und trapezförmige Stahlprofile in den Boden getrieben. Auch in den kommenden Monaten laufen diese Tätigkeiten weiter, bis durchgehend Spundwände rings um die Baugrube für das künftige Tunnelportal und die Kaimauern des Arbeitshafens hergestellt sind“, teilt Femern A/S mit.
Fehmarnbelttunnel: Die dänische Baustelle
Die Baustelle hat die Größe von rund 310 Fußballfeldern. Allein der neue Arbeitshafen – er soll dieses Jahr in Betrieb gehen – wird etwa doppelt so groß wie der alte Fährhafen gleich nebenan. Im Sommer 2020 sind die Arbeiten hier gestartet. Die Baugrube für das dänische Tunnelportal ist komplett ausgehoben. Das Baggergut wiederum wird genutzt, um neue Landflächen zu gewinnen: „Dänemark wächst um 500 Meter ins Wasser und kommt Deutschland näher“, sagt Denise Juchem. Seit Ende 2021 wird die Tunnelelementfabrik hinter dem dänischen Arbeitshafen hochgezogen. Dort werden später die 89 Tunnelelemente hergestellt. Die sind 217 Meter lang, neun Meter hoch, 42 Meter breit und 73.000 Tonnen schwer. Neun Wochen soll es dauern, ein solches Element zu gießen. Sechs Fertigungsstraßen wird es in der Fabrik geben, in denen parallel und rund um die Uhr gearbeitet wird.
Die fertigen Elemente werden mit Stahlschotten verschlossen, auf die Ostsee geschleppt, an der vorgesehenen Stelle geflutet und millimetergenau in den ausgehobenen Graben abgesenkt. Schließt das neue Element genau an das zuvor versenkte an, werden die Schotten entfernt. Unterdruck presst die Elemente zusammen, sodass sie wasserdicht verbunden werden. 2024 wollen sie das erste der Elemente in der Ostsee absenken. Ist der Tunnel komplett verlegt, wird er mit Steinen und Sand bedeckt. Rund um die Uhr soll einmal in der Betonfabrik gearbeitet werden.
Auch hier sind es wieder Spezialfirmen, die sich für das Projekt zusammengeschlossen haben. 1300 Mitarbeiter – viele von ihnen werden aus Polen kommen – sollen in der Spitze hier tätig sein. Gelebt wird im Camp neben der Baustelle. Jeder bekommt hier sein eigenes Zimmer, gezahlt wird wenigstens der Mindestlohn. Der liegt in Dänemark bei 14,50 Euro die Stunde. Mit 120 Jahren „Lebenszeit“ des Spezialbetons kalkulieren die Planer um Gerhard Cordes. Zum Vergleich: Die Köhlbrandbrücke muss schon nach rund der Hälfte der Zeit ersetzt werden – weil sie marode ist.
Die Fabrik bleibt in Betrieb, wenn die Arbeiten am Tunnel beendet sind. Femern A/S will sie nutzen, um hier unter anderem Elemente für einen neuen Kopenhagener Hafentunnel zu gießen, die dann von Lolland in die dänische Hauptstadt geschleppt werden.
Die Baustelle in der Ostsee
Um die Tunnelelemente später absenken zu können, wird bereits jetzt ein Graben in der Ostsee ausgehoben – von Baggern mit lustigen Namen wie „Goliath“, „Simson“, „Manta“ oder „Fetsy“. Bis zu 25 Meter tief reichen die Ausleger der Saugbagger. Reicht das nicht aus, kommen sogenannte Seilbagger zum Einsatz. Sie schaffen es bis in 43 Meter Tiefe. Geologen haben bei den Arbeiten Schiffswracks entdeckt samt Kanonen und Kugeln. Die kommen jetzt ins Wikingermuseum von Roskilde.
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Die Befürworter: „Wichtige Infrastrukturmaßnahme“
Bernd Buchholz (FDP), Wirtschafts- und Verkehrsminister in Schleswig-Holstein, nennt die Fehmarnbeltquerung eine „ganz wichtige Infrastrukturmaßnahme. Schleswig-Holstein hat große Chancen, damit eine völlig neue Größenordnung des Wirtschaftswachstums zu generieren.“ Buchholz sagt, mit dem Tunnel entstehe eine „transeuropäische Verkehrsachse“. Von der profitierten schon jetzt die Gewerbestandorte zwischen Rødby und Kopenhagen. „Und davon wird auch Schleswig-Holstein profitieren. Nie gab es so viele Chancen für eine steigende und wachsende wirtschaftliche Dynamik“ im Norden.
Das wird auch weiter entfernt so bewertet: „Wir sehen die feste Fehmarnbeltquerung als entscheidende Investition in die Infrastruktur.“ So steht es in einer gemeinsamen Erklärung der Bürgermeister von Hamburg, Malmö und Kopenhagen. Der Tunnelbau sei von großer Bedeutung, „um wichtige nationale Umweltziele zu erreichen und das zukünftige Wachstum in unseren drei Ländern sicherzustellen“, heißt es. Und dass durch die Verlegung des Gütertransports von der Straße auf die Schiene „neue Chancen“ entstünden. Das schrieben Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), die Bürgermeisterin von Malmö, Katrin Stjernfeldt Jammeh, und Kopenhagens Bürgermeister Frank Jensen anlässlich des Spatenstichs in ihrer gemeinsamen Verlautbarung.
Die Gegner: „Ökologische Folgen wären gravierend“
„Überfischung, Überdüngung, Offshore-Windparke, Schifffahrt, Brückenbauwerke: Schon heute ist die Ostsee durch wirtschaftliche Nutzung extrem belastet. Die feste Fehmarnbeltquerung … könnte das Fass zum Überlaufen bringen. Die Meeresenge … soll von einem rund 100 Meter breiten, 30 Meter tiefen und 20 Kilometer langen Graben durchpflügt werden. Mitten durch ein europäisches Meeresschutzgebiet. Die ökologischen Folgen wären gravierend. Auch einen infrastrukturellen Nutzen bringt das Projekt nicht.“ So stellt es der Naturschutzbund in seinem Internetauftritt dar. Der Nabu und das „Aktionsbündnis gegen eine feste Fehmarnbeltquerung“ waren und sind die großen Gegner des Projekts. Wer über Fehmarn fährt, sieht in vielen Einfahrten und am Straßenrand die blauen Holzkreuze. Das X soll signalisieren: hier nicht, mit uns kein Tunnel.