Hamburg. Peter Tschentscher appelliert an die Hamburger, auf Bus, Bahn und Fahrrad umzusteigen – im ÖPNV wolle man nun “dicke Bretter bohren“.

Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat eindringlich an die Hamburgerinnen und Hamburger appelliert, im Sinne des Klimaschutzes und der Mobilitätswende auf öffentliche Verkehrsmittel und Fahrräder umzusteigen. „Jeder, der Busse und Bahnen nutzt, macht Verkehrsraum frei. Jeder, der aufs Rad steigt, macht Straßenraum frei – das ist gesund und klimafreundlich“, sagte Tschentscher bei einem Ausblick auf 2022 im Rahmen der Landespressekonferenz.

Die Stadt sei beim Klimaschutz zwar schon vorangekommen. So sei 2019 – das letzte Jahr vor der Corona-Krise, das mit dem Vorjahr vergleichbar war – rund eine Million Tonnen CO2 eingespart worden, so der Bürgermeister. „Aber es gibt einen Bereich, in dem immer noch viel, viel CO2 emittiert wird, da gibt es nicht diesen Erfolg – und das ist die Mobilität.“ Hamburg sei eine mobile Stadt, so Tschentscher. „Die Menschen sitzen nicht zu Hause auf dem Sofa, sondern sie wollen mobil sein. Deswegen müssen wir unsere Mobilitätswende voranbringen.“

Verkehr in Hamburg: Viele Ziele bei der Mobilitätswende

Für 2022 habe sich der Senat einiges vorgenommen: Ganz vorne stehe der Baubeginn für den ersten Abschnitt der U 5, auf die die Menschen im Nordosten der Stadt Jahrzehnte gewartet hätten: „Jetzt wird das Versprechen eingelöst“, so Tschentscher. „Das ist ein ganz wichtiges Mobilitätswendeprojekt, da die Schnellbahnen das leistungsfähigste Verkehrssystem einer modernen Metropole sind und schon heute mit grünem Strom fahren.“

Er verteidigte das Milliardenprojekt auch gegen Kritik, etwa, dass es Jahrzehnte dauern werde, bis die beim Bau erzeugten Emissionen eingespart seien. Man stelle sich vor, frühere Senate hätten die bisherigen U- und S-Bahnen nicht gebaut, sagte Tschentscher. „Dann wären wir jetzt schon am Ende. Stellen Sie sich mal einen Tag vor, wo U- und S-Bahnen morgens nicht fahren – es wäre unmöglich, zur Arbeit zu kommen.“

„Wir müssen den Radverkehr voranbringen"

Der schienengebundene ÖPNV nehme „eine unglaubliche Last“ der Mobilität auf und sei ein „Erfolgskonzept“, das der Senat fortsetze: „Deswegen gehen wir auch an die dicken Bretter und bauen eine komplett neue U 5, verlängern bestehende Linien, verlängern und bauen neue S-Bahnen.“

Auch der Ausbau der Infrastruktur für E-Autos und für Radfahrer habe weiter Priorität, so Tschentscher: „Wir müssen den Radverkehr voranbringen – im Interesse einer lebenswerten Stadt, einer gesunden und klimafreundlichen Stadt, aber auch im Interesse der anderen Verkehrsarten“, sagte der Bürgermeister und betonte erneut: „Jeder, der umsteigt, macht Straßenraum frei.“ Tschentscher erinnerte daran, dass die ersten Fahrradstraßen vor einigen Jahren noch auf Bedenken gestoßen seien. Diese würden aber funktionieren, und heute gäbe es vermutlich Proteste, wenn eine Fahrradstraße wegfallen sollte.

Hamburger Senat will Klimaziele erhöhen

Forderungen nach „flächendeckend Tempo 30“ bezeichnete er hingegen als „Scheinlösung“. Wenn zu viele Tempo-30-Zonen ausgewiesen würden, falle die lenkende Wirkung weg, dann gelinge es nicht mehr, Verkehr zum Beispiel aus Wohnquartieren herauszuhalten. „Diese Effekte werden dann verschwinden“, sagte Tschentscher und betonte, er wolle „den Wirtschaftsverkehr, auch den Pkw-Verkehr, aufrechterhalten und sichern. Und das geht am besten, je mehr Leute umsteigen.“

Der Senat werde, wie angekündigt, seinen Klimaplan und das Klimaschutzgesetz in diesem Jahr fortschreiben, „und wir werden die Klimaziele erhöhen“, so Tschentscher – ohne das näher zu konkretisieren. Das sei nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in ganz Deutschland nötig. Große Hoffnung setze er unter anderem in den Plan, Fernwärme künftig nicht mehr in Kohlekraftwerken, sondern mithilfe indus­trieller Abwärme zu erzeugen.

Wohnungsbau soll weiter verfolgt werden

Der Bürgermeister untermauerte zudem das Ziel, auch künftig für den Bau von 10.000 Wohnungen im Jahr zu sorgen. Es gebe „eine unglaubliche Nachfrage nach Wohnraum in Hamburg“, so Tschentscher. Der Bau von 100.000 Wohnungen im vergangenen Jahrzehnt habe zwar geholfen, aber man strebe nun eine Lage an, in der es auch für Familien wieder leichter werde, eine Wohnung zu finden. Potenzial sehe er vor allem auf bereits versiegelten Flächen, etwa entlang der Magistralen.

Grundsätzlich solle die Struktur Hamburgs mit stark verdichteten Stadtteilen im Inneren und lockerer Bebauung an den Rändern beibehalten werden. „Wir können die Stadt verdichten und dennoch attraktiver machen“, sagte der Bürgermeister und nannte als positives Beispiel seine Heimat Barmbek. Dort seien etliche große Wohnungsbauvorhaben realisiert worden, darunter am Bahnhof Barmbek auch stattliche Hochbauten. Dennoch habe der Stadtteil darunter nicht gelitten, im Gegenteil. Für viele Bewohner sei der Weg zur Arbeit oder zu U- und S-Bahn kürzer geworden.

Viele Arbeitsplätze durch Kurzarbeit erhalten

Als große Herausforderung bezeichnete der Bürgermeister das Aufstellen des neuen Haushalts 2023/24. Die finanzielle Lage der Stadt sei geprägt von der Corona-Krise, die sich auch langfristig auf das mögliche Ausgabenniveau auswirke. Allerdings verwies er auch darauf, dass die Steuereinnahmen nicht so stark eingebrochen seien wie befürchtet und im Herbst 2021 schon wieder gestiegen seien.

Eine gute Nachricht sei, dass auch mittels Kurzarbeit viele Arbeitsplätze erhalten werden konnten und Hamburg schon wieder auf dem Rekordniveau von mehr als einer Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigter angekommen sei. Daher sei er zuversichtlich, dass die Wirtschaftskraft der Stadt nach der Krise wieder voll hergestellt werde.

Tschentscher von „Verdachtsberichterstattung“ verärgert

Emotional wurde Tschentscher beim Thema Cum Ex. Die seit nunmehr fast zwei Jahren fortdauernde „Verdachtsberichterstattung“ einiger Medien ärgere ihn, räumte der Bürgermeister ein. Alle Mitarbeiter, die in seiner Zeit als Finanzsenator 2016 an der Entscheidung beteiligt waren, rund 47 Millionen Euro an Steuern nicht von der Warburg-Bank zurückzufordern, hätten im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) der Bürgerschaft ausgesagt, dass sie frei von politischem Druck entschieden hätten.

Doch diese Aussagen würden oft in der Berichterstattung „ignoriert“, ebenso wie die Tatsache, dass Warburg mittlerweile alle Steuerbescheide bezahlt habe: „Das Geld ist in der Kasse“, so Tschentscher, der im Laufe des Jahres im PUA aussagen soll.

Cum-Ex: Tschentscher verteidigt Scholz

Er werde dort sagen, was er immer gesagt habe, so Tschentscher: „Finanzämter sind keine „Willkürentscheider“, sondern würden sich an Recht und Gesetz halten. Das sei auch im Fall Warburg der Fall gewesen: „Darauf habe ich, und nach meiner Kenntnis auch niemand anders, politisch Einfluss genommen.“ Ausdrücklich betonte der Bürgermeister, dass auch sein Vorgänger, der heutige Kanzler Olaf Scholz (SPD), sich nicht eingemischt habe: „Er hat keinen Einfluss genommen, er hat es nicht einmal versucht.“