Andreas Kleinau wird den Stadtteil zu Ende bauen – auf dem Grasbrook und am Billebogen warten schon die nächsten Aufgaben.

Übertrieben ist es nicht, ihn den Verwalter eines Großgrundbesitzes zu nennen. Der 55-jährige Andreas Kleinau ist seit Kurzem Vorsitzender der Geschäftsführung der HafenCity GmbH. Diese Gesellschaft wurde einst gegründet, um den Stadtteil mit seinen 157 Hektar auf den Weg zu bringen. Zwar geht die HafenCity nun auf die Zielgerade, doch inzwischen hat die Politik dem Team gleich drei weitere Großbaustellen überantwortet: Mit dem Sprung über die Elbe kommen 68 Hektar auf dem Grasbrook hinzu – und östlich davon am Billebogen weitere 79 Hektar. Auch die ­Science City, die mit ihren 125 Hektar in Bahrenfeld ein neues „Oxford“ für Hamburg werden soll, fällt in Kleinaus Verantwortungsbereich. Im November hat er die Vorstandsgeschäfte von Jürgen Bruns-Berentelg übernommen.

Für seinen Vorgänger hat er viel Lob übrig: „Ich glaube, es sind viele Dinge extrem richtig gemacht worden“, sagt Kleinau, der bis zu seinem Wechsel als Berater der Immobilienszene tätig war. „Man hat sehr früh darüber nachgedacht, was eine attraktive Stadt ausmacht.“ Kleinau lobt die Nutzungsmischung und die Gestaltungsrichtlinien, die Erdgeschosse fürs Publikum geöffnet haben. „Richtig war auch die Entscheidung, den Hochwasserschutz über Warften zu organisieren, damit das Wasser nicht über Deiche abgeschottet wird, sondern erreichbar bleibt. Ganz viele Dinge sind sehr gut gelaufen.“

Stadtentwicklung: Auch in Sachen Nachhaltigkeit hat die HafenCity gelernt

Kritisch hingegen sieht er die Entscheidungen, die ihrer Zeit geschuldet waren: „Beim Wohnen hätten wir früher auf soziale Gerechtigkeit und Mischung schauen müssen: Und wir hätten intensiver nachdenken müssen, was passiert, wenn Kinder in den Stadtteil ziehen. Die Schule kam etwas spät. Auch das Thema Verkehr würde ich hinterfragen.“ Aber hinterher sei man immer schlauer: „Vor 20 Jahren waren die Verkehrsprognosen anders.“ So findet man in der HafenCity neu angelegte, vierspurige Straßen, die nun zurückgebaut werden und Fahrradstreifen bekommen. „Das scheinen absurde Geschichten zu sein“, gesteht Kleinau ein. „Aber wenn man fair ist, muss man sich in die Zeit zurückversetzen: Damals hatte man andere Visionen von Stadt. Wenn wir heute die HafenCity neu planen würden, würden wir das anders machen.“

Wie baut man einen neuen Stadtteil?

Auch in Sachen Nachhaltigkeit hat die HafenCity gelernt: Das eigene Bürogebäude wird ein sogenanntes Nullemissionshaus – die Klimabilanz betrachtet nicht allein den Betrieb, sondern den gesamten Lebenszyklus vom Bau bis zu Rückbau und Entsorgung. Das ambitionierte Nachhaltigkeitskonzept macht das Haus zu einem Modell in Europa und zum Maßstab für künftige Entwicklungen in der HafenCity, am Grasbrook, Billebogen oder der Science City. „Die zen­trale Fragen lauten, welche Materialien wir verwenden, woher die Energie kommt. Jedes Gebäude schleppt durch seinen Bau einen CO2-Rucksack mit sich herum – diesen Rucksack müssen wir möglichst leicht machen.“

Durch das Verwenden nachwachsender Rohstoffe und erneuerbarer Energien sollen im Betrieb CO2-Gutschriften erreicht werden, die auch den späteren Rückbau kompensieren. „Erst wenn dort eine Null unter dieser Bilanz steht, sprechen wir von Nullemission.“ Das Gebäude am Sandtorpark wird nur Ökostrom einsetzen und Energie mittels Geothermie oder auf dem Dach durch Solarzellen selbst erzeugen. Das ambitionierte Ziel hat seinen Preis: „Am Ende dürften wir etwa zehn bis 15 Prozent über den typischen Errichtungskosten liegen“, schätzt Kleinau.

Der Elbtower soll 2025 oder 2026 fertiggestellt werden

„Wir wollen zeigen, dass man solche Gebäude wirtschaftlich bauen und betreiben kann, dass sie ästhetisch sind und funktionieren. Wir wollen Bauherren Mut machen. Der Bau ist Teil eines Realversuchs.“ In den Visualisierungen sieht man die Konstruktion eines modularen Holzgebäudes mit üppiger Fassadenbegrünung.

Die HafenCity ist bald fertig. Der Elbtower soll 2025 oder 2026 fertiggestellt werden, schon in zwei Jahren wird das südliche Überseequartier eröffnet. Den Lückenschluss sieht der 55-Jährige mit Vorfreude: „Das Überseequartier zeigt, wie Einkaufen vor dem Hintergrund wachsenden Onlinehandels in Zukunft aussehen kann. Es bietet unterschiedliche Angebote zum Verweilen, zum Erleben, zum Shoppen.“ Kleinau kennt die Sorgen der Innenstadt, sagt aber auch: „Es ist nicht nur ein Einkaufszentrum, wie es manchmal sehr verkürzt dargestellt wird, es entstehen dort auch viele Wohnungen, ein Hotel und das neue Kreuzfahrtterminal.“ Den Elbtower nennt Kleinau ein „Ausrufezeichen, allein schon der Höhe wegen“.

Den Amerigo-Vespucci-Platz hat der Bürgermeister im Sommer eingeweiht. „Das dort entstehende Digital Art Museum wird sicherlich Menschen in die östliche HafenCity locken“, sagt Kleinau. „Die Initiatoren streben eine sehr schnelle Eröffnung an, weil der Ticketvorverkauf so gut läuft.“

Für Kleinau macht die Mischung die HafenCity aus

Für Kleinau macht die Mischung die HafenCity aus. „Sie setzt nicht auf Champions, sondern einen Vielklang aus wundervollen Projekten.“ Er lobt die Baugemeinschaften, die soziale Vielfalt schaffen, ambitionierte Nachhaltigkeitsprojekte, aber auch die Firmen, die mit neuem Geist in die HafenCity ziehen. „Das sind für mich alles Highlights.“

Hat der neue HafenCity-Chef keine schlaflosen Nächte angesichts der Milliardeninvestments? Der Elbtower oder das Überseequartier müssen noch beweisen, dass sie funktionieren. Kritiker warnen, dass Hamburg hier Investitionsruinen auf den Weg bringt. Kleinau vertraut auf die Bauherren. „Das sind keine Werke Einzelner, dahinter stehen große Organisationen, die engagiert ihre Ziele vorantreiben und sicherstellen, dass ihre Projekte ein Erfolg werden.“ Er zweifele nicht, dass der Elbtower gebaut wird. „Wir haben als Stadt sichergestellt, dass diverse Sicherungsmechanismen greifen und das Gebäude, wenn es begonnen wird, auch fertiggestellt wird.“ So müssten 30 Prozent der Flächen vorvermietet sein. „Wir hören vom Investor Signa, dass es eine sehr rege Nachfrage gibt. Und das sind nicht nur Nutzer, die jetzt schon bekannt sind.“

Kleinau erwartet, dass sich mit der Fertigstellung des Elbtowers und mit dem Sprung über die Elbe der Blick der Hamburger auf die Stadt grundlegend verändern wird: „Viele meinen, dass die Innenstadt mit dem Elbtower ihren östlichen Abschluss gefunden hat. Aber in Wahrheit steht er in einem neuen Zentrum.“

Entwicklung des neuen Stadtteils Grasbrook und der Veddel­ wird zum Sprung über die Elbe

Die Entwicklung des neuen Stadtteils Grasbrook und der Veddel­ wird zum Sprung über die Elbe. „Wenn Sie heute über die Elbbrücken fahren, sehen Sie einen relativ un­wirtlichen Raum, der ein bisschen unsortiert ist. Wir werden die Veddel, Rothenburgs­ort, den Billebogen in den kommenden Jahren mit Bewohnern und Besitzern entwickeln – für Wohnen, aber auch für die moderne Produktion und neue Formen des Arbeitens.“

Kleinau gerät fast ins Schwärmen: „Wenn man sich in Rothenburgsort bewegt, benötigt man nicht viel Fantasie, um zu erkennen, was für ein Entwicklungspotenzial hier im Zentrum der Stadt schlummert. Da haben wir das für Hamburg typische wundervolle Spiel zwischen Land, Wasser, kleinen Inseln – und teilweise sehr untergenutzten Flächen. Aber wir passen auf, dass wir das heterogen entwickeln. Da ist nicht immer das Modell HafenCity das angemessene Modell.“

Christian Butzke ist der Betreiber der Veddeler Fischgaststätte, die längst Kultcharakter hat.
Christian Butzke ist der Betreiber der Veddeler Fischgaststätte, die längst Kultcharakter hat. © Christian Butzke | Christian Butzke

In den Entwicklungsregionen wachsen die Sorgen, dass das Bestehende in Gefahr gerät. Kürzlich schreckte viele die Meldung auf, wonach der Veddeler Fischgaststätte, einer Hamburgensie, das Aus droht. „Ich war selbst neulich zu Besuch in diesem wundervollen Familienunternehmen“, sagt Kleinau. „Das ist eine Hamburger Ikone. Wir sind uns alle einig, dass dieser Raum nicht ohne diese Fischgaststätte gedacht werden darf.“

Kleinau versteht sich als Manager, als Moderator

Grasbrook, Billebogen, Bahrenfeld: Die Weite des Raums zeigt die Größe der Aufgaben, die die HafenCity Hamburg GmbH meistern muss – sind sie am Ende zu groß? „Ich bin nicht Mister HafenCity, sondern hinter dieser Gesellschaft stehen viele hochtalentierte, engagierte Menschen, die die Aufgabe der Stadtentwicklung wahrnehmen“, sagt Kleinau. Eines seiner ersten Themen als Geschäftsführer: sicherstellen, dass die Organisation die Komplexität beherrscht.

Denn die Aufgaben könnten unterschiedlicher kaum sein, mit eigenen Herausforderungen, Historien und Handelnden: Die HafenCity und der Grasbrook ähneln sich, weil eine leer stehende Fläche umgenutzt wird. „In der ­Science City sind wir hingegen eher koordinierend tätig. Da sind ganz viele Akteure schon auf dem Platz.“ Kleinau versteht sich als Manager, als Moderator.

Fünf Fragen

  • Meine Lieblingsstadt ist Hamburg. Hier bin ich geboren, hier lebe ich, meine Kinder sind hier zur Welt gekommen – ich bin emotional einfach mit Hamburg verknüpft. Ich kenne viele tolle Städte. Aber für mich sind Ihre fünf Fragen nur vier Fragen.
  • Mein Lieblingsstadtteil ist aktuell Hoheluft-Ost. Er ist urban, zentral, da gibt es tolle Nachbarschaften – all das kommt meinem Lebensstil entgegen. Aber natürlich liebe ich auch die HafenCity.
  • Mein Lieblingsort ist persönlich das Cockpit in meinem Boot – und das liegt selten in Hamburg. Mein Lieblingsplatz in der Stadt ist die Spitze des Veddelhöft, wo derzeit leider niemand hinkommt. Noch ist es dort sehr verwunschen und zugewachsen. Aber wenn wir den Grasbrook entwickelt haben, wird dieser tolle Ort für alle erreichbar sein: Dort eröffnet sich ein wundervoller Blick auf Hamburg.
  • Mein Lieblingsgebäude gibt es noch gar nicht. Wir planen gerade unseren Unternehmenssitz in der HafenCity und werden das Haus als Nullemissionsgebäude errichten. Da steckt viel Herzblut von uns allen drin.
  • Einmal mit dem Abrissbagger würde ich mir gerne die Drive-in-Restaurants an den Magistralen vornehmen, die ein klares Zeugnis davon ablegen, wie wir früher Stadt gedacht haben: Aus dem Haus gehen, mit dem Auto irgendwo hinfahren, sich von jemandem Essen ins Auto reichen lassen und wieder nach Hause fahren. Ich glaube, das ist verzichtbar.

Sein Job bringt es mich sich, dass er in Dekaden denken muss – über zehn oder 20 Jahre. „Wir sind jetzt beim Grasbrook gut unterwegs“, sagt er. Nun werden die finalen Entwicklungsstrategien entwickelt, die derzeit im Rahmen der Grasbrook-Werkstätten mit der Öffentlichkeit diskutiert werden. „2023, 2024 könnten die ersten Hochbauten beginnen.“ Zunächst gehe es aber um die In­frastruktur, damit der Grasbrook erreichbar ist. Die Elbinsel wird von Osten her entwickelt. An der westlichen Spitze soll dann das Deutsche Hafenmuseum mit der „Peking“ entstehen. „Im Hafentorquartier haben wir drei wundervolle Bestandsgebäude, von denen wir uns vorstellen können, dass sie als Pioniere früh zur Entwicklung in dieses Quartier beitragen. Hier könnten Räume für kreativwirtschaftliche Nutzungen entstehen. Denkbar wäre auch eine Ansiedlung von Hightech-Industrie sowie ein Start-up-Zentrum für Prototyping und Produktion im Kontext der Smart-City-Diskussion und der nachhaltigen Mobilität.”

Auch das Projekt „Billebogen“ nimmt Fahrt auf

Auch das Projekt „Billebogen“ nimmt Fahrt auf: „Am Billebecken haben wir jetzt einen sehr guten Entwurf eines Funktionsplans, den wir mit Nachbarn, Bewohnern und dem Bezirk besprechen.“ Die Planungen am Huckepack-Bahnhof seien derzeit hingegen etwas gebremst, weil man dort die Interessen der angrenzenden Industrie berücksichtigen müsse.

„Total faszinierend“, nennt der promovierte Betriebswirt die Planungen für die Science-City in Bahrenfeld. „Das ist eine einmalige Chance, Hamburg zu gestalten.“ Bislang seien Hafen, Handel und Medien Teile der DNA der Stadt gewesen. „Mit der Science City kann es gelingen, auch die Wissenschaft als prägend für Hamburg zu etablieren.“ Das Besondere sei der Vierklang, das Zusammenspiel aus Grundlagenforschung auf höchstem Niveau, internationalen Forschungseinrichtungen wie dem Desy, die Umsetzung der Forschung durch Start-ups und zugleich Menschen, die im Stadtteil des Wissens leben werden. „Vielleicht werden meine Kinder oder Enkel einmal sagen: Hamburg ist ein Ort für Hochleistungsforschung.“

Bevor er so weit ist, dürfte er den Stab an einen Nachfolger weiterreichen. Kleinaus Vorgänger Bruns-Berentelg war immerhin fast 19 Jahre im Amt. Würde er bis 2040 dabeibleiben, dürften viele der Projekte fertiggestellt sein. Kleinau bremst: „Wir werden an einigen Themen noch länger studieren, wie der Schweizer sagen würde.“ Er sieht Probleme am Horizont aufziehen: „In den nächsten fünf bis sechs Jahren könnte uns die angespannte finanzielle Situation von Land und Bund zwingen, Dinge zu priorisieren und Ziele neu zu justieren.“ Er sei Realist genug, um zu sagen: „Es wird auch noch nach 2040 der eine oder andere Möglichkeitsraum bleiben.“