Kein Eis, kein Frost, kein Schnee – dieser Winter in Hamburg könnte ein Vorgeschmack auf die Zukunft sein. Was Experten erwarten.
- Immer weniger Wintertage mit Schnee in Hamburg
- Mathematisch nur noch alle 40 Jahre Alstereisvergnügen
- Wetter-Modelle sehen Hamburger Temperaturen künftig wie in Pamplona oder San Marino
Früher war nicht alles besser – die Winter aber schon. Vor einem halben Jahrhundert zögerten viele Kinder nicht, den Winter als ihre Lieblingsjahreszeit zu bezeichnen. Auf diese Idee würde heute kaum noch ein Dreikäsehoch kommen. Weder ist in der Hansestadt in diesen „Winter“-Tagen ans Rodeln zu denken noch ans Schlittschuhlaufen auf zugefrorenen Weihern, Wiesen – oder gar der Alster. Und das ist eindeutig anders als früher.
Die Erinnerungen der Älteren, wenn sie von früheren Wintern schwärmen, sind nicht in Pastelltönen verklärt, sondern in Klimastatistiken schwarz auf weiß nachzulesen. „Der Vergleich der Zeiträume von 1961 bis 1990 und 1992 bis 2021 zeigt teilweise Verblüffendes“, sagt der Wetter- und Klimaexperte und Sachbuchautor Frank Böttcher („Klimafakten“).
Winter wird in Hamburg immer wärmer
So ist der klassische Dauerfrost, die Voraussetzung für jede Eislaufparty, inzwischen ein seltener Gast in der Hansestadt: „An der Entwicklung der Eistage sieht man, wie der Winter in Hamburg dahinschmilzt. Gab es vor 30 Jahren noch 8,3 solcher Tage im Januar, waren es in den letzten 30 Jahren nur noch 5,8 Tage“, sagt Böttcher.
In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Entwicklung noch einmal beschleunigt – zuletzt kam es im Mittel lediglich an 0,8 Tagen zu Dauerfrost. Im Winter 2019/2020 verzeichnete Hamburg erstmals seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor über 100 Jahren sogar keinen einzigen Dauerfrosttag mehr. Insgesamt mussten wir 731 Tage bis zum 25. Januar 2021 warten, bis das Quecksilber wieder unter die magische Marke fiel – ein einsamer Rekord seit Beginn der Aufzeichnungen: In der zuvor längsten Warmphase kehrte die Kälte nach 421 Tagen zurück.
Weniger Wintertage mit Schnee in Hamburg
Vor einem Jahr meldete sich daraufhin der grüne Umweltsenator mit einem Wetterbericht zu Wort: „Wieder ein Wetterrekord, zwei Jahre ist Hamburg jetzt ohne Dauerfrost“, sagte Jens Kerstan. „Die Statistik der Eistage bestätigt deutlich, dass es immer wärmer wird. Das zeigt, dass der Klimawandel in Hamburg im Alltag spürbar ist.“
Der Winter 2021/2022 hatte immerhin durch die kalten Weihnachtstage bislang einen Ausreißer im negativen Bereich. Aber ein Eistag macht noch keinen Winter: Betrachtet man den gesamten Verlauf der vergangenen Jahrzehnte, ist die Zahl der Tage mit Frost um rund 13 Tage auf 40,6 Tage zurückgegangen. Noch auffälliger ist der Rückgang beim Schnee: Die Zahl der Tage in Weiß hat sich fast halbiert.
Auch die Schneehöhe hat sich im Winter verändert
„Lag vor 30 Jahren im Mittel noch an 27,6 Tagen in Hamburg eine winterliche Schneedecke, so geschah dieses in den letzten 30 Jahren nur noch an 14,4 Tagen“, sagt Böttcher. „Und bei der durchschnittlichen Schneehöhe ist der Unterschied noch größer: Die mittlere tägliche Schneehöhe ist von 2,4 Zentimeter auf 0,8 Zentimeter gesunken – viel zu wenig, um Schlitten zu fahren.“
Der Blick in die Statistik zeigt das große Schmelzen: Im Rekordjahr 2010 – dem berüchtigten Eiswinter, in dem der schwarz-grüne Senat am einfachen Räumen der Wege gescheitert war und 2011 abgewählt wurde – lag an 96 Tagen mindestens ein Zentimeter Schnee, sogar mehr als im „Katastrophenwinter“ 1978/79, der auf 72 Tage kommt. Die absoluten Schneehöhen waren vor 43 Jahren aber deutlich höher und betrugen kumuliert 18,4 Meter.
Früher fror die Hamburger Alster im Winter noch zu
Zum Vergleich: Der Durchschnittswinter des vergangenen Jahres kam auf 19 Tage und eine addierte Schneehöhe von 73 Zentimetern, im Jahr zuvor weist die Statistik nur zwei Schneetage und zwei Zentimeter aus. Der aktuelle Winter steht zur Hälfte sogar bei eine doppelten eins – am Morgen des 5. Dezembers lag eine dünne Schneedecke von einem Zentimeter, der die Winterbilanz weiß schminkt.
Das Gedächtnis älterer Bürger trügt nicht, wenn sie von früheren Schlittenpartien und dem Alstereisvergnügen erzählen. Auch das Volksfest auf dem Eis ist im 21. Jahrhundert ein Auslaufmodell: Zum letzten Mal durften die Hamburger 2012 auf die zugefrorene Alster – bis zu eine Million Besucher nutzen damals das Hochgefühl, über das Wasser zu gleiten oder zu gehen.
Alstereisvergnügen: Glühweinstände auf der Alster
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fror die Alster noch regelmäßig zu: Im Jahrhundertwinter 1978/1979 begann die Tradition, Glühweinstände auf das Eis zu stellen – in diesen sibirischen Nächten ließ sich Michy Reincke zu seinem späteren Hit „Nächte übers Eis“ inspirieren. 1985 und 1986 folgten zwei harte Winter direkt aufeinander. Damals bauten die Hamburger bis zu 300 Stände auf der Alster auf, der NDR lud zum Club-Wunschkonzert aufs Eis, ein Feuerwerk krönte das Wintermärchen.
1986 feierten die Hamburger drei Wochenenden in Folge bis in den März hinein. 1987 war ein kurzes Alstereisvergnügen im Januar möglich wie auch 1991; 1996 gefror das Alsterwasser gleich zweimal: Anfang Januar und noch einmal im Februar. Und Anfang Januar 1997 stürmte eine Million Menschen die Winterparty. Danach dauerte es bis zum Jahr 2012, bis das Betreten des Eises offiziell wieder erlaubt wurde – auch weil die behördlichen Bedingungen verschärft und nun 20 Zentimeter blasenfreies Eis verlangt wurden. Wegen dieser Bestimmung mussten die Hamburger 2010 auf ihre Alstereisvergnügen verzichten.
Nur noch alle drei Jahre eine zugefrorene Alster
Berücksichtigt man die kalten 90er-Jahre, wird noch deutlicher, um wie viel es im 21. Jahrhundert wärmer geworden ist. „Die Wiederkehrrate von 20 cm Eisdicke auf der Alster als Voraussetzung für ein Alstereisvergnügen ist auf mehr als 40 Jahre gesunken“, sagt Böttcher. Er hat die Wahrscheinlichkeit eines Eiswinters errechnet: Nach der Klimaentwicklung durfte Hamburg noch um 1940 alle drei Jahre mit einer zugefrorenen Alster rechnen.
Um 1970 sank die Wahrscheinlichkeit dafür auf den Abstand von fünf, um 1994 sogar auf zehn Jahre. 2012 wiederum durfte man nach der Mathematik nur noch alle 40 Jahre mit einem Alstereisvergnügen rechnen. „Eine 20 Zentimeter dicke Eisdecke auf der Alster bleibt in Zukunft zwar möglich, wird aber extrem unwahrscheinlich und wäre bei ihrem Eintreten eine meteorologische Sensation“, so Böttcher.
Winter in Hamburg: Anzahl der Eistage sinkt
Der Hintergrund: Bezogen auf den gesamten Winter sinkt die Anzahl der Eistage deutlich. Zwischen 1961 und 1990 zählten die Meteorologen in Hamburg 20,6 Eistage im Winter, drei Jahrzehnte später nur noch 13,3 Eistage. Zudem steigt die Durchschnittstemperatur an diesen Eistagen – von minus 5,2 Grad zwischen 1961 und 1990 auf minus 4,4 Grad zwischen 1991 und 2020. „Hamburg wandert nach und nach in eine südlichere Klimazone“, sagt Böttcher.
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Tatsächlich haben Forscher ermittelt, dass die Stadt bald ein Klima haben könnte, wie es früher in Norditalien oder Nordspanien herrschte. Nach einer Modellierung der ETH Zürich müsste die Hansestadt 2050 mit einem Wetter leben, das man aus Pamplona oder San Marino kennt – mit einem durchschnittlichen Plus von 1,3 Grad im Jahresmittel, im Januar sogar mit einer Erwärmung um bis zu 2,3 Grad Celsius.
Hamburger Winter war auch früher grau und trüb
Nur eine Sache hat sich nicht verändert: Grau und trübe waren die Winter früher auch schon – und werden es wohl auch künftig bleiben: „Die Sonnenscheindauer hat im Januar im Mittel von 42,2 auf 43,4 Stunden zugelegt“, sagt Böttcher. Im Wintermittel von Dezember bis Februar scheint die Sonne jetzt sogar zwei Stunden länger als früher – nämlich 146,3 Stunden, „immerhin ein kleiner Lichtblick“, sagt Böttcher.
Allein wegen der Astronomie aber sind an Elbe und Alster auch 2050 keine italienischen oder spanischen Verhältnisse möglich.