Hamburg. „Nehmt den Druck heraus“, appellieren zwei Expertinnen an Eltern und Lehrer. Nachfrage an Mentaltrainings steigt in Hamburg stark an.

Weniger Freunde treffen, Schule nur mit Auflagen und zu Hause ist dicke Luft: Kinder und Jugendliche leiden besonders unter der Corona-Pandemie. Aber was können Eltern und Lehrer tun, um sie gerade jetzt zu stärken und zu unterstützen?

„Kinder macht vor allem stark, wenn sie wahre Aufmerksamkeit, Anerkennung und ganz viel Liebe bekommen. Das sind die elementaren Grundbausteine, die dafür sorgen, dass sie eine Widerstandsfähigkeit entwickeln können“, sagt Silvia Köpf. Sie ist Kinder- und Jugendcoach und zusammen mit Martina Lucks, Persönlichkeits- und Resilienztrainerin, bietet sie an Schulen in Hamburg und Schleswig-Holstein Trainingsprogramme an, um Kinder und Jugendliche mental zu stärken.

Corona Hamburg: So unterstützen Eltern und Lehrer Kinder in der Krise

Der wichtigste Ratschlag der beiden Hamburgerinnen jetzt in der Corona-Pandemie: Kindern und Jugendlichen nicht noch zusätzlichen Stress bereiten. „Eltern sollten den Druck im Hinblick auf die Schule herausnehmen“, sagt Martina Lucks, selbst Mutter von vier Kindern im Alter zwischen 13 und 18 Jahren, im Podcast „Morgens Zirkus, abends Theater“. Corona sei für Eltern eine große Herausforderung, aber für die Kinder noch viel mehr. „Wir sollten uns derzeit nicht darauf fokussieren, bei den Kindern Leistungen abzurufen, sondern mal Fünfe gerade sein lassen, ihre Gefühle wahrnehmen mit den Kindern im Gespräch bleiben. Das ist gerade jetzt wichtig.“ Die beiden Hamburgerinnen haben eine intensive und langjährige Ausbildung beim zertifizierten Bildungsinstitut „Stark-auch-ohne-Muckis“ aus Hamm absolviert.

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 Lucks arbeitet auch als Vertretungslehrerin an einer Schule und unterrichtet Fünft- und Sechstklässler. „Es gibt Kinder, die weinen im Klassenraum, weil sie mit dem Druck nicht klarkommen, orientierungslos sind und nicht genau wissen, was von ihnen erwartet wird“, hat sie beo­bachtet. „Diesen Druck müssen wir rausnehmen, wir wissen gar nicht, was wir den Kindern damit antun – wir haben so eine Zeit noch nie erlebt.“ Und: Wenn Kinder den ein oder anderen Lernstoff in Biologie oder Erdkunde verpassen – „das ist nicht so schlimm“, findet Lucks. Es gebe später immer noch Gelegenheiten, das bei Bedarf nachzuholen.

Wie kann man Kinder in der Corona-Pandemie stärken?

Oftmals komme hinzu, dass zu Hause der Haussegen schiefhänge. „Da ist vielleicht Mutter oder Vater vielleicht arbeitslos geworden, da hockte man lange Zeit eng aufeinander, da gehen Ehen auseinander, zerbrechen ganze Familien.“ Darüber werde öffentlich zu wenig geredet.

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Wie kann man seine Kinder noch stärken? „Wichtig ist es, im Dialog zu bleiben, und ein ehrliches Interesse an dem anderen zu zeigen“, sagt Silvia Köpf. Kommt ein Kind nach Hause, sollte man es nicht mit Fragen begrüßen wie: Warum kommst du erst jetzt? Wie siehst du wieder aus? Warum hast du deine Brotdose nicht leer gegessen? Sondern fragen: Wie geht es dir? Abwarten und zulassen, wenn Kinder sich erst mal kurz zurückziehen, und später kommunizieren möchten. „Wichtig ist, den Kindern und Jugendlichen mit offener und ehrlicher Aufmerksamkeit begegnen und gerade auf der Gefühlsebene beieinander zu sein, vielleicht sich neue Rituale auszudenken.“

Das kann ein gemeinsamer Spiele- oder Fernsehabend sein,  wobei man auf die Wünsche und Bedürfnisse eingehen sollte. „Das zeigt den Kindern und Jugendlichen: Ich bedeute etwas für diese Familie“, sagt Köpf. Umgekehrt sollte man auch Regeln gemeinsam aufstellen. „Das kann bedeuten, sich an einen Tisch zu setzen und zu überlegen, was im Alltag gut und was weniger gut funktioniert – und wie können wir das zusammen lösen?“

Kindern und Jugendlichen vermitteln, dass all ihre Gefühle richtig sind

 Kinder würden stark, wenn sie ihr Elternhaus als sicheren Hafen erlebten, sagt Köpf, ein Ort, an dem das Kind bedingungslos geliebt wird und sich auch mal fallen lassen kann. „Wenn die Bedürfnisse gesehen und respektiert werden, stärkt das das Selbstbewusstsein und damit auch die Resilienz. Es stärkt Kinder auch, wenn sie lernen, über sich und ihre eigenen Gefühle nachzudenken und mit ihnen umzugehen, sich selbst wahrzunehmen und bewusst zu werden. Deshalb ist es wichtig, dass wir Eltern zu Hause diesen sicheren Hafen schaffen und die Kinder auffangen, gerade in dieser Zeit – und eben nicht noch mehr Druck machen.

Nachdem die Nachfrage nach ihren Trainingskursen im vergangenen Jahr eingebrochen war, weil an den Schulen Unsicherheit herrschte, wird den beiden Frauen „jetzt die Bude eingerannt“, wie sie sagen. „Es gibt sehr viel Bedarf und es wird noch mehr kommen.“ Dabei ist es ihnen generell wichtig, Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass all ihre Gefühle richtig sind. „Da gibt es kein falsch. Sie dürfen jedes Gefühl fühlen, aber nicht alles machen. Wütend sein, sich ärgern, innerlich brausen, aber nicht mit Sachen herumwerfen, andere verprügeln“, sagt Lucks. Vor allem Jugendliche in der Pubertät seien für Erwachsene vor allem über Gefühle und weniger über das logische Denken erreichbar. Jugendliche hätten oftmals den Glaubenssatz „Ich bin nicht gut genug“, so Lucks. „Ein guter Glaubenssatz wäre: Ich bin gut, so wie ich bin.“

„Es braucht Lachen und Liebe, damit Kinder glücklich werden“

Um Jugendliche gerade in der Corona-Pandemie zu erreichen und ihnen Halt zu geben, sagen die beiden Trainerinnen, eignen sich die „Fünf Sprachen der Liebe für Teenager“. Diese Sprachen sind Anerkennung, Geschenke, Dienstleistung, Aufmerksamkeit und körperliche Nähe. „Geschenke der Liebe heißt nicht, ihnen ein Auto zu kaufen oder dergleichen, das kann ein Schokoriegel sein, die man ihnen hinlegt, wenn sie lange Hausaufgaben machen müssen oder ein Kakao kochen am Abend“, sagt Martina Lucks. Und als  Dienstleistung kann man die Jugendlichen mal zu ihren Freunden kutschieren – ein kleines Zeichen der Liebe. Die Fahrt bietet dann vielleicht Gelegenheit für ein Gespräch und wird so zur Qualitätszeit. Auch Heranwachsenden ein Stück Eigenverantwortlichkeit zu übertragen, beispielsweise bei ihren Schlafenszeiten, stärkt ihr Selbstbewusstsein, ergänzt Köpf.

Umgehen sollte man auch mit der Angst, die manche Kinder und Jugendlichen empfinden – vor einer eigenen Corona-Erkrankung, davor, dass sich ihre Eltern anstecken oder die Großeltern einen schweren Verlauf erleiden. „Man sollte das Kind ernst nehmen mit seiner Sorge und versuchen herauszufinden, was ihnen genau Angst macht“, sagt Silvia Köpf. Dann kann man sich auf die Suche nach Informationen begeben, beispielsweise über Infektionswege.

Martina Lucks hat auch Bücher geschrieben. In „Glücklich zu sein, ist deine Entscheidung“ geht es um Resilienz, also die seelische Widerstandsfähigkeit von Jugendlichen. Lucks appelliert an alle Lehrer und Eltern: „Gebt euren Kindern möglichst viele Glücksmomente, lasst sie viel lachen – Lachen und Liebe sind die beiden Ls, die es braucht, damit Kinder glücklich werden.“

 Weitere Informationen im Netz unter www.stark-im-jetzt.com und www.silvia-koepf.com