Hamburg. Scott Wempe ist seit Kurzem Mitgesellschafter des Uhren- und Schmuckimperiums. Nun will der 25-Jährige gegen Ungleichheit kämpfen.

Er war 13, als er entschied, dass es so nicht weitergehen kann. Die Schule, die Clubs, der vorgezeichnete Weg in die Firma – Scott Wempe, heute 25 Jahre alt, wollte ausbrechen. Raus aus Hamburg, raus aus der Familiendynastie, die wohlig sein kann, ihm aber irgendwie nicht reichte. Er ging nach England, entdeckte in seiner Klasse dort ebenfalls eine „Club-Mentalität“, in der die Herkunft vielleicht noch krasser durchschien als im vorgeblich so britischen Hamburg.

In der Schule und später an der Uni, wo er zunächst Business Administration und dann European Culture and Thought studierte, wurde er mit dem konfrontiert, was man im Internetzeitalter eine „Bubble“ nennt. Eine Blase, eine Hülle, die die Wohlhabenden umgibt und sie abschirmt von den Fährnissen des Lebens als Normalo. Scott Wempe geht noch weiter und spricht von „Echokammern elitären Denkens“. Nicht mit ihm!

Wempe: Scott Wempe und Schwester Chiara als Erben aufgerückt

Er ist mit seiner Schwester Chiara aufgerückt in die Spitze des hanseatischen Uhren- und Schmuck-Imperiums Wempe. Eine halbe Milliarde Euro Umsatz, 34 Filialen weltweit, handwerklich mit das Beste, was es gibt, ein Luxusladen, der bereits Geschichte geschrieben hat. Mit dem Filius als neuem Mitgesellschafter seit Anfang 2022 kann sich Unternehmerin Kim-Eva Wempe, seine Mutter, auf neue Zeiten einstellen.

"Wempe" ist ein Traditionsunternehmen in Familienhand. © imago images/Manfred Segerer | Unbekannt

Sie galt selbst als „eigenwillig“, als sie 2003 die Geschicke des Hauses von 1878 übernahm. Ihr Sohn Scott sagt: „Mir war bewusst, dass ich mit anderen Chancen aufgewachsen bin als andere.“ Er schaut optimistisch, aber auch kritisch auf das Familiäre seiner Heimatstadt: „Hamburg ist eine extrem wohlhabende Stadt. Politik und Gesellschaft haben es aber bislang verpasst, die soziale Diversität noch stärker in den Vordergrund zu stellen.“

Scott Wempe suchte zuvor bereits nach einem Ehrenamt

Noch bevor der Wempe-Erbe den Top-Job als Kommanditist im Familienunternehmen antrat, suchte er sich ein Ehrenamt, das zu seinen Vorstellungen passte. Fündig wurde er im Netzwerk Chancen, das Natalya Nepom­nyashcha gegründet hatte, eine Beraterin bei Ernst & Young.

Sie kommt aus einer Familie, die mit Sozialleistungen unterstützt wurde, in der die Eltern kein Deutsch sprachen. Ihren Weg zum Studium in England hat sie sich erkämpft und erjobbt. „Mein Traum war es, zu studieren. In Bayern ist die Empfehlung für die weiterführende Schule aber bindend, und meine war eine Realschulempfehlung. Generell zeigen Studien, dass Grundschulempfehlungen oft eher mit der sozialen Herkunft als mit Leistungen zusammenhängen.“

Wempe-Erbe setzt sich Agenda mit Netzwerk Chancen

Sie sieht in der Politik noch immer wenig Bewegung bei der Chancengleichheit. „Dabei hat Bildung eine sehr hohe Rendite. Das ist wissenschaftlich nachgewiesen.“ Scott Wempe hat in Großbritannien beobachtet, dass viele, die ihr Studium nicht selbst finanzieren müssen, „sich des Privilegs dahinter nicht so sehr bewusst sind“. Er selbst hat Kommilitonen, die finanzielle Verpflichtungen eingehen müssen, um überhaupt studieren zu können. Die geplagt sind von Ängsten.

„Wer aus einem finanzschwachen Haushalt kommt, wird vielleicht nicht so leicht Unternehmer, weil er ein sehr hohes Risiko eingehen muss. Ich komme aus einer Familie, in der man weicher fällt, wenn ein Projekt mal schiefgeht. Bei anderen ist möglicherweise die Existenz ruiniert.“ Scott Wempe hat sich deshalb mit dem Netzwerk Chancen eine klare Agenda gesetzt: gegen Ungleichheit vorgehen. „Für mich war zwar der Weg in die Firma vorgezeichnet, aber ich musste nicht. Als Unternehmer müssen wir viel offener darüber reden, dass im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz ein Passus verankert sein muss, der es verbietet, Menschen aufgrund ihrer sozialen Herkunft zu diskriminieren.“ Er sieht Inhaber in der Pflicht, hier mitzugehen.

Juwelier Wempe steht für Luxus

Natalya Nepomnyashcha konnte sich London als Studienort nicht leisten. Die Lebenshaltungskosten wären zu hoch gewesen. Auch in der englischen „Provinz“ hat sie die Erfahrung gemacht, dass man sich über Polo, Golf und Segeln unterhielt. „Das war nicht meine Welt. Aber ich musste mich anpassen.“ Abseits der akademischen Schickeria beklagt sie jedoch, dass auch bei einem Jurastudium in Deutschland allein durch die Repetitorien Kosten anfallen, die für Studenten mit geringen Finanzmitteln von Haus aus schwer zu stemmen sind.

In einem gänzlich anderen Umfeld agiert künftig Scott Wempe. Die Firma, die der Uhrmacher Gerhard Dietrich Wempe gründete, gelangte zu branchengerecht glitzerndem, wenn auch kantigem Ruhm. Gründer-Sohn Herbert Wempe annoncierte nach einem Einbruch in den Alsterarkaden im Jahr 1929, er wolle den „Herren Einbrechern“ den erbeuteten Schmuck abkaufen. Das Manöver mit den Zeitungsanzeigen glückte offenbar und inspirierte den Schriftsteller Hans Fallada für seinen Roman „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“.

Wempe: Nach Einbruch machte Juwelier Dieben ein Angebot

Dasselbe Angebot machte Wempe Einbrechern, die im Jahr 1963 Uhren und Juwelen im Wert von geschätzt 500.000 bis 700.000 Mark stahlen. Schon 1955 hatte der französische Film „Rififi“ einen Einbruch bei einem Juwelier durch die Decke zum Klassiker des Gangster-Genres gemacht – und den Filmtitel zu einem geflügelten Wort. Wempe war danach von weiteren kriminellen Attacken betroffen, zuletzt von einem Cyber-Angriff, bei dem die Computersysteme blockiert und erst gegen ein Lösegeld wieder freigeschaltet wurden.

Das neue Tätigkeitsfeld von Scott Wempe könnte aufregender kaum sein. Er jedoch scheint stoisch an seinen Ideen festzuhalten. Die Potenziale von Menschen unterschiedlicher Herkunft zu nutzen, auf Ausbildung im Unternehmen setzen, darum will er sich eng kümmern. „Da geht noch mehr.“ Und er sieht Wempe als eine Firma, die nicht nur verkaufen könne, sondern auch „inspirieren“.

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Ohne dass er darauf zu sprechen kommt, schwingt da der Elan seines Großvaters mit, der mit 13 nicht nach England gehen konnte, sondern im väterlichen Betrieb mitarbeitete. Der Umbruch im Unternehmen wird kein leichter, das ist Scott Wempe bewusst. „Für mich ist es schon ein kleiner Konflikt und eine Herausforderung, meine Ideen in meiner Branche umzusetzen. Aber ein Bewusstsein für die Unterschiede in der sozialen Herkunft zu schaffen, das geht auch im Luxus-Segment.“