Hamburg/Köln. In Köln wird ein Fall verhandelt, in dem unter anderem Stefan Heße als Zeuge geladen ist. Priester soll Nichten missbraucht haben.
Dass hochrangige katholische Geistliche als Zeugen vor einem Gericht vernommen werden, das nicht zur Kirche gehört, passiert nicht allzu häufig. Ihnen mag der Richterstuhl Christi eher vertraut sein als die 2. große Strafkammer des Landgerichts Köln. Nun aber muss sich der Hamburger Erzbischof Stefan Heße (55) vor genau dieser Kammer in den Zeugenstand begeben.
Es geht um einen Missbrauchsprozess, der breite öffentliche Aufmerksamkeit findet. Angeklagt ist der 70-jährige katholische Priester Hans U. aus Gummersbach. Ihm werden zahlreiche Fälle sexuellen Missbrauchs vorgeworfen. Die Hauptverhandlung, die im November begann, ist im Januar mit der Zeugenvernehmung prominenter Würdenträger weitergegangen. Bereits vergangene Woche musste der frühere Top-Jurist des Erzbistums Köln, Günter Assenmacher (69), sich einer Vernehmung stellen. Er leitete das Kölner Kirchengericht. Und für den 18. Januar ist der Aufritt des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße geplant. Die Verhandlungstage hat das Gericht vorsorglich von 20 auf 29 erhöht. Insgesamt sollen fast 40 Zeugen aus dem beruflichen und privaten Umfeld des Priesters geladen werden.
Stefan Heße: Kölner Vergangenheit lässt Hamburger Erzbischof nicht los
Die Kölner Vergangenheit lässt den aus dem Rheinland stammenden Hamburger Erzbischof nicht los. Der Theologe war von 2006 bis 2012 Hauptabteilungsleiter im Bereich Personal und Seelsorge und danach bis zu seiner Ernennung zum Erzbischof Generalvikar. In dieser Zeit war er auch mit dem Fall dieses Priesters befasst. Dabei hat er als Vorgesetzter offenbar Fehler gemacht.
Ein vom Kölner Erzbistum in Auftrag gegebenes und im März 2021 veröffentlichtes Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass Heße und andere führende Vertreter des Bistums bei der Aufarbeitung älterer Missbrauchsfälle Pflichten verletzt hätten. Das Gutachten wirft ihm insgesamt elf solcher Fehler vor. Dabei handelte es sich unter anderem um Verstöße gegen die Melde- und Aufklärungspflicht. Heße bot deshalb dem Papst seinen Rücktritt an. Doch Franziskus lehnte ab. Daraufhin nahm er im September 2021 seinen Dienst im Erzbistum wieder auf.
Im Fall des angeklagten Priesters wird sich der Erzbischof die Frage gefallen lassen müssen, warum er als Kölner Personalchef das Geständnis des Geistlichen gegenüber Bistumsverantwortlichen absichtlich nicht protokolliert habe. Heße selbst bestreite dies, schreibt die Katholische Nachrichtenagentur (KNA).
31 Fälle sexuellen Missbrauchs der Nichten des Priesters
Dem angeklagten Priester aus Gummersbach wird zur Last gelegt, von Sommer 1993 bis Ende 1999 in insgesamt 31 Fällen sexuelle Übergriffe seiner drei Nichten begangen zu haben, die damals zwischen sieben und 13 Jahre alt waren. Angeklagt sind 31 Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern, von denen drei Taten schwere Fälle sein sollen, weil es zum Beischlaf oder beischlafähnlichen Handlungen gekommen sein soll, heißt es beim Landgericht Köln. Am häufigsten stehen Berührungen und körperliche Manipulationen der Mädchen als Vorwürfe im Raum.
Erste Anschuldigungen gab es bereits vor elf Jahren, als eine der Nichten Anzeige erstattete. Daraufhin wurde der heute Angeklagte beurlaubt. Stefan Heße, damaliger Vorgesetzter von Hans U., bestellte den Priester zu einem Gespräch ein. Doch darüber existiert wohl kein Protokoll. Beim Prozess vor dem Kölner Landgericht treten die drei Nichten als Nebenklägerinnen auf, außerdem eine weitere mutmaßlich betroffene Frau. Sie gehört nicht zum Familienkreis und sagte, der Priester habe sich 2011 in Wuppertal zweimal an ihr vergangen. Wie es in Kirchenkreisen heißt, deuten die bisherigen Zeugenbefragungen vor Gericht darauf hin, dass es noch weitere Betroffene geben könne. Schwer belasten dürften den Angeklagten darüber hinaus auch die Aussagen seiner heute 55 Jahre alten Pflegetochter.
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Stefan Heße: Ansehen des Hamburger Erzbischofs beschädigt
Für den Kirchenrechtler Assenmacher hatte der Fall Hans U. bereits berufliche Konsequenzen. Die Gutachter warfen dem Juristen vor, eine unzutreffende Rechtsauskunft darüber gegeben zu haben, ob das Erzbistum den Fall nach Rom hätte melden müssen. Prompt entpflichtete der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki den langjährigen Offizial von seinen Ämtern.
Längst ist auch das Ansehen des Hamburger Erzbischofs beschädigt. Zwar sind viele Katholiken in Norddeutschland darüber erleichtert, dass er nach seiner persönlichen „Auszeit“ zurückgekehrt ist und die Reformen im Bistum vorantreibt. Am Heiligen Abend predigte er im Dom St. Marien und sagte: „Weihnachten heißt, zu hören auf das Weinen und Wimmern der ganz Kleinen, der Schwachen, der Jungen und Alten, derer, die von Missbrauch betroffen sind.“
Doch seine bischöfliches Wirken bleibt von einer gehörigen Portion Skepsis begleitet. Die katholische Bewegung „Wir sind Kirche“ kritisierte die Ablehnung des Rücktrittsgesuchs von Heße als „faktische Amnestie“. Und die Hamburger Gruppe der Bewegung Maria 2.0 befürchtet, dass eine innerkirchliche Aufklärung von Rom aus gar nicht gewollt sei. Dazu könnte nun aber das Landgericht Köln beitragen.