Hamburg. An das Fährhaus erinnern heute alte Bäume. Ansonsten ist von der Betriebsamkeit vergangener Zeiten am Wasser nicht viel übrig.

Der Elbstrand bei Wittenbergen ist eines der schönsten Naherholungsgebiete Hamburgs. Der Übergang zwischen Heide und Sand – inklusive Strandhafer – hat einen ganz besonderen Reiz, und Besucherinnen und Besucher können sich am Wasser liegend mit geschlossenen Augen vorstellen, irgendwo weit weg an Nord- oder Ostsee zu sein.

Doch die Gegend um den Leuchtturm wirkt auch etwas lückenhaft und leer. Große, nicht natürliche und mittlerweile eingewachsene Freiflächen fallen auf. Der Parkplatz ist seit Jahrzehnten ein einziges Provisorium, die wenige Gastronomie vor Ort hat es schwer. Dass ein großer Teil der Fläche heute ein weitläufiges Naturschutzgebiet bildet, ist ökologisch sinnvoll und macht den besonderen Charme der Gegend aus.

Hamburgs verschwundene Orte: Strand war völlig überfüllt

Niemand ist mit der Geschichte und den Geschichten vor Ort so vertraut wie die Mitglieder der Archivgruppe des Bürgervereins Rissen. Carsten Meyer-Tönnesmann, seit vielen Jahren dabei, ist einer der besten Kenner der Ortsgeschichte. „Wittenbergen gehört zu den schönsten Landschaften Norddeutschlands“, sagt er. „Der herrliche Blick und die unberührte Natur trugen auch dazu bei, dass zahlreiche Hamburger Künstler des 19. Jahrhunderts das Elbufer hier gern gemalt haben. Von 1900 an kamen immer mehr Menschen in diese reizvolle Gegend, und der Strand war damals an vielen Wochenenden völlig überfüllt.“

Tatsächlich war hier einst deutlich mehr los. Mehrere prägende Gebäude sind verschwunden; dass sie einst hier standen, ist heute nur noch schwer vorstellbar. Da war zunächst das Freibad Wittenbergen, das 1923 vor dem damaligen Kurhaus errichtet worden war. Dafür hatte man, wie sich in der Chronik des Bürgervereins nachlesen lässt, ein 35 Hektar großes Wiesen- und Strandgrundstück eingezäunt und mit drei Eingängen versehen. Der Eintritt betrug 20 bis 50 Pfennig.

Strandbad und Strandkörbe an der Elbe

„Hamburgs verschwundene Orte“ ist im Handel, der Abendblatt- Geschäftsstelle und unter abendblatt.de/shop erhältlich. 19,90 Euro
„Hamburgs verschwundene Orte“ ist im Handel, der Abendblatt- Geschäftsstelle und unter abendblatt.de/shop erhältlich. 19,90 Euro © Bast Medien | Bast Medien

„Wer damals in der sonntags oft überfüllten Eisenbahn nicht auf dem Trittbrett mitfahren wollte, kam mit dem Schiff nach Rissen“, heißt es in dem Buch, und bis in die 1960er-Jahre hinein stand sogar noch Strandbad Wittenbergen auf dem Anleger-Schild. Vor Ort gab es unter anderem Mietzelte, ein Karussell und einen Musikpavillon. Die Anlage profitierte davon, dass das Baden damals am übrigen Elbstrand verboten war, was auch von „Gendarmen“ überwacht wurde. Wie Meyer-Tönnesmann sagt, war das Bad in Spitzenzeiten völlig überfüllt. Die höchste Besucherzahl von fast 10.000 Tagesgästen wurde im Sommer 1925 registriert. Von 1908 an wurden vor Ort auch Strandkörbe angeboten. Der letzte Vermieter hörte erst 1988 auf.

Merkwürdig: Heute droht vor Ort bei weitaus weniger Besuchern immer gleich ein Verkehrschaos mit ständigem An- und Abfahren auf dem von tiefen Löchern durchzogenen Parkplatz und langen Staus mit Wildparkerei bis in die angrenzenden Straßen. Damals kam man eben deutlich häufiger mit Bahn, Bus, Fahrrad oder zu Fuß zum Strand. Erst 1927 wurde das Baden wieder am gesamten Elbstrand erlaubt (heute wird es toleriert), was den Niedergang des Freibads vermutlich beschleunigte.

Fährhaus Wittenbergen: Elbblick aus allen Zimmern

Das Areal neben dem Leuchtturm wurde von zwei großen Gebäuden beherrscht: Da war zunächst das 1898 erbaute „Alte Gasthaus“ von Johann und Katharina Wiggers, die 1908 an die Familie Heuer verpachteten. Meta Heuer, Tochter der Pächter, betrieb das Haus noch bis 1969. Nachdem es bei der Sturmflut 1962 schwer beschädigt worden war, wurde das Gasthaus Mitte der 1970er-Jahre abgerissen.

Wo einst das Fährhaus stand, ist heute nichts als leerer Strand.
Wo einst das Fährhaus stand, ist heute nichts als leerer Strand. © A.Laible | Andreas Laible

Deutlich eindrucksvoller war das Fährhaus Wittenbergen, das 1907 im Auftrag von Gastronom Johann Wiggers erbaut worden war. Das Gasthaus im klassischen Sinn – mit saalartigen Räumen im Erdgeschoss, großer Café-Terrasse und einem richtigen Hotelbetrieb – bot nach Süden unverbaubaren Elbblick aus allen Zimmern. Wegen des weichen Untergrunds war es auf 288 Rammpfählen errichtet worden. 1914 verkaufte Johann Wiggers das Fährhaus an das Ehepaar Hoff, dessen Sohn Paul es noch bis 1971 weiterführte.

Fährhaus später an die Stadt verkauft

Wie die Rissener Archivgruppe herausfand, gab es beim Fährhaus zeitweise sogar einen Seehundteich mit drei Tieren. Die Reste dieses Teichs sind vor Ort heute noch zu finden. Und: Westlich des Leuchtturms und im Hanggebiet entstand in den 1930er-Jahren eine kleine Siedlung mit Wochenendhäusern und Bootshäusern.

Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen ausgebombte Hamburger hierher und errichteten Häuschen samt Gärten auf einem erhöhten Flutschutzsockel. Diese Laubenkolonie wurde bei der schweren Sturmflut 1962 zerstört und durfte danach aus Sicherheitsgründen nicht wieder aufgebaut werden. Anfang der 1970er-Jahre verkaufte Paul Hoff das Fährhaus an die Stadt, die den Betrieb zunächst verpachtete.

Strand von Wittenbergen schwer erreichbar

Bei der Sturmflut im Januar 1976 wurde das Fährhaus stark beschädigt und dann Ende März 1976 abgerissen. Bestrebungen, vor Ort wieder ein Fährhaus oder ein vergleichbares Gebäude zu errichten, hat es nie gegeben. Auch wenn der Strand von Wittenbergen nach wie vor beliebt ist, bleibt die Gegend mit nur einer eher schmalen Zufahrtsmöglichkeit schwer erreichbar.

Das ehemalige Freibadgelände wurde 1986 vom Senat als „Elbwiesen“ unter Naturschutz gestellt und liegt entsprechend brach. Die Zeiten, in denen sich dort Tausende drängten, sind lange vorbei. Die Natur hat sich an vielen Stellen das zurückgeholt, was man ihr einst abgetrotzt hatte.

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