Hamburg. Die Oldesloerin soll ihren Jungen für die Terrormiliz Islamischer Staat geopfert haben. Ihr Verteidiger bestreitet das beim Prozessauftakt.

Als ihr 15 Jahre alter Sohn im IS-Gebiet nach einem Bombenangriff ums Leben kam, sah Stefanie A. darin auch etwas Gutes. Sie forderte dessen älteren Bruder auf, „sich über den Märtyrertod zu freuen“. Weil dieser etwas Ehrenhaftes ist? Etwas, worauf eine Mutter und ein Bruder stolz sein sollten?

Eine solche Einstellung der Mutter legt zumindest die Anklage im Prozess vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht nahe, in dem sich die 44-Jährige seit Donnerstag verantworten muss. Die Bundesanwaltschaft wirft der gebürtigen Oldesloerin unter anderem Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in mehreren Fällen sowie Kriegsverbrechen vor.

Stefanie A. schloss sich mit Sohn dem IS an

Als Stefanie A. den Verhandlungssaal betritt, scheint ihr Blick irgendwo in die Ferne gerichtet. Seit knapp zehn Monaten ist die mutmaßliche IS-Rückkehrerin in Untersuchungshaft. Vor den Kameras, die sie vor Prozessbeginn ablichten wollen, hält die eher stämmige blonde Frau ihr Gesicht hinter einem Aktenordner verborgen. Fragen nach ihren Personalien beantwortet sie mit klarer Stimme. Name, Alter, Geburtsort. Sie sei verheiratet und „ohne Beruf“, gibt sie an.

Laut Anklage ging der Ehemann von Stefanie A. und Vater ihres Sohnes bereits 2015 als Kämpfer zum sogenannten Islamischen Staat (IS) nach Syrien. Im August 2016 sei die Frau mit ihrem damals noch 13 Jahre alten Sohn ihrem Mann nach Syrien gefolgt, um dort als Familie nach den Regeln des IS zusammenzuleben. Gemeinsam mit ihrem Ehemann soll die Angeklagte von Februar 2017 bis Anfang 2018 in die Strukturen des IS eingegliedert gewesen sein. Ihren Sohn habe sie während dieser Zeit in einem Kriegsgebiet den dortigen Gefahren ausgesetzt, heißt es weiter.

Sohn soll zum IS-Kämpfer geformt worden sein

Der Sohn habe zunächst in einer IS-nahen Dschihadisten-Miliz als Rekrut dienen sollen. Dabei sei ihr bewusst gewesen, dass der nunmehr 14-Jährige in Kampfhandlungen eingebunden werde. Den Ermittlungen zufolge sollte der Sohn von Stefanie A. in der Miliz und später dann direkt beim IS „zu einem Kämpfer geformt“ werden, erhielt ein Kampftraining, wurde unter anderem an Waffen ausgebildet und war Gefahren wie Luftangegriffen ausgesetzt. Schließlich sei der Jugendliche im syrischen Bürgerkrieg an der Front eingesetzt worden, habe den Wachdienst versehen und sei mindestens einmal durch Beschuss in Lebensgefahr geraten.

Im Zuge eines Bombenangriffs am 23. Februar 2018 wurde Stefanie A.s Sohn demnach getötet. Aus Chat-Nachrichten mit ihrem älteren, noch in Deutschland lebenden Kind gehe hervor, so die Anklage weiter, dass die 44-Jährige in diesem Zusammenhang von einem „Märtyrertod“ sprach. Und darüber sollten sie sich freuen.

Stefanie A. soll Waffen getragen haben

Wegen ihres Verhaltens gegenüber ihrem Sohn sowie wegen seines Todes ist Stefanie A. zudem unter anderem der fahrlässigen Tötung angeklagt. Sie selbst habe in dem Herrschaftsgebiet des IS unter anderem die Haushaltsführung übernommen, um ihren Mann zu unterstützen. Während dieser Zeit sei Stefanie A. mit einem Sprengstoffgürtel ausgerüstet gewesen und habe zeitweise ein Gewehr getragen.

Sie selbst habe dem IS bis zu dessen militärischer Niederlage die Treue gehalten. Schließlich habe sie sich im Februar 2019 kurdischen Kräften ergeben, sei dann in die Türkei gekommen. Am 24. März 2021 wurde die Angeklagte nach Deutschland überstellt, wo sie bei ihrer Ankunft festgenommen wurde und seitdem in Untersuchungshaft sitzt.

Verteidiger: Stefanie A. opferte Sohn nicht

Der Verlesung der Anklage folgt Stefanie A., eine blonde Frau mit locker hochgestecktem Haar, ohne sichtbare Regung. Sie selbst nimmt zu den Vorwürfen keine Stellung. Doch ihr Verteidiger Martin Heising möchte das Verhalten seiner Mandantin, so wie es die Anklage darstellt, in ein anderes Licht rücken.

Dabei geht es dem Anwalt vor allem um die Vorwürfe, Stefanie A. habe sich dem IS anschließen und ihren Sohn dort eingliedern wollen. Und er will den Eindruck abwehren, die 44-Jährige habe den Tod ihres Sohn als „Ereignis betrachtet, dass nicht Trauer auslöste, sondern einen gewissen Stolz“. Stefanie A. sei „keine radikale Terroristin, die ihren Sohn leichtfertig den Interessen des IS geopfert hat“, betont der Verteidiger.

Die Angeklagte habe ihren Mann schon als Jugendliche kennengelernt und sei mit ihm seit knapp dreißig Jahren verbunden, sagt der Anwalt. Als der Ehemann Richtung Syrien auswanderte, sei sie ihm nachgereist. Sie habe nicht angenommen, dass es dort gefährlich werden könne. Das sei vielleicht „etwas naiv“ gewesen. Auch dass ihr Sohn dort in Kampfhandlungen eingebunden werde, habe Stefanie A. wohl nicht gewusst.

Viel wahrscheinlicher sei, dass er dort von ihr getrennt wurde. Sie habe keine Möglichkeit gehabt, das zu verhindern. Ihr Sohn sei nicht von ihr gedrängt worden, eine Ausbildung der Terrororganisation zu durchlaufen, sondern habe sich dort freiwillig hinbegeben und sogar „Enthusiasmus geäußert“. Der 14-Jährige habe sein Kampftraining offensichtlich „als Abenteuer“ gesehen.

Auch von Stolz der Angeklagten über einen „Märtyrertod“ ihres Sohnes könne keine Rede, meint der Verteidiger. Sie habe ihr Kind verloren und schlicht versucht, das „irgendwie zu verarbeiten“. Deshalb habe sie sich mit dem Gedanken zu trösten versucht, er sei „an einem besseren Ort“. Der Prozess wird fortgesetzt.