Hamburg. Die Frau soll ihrem kranken Ehemann mehrfach ins Gesicht geschlagen haben. Nach Aussage der Angeklagten war aber alles ganz anders.
„Wir hatten eine gute Ehe“, sagt sie. Und: „Mein Mann war der beste Vater der Welt.“ Wenn Agnes M. (Name geändert) über die Zeit mit ihrem Gatten spricht, klingt es nach Harmonie und der wahren Liebe. „Das Schlimmste ist, dass er jetzt tot ist“, sagt die 87-Jährige unter Tränen. Seit knapp sechs Monaten lebt der Ehemann der Hamburgerin nicht mehr. Aber eigentlich, so ist es zwischen den Schluchzern der zierlichen Seniorin herauszuhören, hätten sie „gemeinsam sterben wollen. Wir wollten in die Schweiz fahren, damit Schluss ist mit dem Elend.“
Dieses Elend, das in Agnes M. und ihrem Mann den Wunsch ausgelöst habe, gemeinsam im Nachbarland die Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen: Was meint sie damit? Das Unglück, dass ihr gleichaltriger Mann schon länger bettlägerig war und zuletzt an Demenz litt? Dass sie, die sie ihn zu Hause betreute, oft mit seiner Pflege auf sich allein gestellt war? Sie hätte ihn noch weiter versorgt, „auch wenn er hundert Jahre alt geworden wäre“, sagt die 87-Jährige mit Nachdruck. Sie habe das gern getan.
Angeklagte soll ihrem kranken Mann ins Gesicht geschlagen haben
Doch die Anklage, die die Rentnerin jetzt vor das Schöffengericht gebracht hat, legt nahe, dass wahrlich nicht alles wirklich einträchtig lief im Haushalt der beiden betagten Eheleute. Die Staatsanwaltschaft wirft Agnes M. Misshandlung von Schutzbefohlenen sowie Körperverletzung vor.
Die Hamburgerin habe am 18. August 2020 ihrem kranken und wehrlosen Mann mehrere Schläge ins Gesicht versetzt, wodurch er unter anderem eine Nasenbeinfraktur sowie Schürf- und Platzwunden davongetragen habe, heißt es in der Anklage. Als Nachbarn, alarmiert durch verdächtige Geräusche aus der Wohnung des Ehepaars, die Polizei alarmierten, soll Agnes M. zudem den Beamten gegenüber aggressiv geworden und sie angegriffen haben.
Nachbarn alarmierten wegen Hilfeschreien des Ehemannes die Polizei
Mittlerweile nutzt Agnes M. selber einen Gehwagen, sie ist eine kleine, zarte Person mit gebeugtem Rücken. Wenn der eine Ehepartner bettlägerig ist und der andere selber nicht mehr vollkommen fit, können wohl leicht Situationen entstehen, die den Pflegenden arg belasten oder sogar überfordern. Pflege kostet sehr viel Kraft, körperlich ebenso wie psychisch.
Ihr Mann sei schon seit längerer Zeit „viel hingestürzt“, sagt Agnes M. jetzt vor Gericht. „Überall ist er gegengefallen.“ Wegen eines Blut verdünnenden Medikamentes, das er habe nehmen müssen, hätten seine Wunden stets stark geblutet. Am Tag, der zur Anklage geführt hat, sei Heinz M. aus dem Bett gefallen. „Er rief nach mir. Gut, dass ich kam, sonst hätte er sich das Genick gebrochen. Ich habe ihn gerade noch mit aller Kraft ins Bett hieven können.“ Nachbarn hätten da aber bereits wegen seiner Hilfeschreie die Polizei alarmiert.
87-Jährige streitet unter Tränen alles ab
„Da kamen drei Leute, die sagten sofort: ,Wir müssen Sie mitnehmen.’ Ich wollte vorbei, um mich von meinem Mann zu verabschieden.“ Doch die Beamten hätten sie festgehalten. „Ich habe sie nicht geschlagen, ich habe mich nur gewehrt“, meint Agnes M. Da seien ihr Handschellen angelegt worden, erzählt die Angeklagte unter Tränen. Und ihr Mann kam ins Krankenhaus. Dort soll er erzählt haben, dass seine Frau ihn geschlagen habe.
„Aber das stimmt nicht!“, beteuert die Angeklagte. Ihr Gatte habe da sicher etwas durcheinander bekommen. „Als er das sagte, hatte er schon mit der Demenz zu tun.“ Auch habe der 87-Jährige immer schlechter sehen und hören können. „Zuletzt wurde er schwächer und schwächer.“
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Angeklagte vermutet einen "Racheakt" der Nachbarn
Und dass Nachbarn seinerzeit die Polizei riefen, wertet Agnes M. als „Racheakt“. Die anderen Bewohner im Haus hätten es ihr wohl nur heimzahlen wollen, weil sie miteinander im Clinch lagen, ob und wie oft die Nachbarn auf dem Balkon grillen dürften.
Doch die beiden Frauen, die letztlich einen Notruf absetzten, betonen als Zeuginnen, sie hätten dies aus ernsthafter Sorge getan. Aus der Wohnung der Eheleute M. hätten sie an jenem Abend ein „Klatschen gehört, wie Haut auf Haut. Es klang, als würde jemand wieder und wieder geschlagen“, erzählt eine 41-Jährige. Außerdem hätten sie Wortfetzen vernommen, die sie als Vorwürfe interpretiert hätten. So habe eine Frauenstimme in etwa geschimpft: „Du hast schon immer ….“ „Es hörte sich so an“, sagt die Zeugin, „als wenn irgendjemand an etwas schuld ist“. Der Prozess wird fortgesetzt.