Hamburg. Zum zweiten Mal gehen Zehntausende Menschen in der Hansestadt auf die Straße, um gegen den Krieg in der Ukraine zu demonstrieren.
Zehntausende Menschen können sehr ruhig sein. Stille erfüllt den Jungfernstieg am Sonnabend, als Iryna Tybinka, Generalkonsulin der Ukraine in Hamburg, zur Schweigeminute aufruft. Nur das Flattern der Flaggen ist zu hören. In Blau-Gelb leuchten Banner und hochgereckte Pappschilder. Zu der Demonstration „Solidarität mit der Ukraine und Frieden in Europa“ hat die Ukrainische Diaspora aufgerufen, unterstützt von zivilgesellschaftlichen Einrichtungen und Jugendorganisationen, Parteien und Gewerkschaften.
Vor der Rednerbühne haben sich Menschen unterschiedlicher Generationen versammelt, Kinder und Familien sind dabei, auch Politiker wie Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und Prominente wollen Farbe bekennen.
Demo Hamburg: Natalia Klitschko hält eine Rede
Nach der Schweigeminute dankt Generalkonsulin Tybinka für die Unterstützung: „Die Ukraine verteidigt sich selbst, aber der Rest der Welt ist ihre Stütze.“ Nach ihr spricht Natalia Klitschko, Ehefrau des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko. Sie bittet die Hamburger, „ihre Herzen zu öffnen“ und Geflüchtete aufzunehmen.
Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) betont bei der Auftaktkundgebung gegen Mittag, Hamburg sei „ein sicherer Hafen“ für Geflüchtete. Der Konflikt sei der Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin. „Wir werden zusammenhalten für die freie Welt, Freiheit und Recht.“
„Was da passiert, ist inakzeptabel"
Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) sagt: „Was da passiert, ist inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen.“ Es sei ein Privileg, sich bei einer Demonstration versammeln zu können. Hamburg müsse denen Kraft schenken, die es nicht könnten.
Die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein fordert, die Abhängigkeit der deutschen Energieversorgung von Russland zu beenden. Auch Bischöfin Kirsten Fehrs greift zum Mikrofon. „Die Ukraine ist eine blutende Wunde am Körper Europas“, sagt sie. „Krieg ist ein Brutkasten für Hass, Gewalt und Tod.“
20.000 Teilnehmer bei Demo in Hamburg
Kurz bevor der Marsch durch die Innenstadt beginnen soll, heißt es von Julius Nebel, Sprecher der Grünen Jugend, man habe die Route kurzfristig ändern müssen. Diese solle wegen der erwarteten 50.000 Teilnehmer nicht mehr über die Lange Reihe und den Hauptbahnhof führen. Der Zug zieht deshalb vom Jungfernstieg über die Kennedybrücke entlang der Alster zum ukrainischen Generalkonsulat am Schwanenwik.
Allerdings sind dann doch nicht so viele Teilnehmer dabei wie erwartet. Die Polizei spricht erst von 30.000, korrigiert die Zahl am Nachmittag auf 20.000. Die Organisatoren sprechen direkt nach der Demonstration von „mehreren Zehntausend“ Teilnehmern.
Plakat, das Putin hinter Gittern zeigt
Sie alle eint das Bedürfnis, „etwas tun zu wollen.“ Viele Menschen laufen hier gegen das Gefühl der Ohnmacht an, wie sie erzählen. Doch sie verweisen auch auf konkrete Anlässe. Eine Gruppe von alleinerziehenden Müttern und eine Frauengruppe aus der Freikirche „Dock 1“ wollen vor allem an Frauen und Kinder in der Ukraine erinnern.
Demonstrant Kai Müller trägt nicht nur die Farben der Ukraine, sondern auch eine Griechenlandfahne: „Meine Frau kommt aus Griechenland. Mit der Türkei gibt es dort auch einen gefährlichen Nachbarn.“ Demo-Teilnehmer Patrick Raap trägt ein Plakat, das einen geschminkten Putin hinter Gittern zeigt. Raap möchte damit an die Unterdrückung von homosexuellen und queeren Menschen in Russland erinnern.
Demonstrierende fordern die Aufnahme der Ukraine in die EU
Auf anderen Plakaten prangt schlicht das Wort „Frieden“. Andere Sprüche beleidigen Putin. Wieder andere Demonstrierende fordern die Aufnahme der Ukraine in die EU, eine Veränderung der Energiepolitik, eine Verurteilung Putins vor dem Internationalen Gerichtshof. Manche sehen den Krieg in der Ukraine als Teil größerer Probleme. Vor allem Jugendorganisationen und Jungparteien bemängeln das in ihren Reden.
Auch viele Ukrainerinnen und Ukrainer laufen bei dem Protestzug mit. Zum Beispiel Olena Yefimenko, die seit acht Jahren in Deutschland lebt. Ihre Familie sei noch in der Ukraine, in Dnipro, eine Stadt in der Mitte des Landes. Insgesamt seien es zehn Personen. „Wenn sie fliehen, dann zusammen.“ Der Protest helfe ihr, sagt Yefimenko. „Erst konnte ich nicht schlafen. Seit ich auf die Straße gehe, fühle ich mich besser.“ Ob und wann ihre Familie das Land verlassen kann, weiß sie nicht.
„Am Boden verteidigen wir unser Land allein“
Anna Semenova hält es nicht mehr aus, „zu Hause zu sitzen“, wie sie sagt. Sie fordert auf ihrem Plakat die Schließung des Luftraums. „Am Boden verteidigen wir unser Land allein.“
Iryna Oelze hält die Flagge ihres Heimatlandes hoch. Sie sagt: „Putin allein ist für diesen Krieg verantwortlich. Er begann ihn, nur er kann ihn beenden.“ Gegen 15.30 Uhr kommen die ersten Demonstrierenden an ihrem Ziel an: dem ukrainischen Generalkonsulat am Schwanenwik. Viele legen Blumen vor der Tür nieder. Während sie auf den Rest warten, wird es ruhig.
Demonstrant schlägt auf Baustellenschild den Takt
Doch dann begehrt die Ukrainerin Olga Antonivk gegen die Stille auf. Sie hat sich ein Mikrofon genommen und ruft: „Slava Ukrajini“ – in etwa: „Ruhm der Ukraine.“ Etwa 15 Menschen fallen in den Chor mit ein, ein Demonstrant beginnt, auf einem Baustellenschild den Takt zu schlagen. Nur Sekunden, nachdem ihre Rufe verhallen, beginnt ein junger Mann, der am Rand des Zuges steht, zu schreien: „Stoppt den Krieg!“ Wieder rufen Dutzende Menschen mit.
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Der Hamburger Demonstrant Moritz Samuelsdorff sagt dem Abendblatt: „Es ist die Pflicht aller Verfechter der Demokratie, jetzt auf die Straße zu gehen und ihre Stimme zu erheben.“
Demo Hamburg: Ukrainerin bedankt sich bei Hamburgern
Als eine der Letzten spricht die Ukrainerin Anna. Ihren Nachnamen möchte sie nicht in der Zeitung lesen. Etliche Demonstranten sind schon nach Hause gegangen, aber noch drängen sich Hunderte auf der Straße. Anna scheint die Sonne ins Gesicht, während sie vom Leid in ihrer Heimat spricht. Sie habe ihrer Familie in der Ukraine Videos von den Protesten gezeigt. „Ich soll euch etwas von ihnen ausrichten: danke. Vielen Dank.“