Kampnagel diskreditiert den renommierten Rechtsmediziner Klaus Püschel und stützt sich auf Aktivisten. Ein bitteres Schauspiel.
Amelie Deuflhard ist eine kluge Frau. Lustig, gewinnend und immer für eine Debatte zu haben. 2014 war es, da setzte sich die Kampnagel-Intendantin mit dem AfD-Kandidaten Dirk Nockemann sogar gemeinsam auf eine Bühne im Thalia Theater, um zu streiten. Dabei hätte sie Grund gehabt, auf die AfD ziemlich sauer zu sein: Die Rechtspopulisten hatten Deuflhard zuvor angezeigt, weil die heute 62 Jahre alte Theaterproduzentin auf Kampnagel Flüchtlinge in einer Kunstinstallation überwintern ließ. Die AfD sah darin Beihilfe zum Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht. Das Verfahren wurde später eingestellt. Deuflhard stellte sich dennoch damals ihren wütenden Kritikern. Argumentierte, erklärte, stritt im besten Sinne.Tempi passati.
Bannstrahl hat Klaus Püschel getroffen
Heute wird nicht mehr gestritten, heute wird kurzer Prozess gemacht. Und mit einer besorgniserregenden Ausweitung der Kampfzone geht es längst nicht mehr nur gegen Rechtspopulisten, sondern gegen alle, die vermeintlich vom rechten, besser gesagt vom linken Pfad abweichen. Nun hat der Bannstrahl den renommierten Rechtsmediziner Klaus Püschel getroffen.
Mit einer Erklärung distanziert sich Kampnagel von dem Buchautor, der am Donnerstag im Rahmen des Krimifestivals lesen wird. Die Veranstaltung organisieren das Hamburger Abendblatt, die Buchhandlung Heymann und das Literaturhaus Hamburg gemeinsam. Das Abendblatt arbeitet auch in einem Podcast mit dem Mediziner zusammen, wir sind also direkt betroffen. Hier geht es aber nicht um uns, hier geht es um die Kunstfreiheit und eine zivilisierte Debatte.
Diese hat, man muss es so hart sagen, Kampnagel verlassen. Am vergangenen Sonnabend meldete sich die Bühne per PDF aus dem Off zu Wort und distanzierte sich ausdrücklich von der Lesung mit Klaus Püschel. „Kampnagel zeigt als Institution eine klare Haltung gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung und setzt sich seit Jahren mit vielen Veranstaltungen kritisch u. a. mit Strukturen von institutionellem Rassismus und mit Erinnerungskultur für Opfer rassistischer Gewalt auseinander“, heißt es da. „Wir arbeiten mit einem großen Netzwerk von Geflüchteten, Menschen mit Migrationsgeschichte und Aktivist*innen zusammen, deren Vertrauen wir nachhaltig verletzen, wenn Klaus Püschel in unserem Haus eine Bühne bekommt.“
Zwangseinsätze mit Brechmitteln? Vergangenheit!
Eine interessante Begründung – wenn das gefühlte Vertrauen zum Maß dessen wird, was noch gezeigt werden kann und was nicht, ist die Freiheit der Kunst, die Freiheit der Meinung und die Freiheit des Wortes bald Geschichte. Geradezu bizarr wird es aber, wenn es zur Begründung heißt: „Wir bedauern ausdrücklich, nicht zu einem Zeitpunkt auf diese Veranstaltung aufmerksam geworden zu sein, wo wir sie vor der Veröffentlichung infrage stellen konnten.“
Zum einen hat Püschel in der Vergangenheit mehrfach auf Kampnagel gelesen. Zum anderen ist nichts an den Hintergründen neu – allein das Wort „Brechmitteleinsatz“ findet sich mehrere Hundert Mal im Archiv des Hamburger Abendblatts. Die Geschichte liegt Jahrzehnte zurück, längst gibt es keine Zwangseinsätze mit Brechmitteln mehr.
Kampnagel sprach nicht mit Püschel
Das einzig Neue an der Sache ist, dass die „Initiative zum Gedenken an Achidi John“ zu Püschel „recherchiert“ hat. Die Ergebnisse haben es in sich. Zuspitzungen, Halbwahrheiten, Auslassungen werden zur Grundlage, einen Mann öffentlich zu beschädigen, ja seinen guten Ruf zu ruinieren. Wenn eine renommierte Kultureinrichtung wie Kampnagel von Rassismus spricht und über seine sozialen Kanäle teilt, kann man sich kaum wehren. Es gilt das Motto: Wenn man nur eifrig mit Dreck wirft, wird schon irgendetwas hängen bleiben.
Erschwerend kommt hinzu: Anklage und Urteil fallen beim Internet-Standgericht meist zusammen. Eine Verteidigung ist unerwünscht. Kampnagel macht sich diesen üblen Stil leider zu eigen. Mit Klaus Püschel jedenfalls sprach das Theater nicht.
Absurder Rassismus-Vorwurf gegen Püschel
Kritisiert wird, dass Püschel als Leiter des Instituts für Rechtsmedizin am UKE zwischen 2001 und 2006 Brechmittel verabreicht hat. Das geschah nicht aus Lust und Laune, sondern weil er als Beamter dazu verpflichtet war. Er sagte damals aber, man könne „Polizei und Justiz nicht im Regen stehen lassen“. Die Entscheidung, Brechmittel bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität einzusetzen, hatte der damalige Innensenator Olaf Scholz (SPD) getroffen, Püschel hatte sich vor der Umsetzung extra bei seiner damaligen Dienstherrin Krista Sager (Grüne) abgesichert.
Die Initiative und Kampnagel kritisieren nun, dass fast ausschließlich schwarze Personen von der Brechmittelvergabe betroffen waren. Was auf der Webseite des Kulturzentrums nicht steht: Brechmitteleinsätze gab es damals gegen Dealer, die Crack-Kügelchen im Mund transportierten und bei einem Polizeizugriff schnell verschluckten. Da die Straßendealerszene nach übereinstimmenden Aussagen von Polizei und Szenekennern fast nur aus Schwarzafrikanern bestand, geht der Vorwurf des Rassismus ins Leere.
Es wird holzschnittartig in Opfer und Täter unterteilt
Doch die Initiative geht in ihrer Einladung zu einer „Gedenkveranstaltung für Achidi John“ am 7. Dezember („When Black Lives Don’t Matter“) ebenfalls auf Kampnagel noch weiter. Auf der Website der stadteigenen Kulturfabrik heißt es: „In der Veranstaltung wird das institutionelle Netzwerk der Hamburger Brechmittelfolter nachgezeichnet, Akteur*innen benannt und gefragt, wie in Hamburg über Jahre systematisch gefoltert werden konnte, ohne dass dies Konsequenzen für die Täter*innen hatte.“ Systematische Folter!?
Für diese Sicht wird holzschnittartig in Opfer und Täter unterteilt. Doch die Information „Michael Paul Nwabuisi, der sich Achidi John nannte, verstarb am 12.12.2001 in Hamburg nach zwangsweiser Brechmittelvergabe“ ist verkürzt. Was dort nicht stand: Der Nigerianer Nwabuisi hatte sich bei seinem Asylgesuch 2000 in Jena als Kameruner Achidi John ausgegeben und dealte später in der Hansestadt. Bevor er ins UKE gebracht wurde, war der 19-Jährige der Polizei bereits fünfmal aufgefallen. Bei dem Brechmitteleinsatz wehrte er sich heftig. Im Magen und Darm des Dealers fanden sich 45 Crack-Kügelchen.
Initiative und Kampnagel biegen Geschichte zurecht
Um nicht missverstanden zu werden: Der Tod des jungen Mannes ist eine Tragödie – und Ergebnis einer falschen Politik. Mit dem Wissen von heute – 2006 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass der zwangsweise Einsatz von Brechmitteln menschenrechtswidrig und ein Verstoß gegen das Verbot von Folter ist –, hätte man diese Einsätze nicht durchführen dürfen. Und doch biegen die Initiative und Kampnagel Geschichte zurecht und instrumentalisieren sie. Es dürfte kein Zufall sein, dass nun – 20 Jahre nach dem Tod – der Fall hochgespült wird, zu einem Zeitpunkt, an dem sich Olaf Scholz anschickt, Kanzler zu werden.
Die unwürdige Attacke auf Püschel, übrigens ausgelöst von der Roten Flora, zeigt wie unter einem Brennglas die Selbstradikalisierung mancher Kultureinrichtung. Offenbar fürchtet man nichts so sehr wie einen Shitstorm oder das Gefühl, auf der falschen Seite der sich vertiefenden ideologischen Gräben zu stehen. Angesichts der Gefahr, die durch die Etablierung einer rechtspopulistischen Partei in Parlamenten und erschütternder Anschläge von Rechtsradikalen ausgeht, überziehen Teile der Kulturbranche aber in ihrer Gegenreaktion.
Die hohe Kunst des Streitens ist verloren gegangen
Maß und Mitte gehen verloren, alles entscheidend ist der Kampf gegen rechts. In Hamburg initiierte Deuflhard die „Hamburger Erklärung der Vielen“, die bis heute Hunderte Kulturinstitutionen unterzeichnet haben. Sie kämpft für die Freiheit der Kunst und gegen Versuche der Einflussnahme durch Rechtspopulisten und Rechtsextremisten – zweifellos hehre Ziele. Wer aber an derlei Initiativen leise Zweifel äußert, wird schnell weggemobbt. Vertreter der Szene, die anders denken und die es durchaus gibt, halten den Mund oder äußern sich nur noch im Verborgenen. Ein unguter Ungeist macht sich breit.
Die hohe Kunst des Streitens ist verloren gegangen, weil man sich im Angesicht eines Feindes im Besitz der einzigen Wahrheit wähnt. Mit plumpen Freund-Feind-Denken aber verliert die Kultur das, was sie ausmacht – die Zwischentöne, die Schattierungen, das Widersprüchliche. Die Wahrheit wird gar nicht mehr gesucht, weil man sie schon gefunden hat. Aufklärung aber geht verloren, wenn vermeintlich alles klar ist. Wer sich für unfehlbar hält, begeht Fehler. Der nötigen Debatte über Rassismus und Benachteiligungen, die es zweifelsfrei in Deutschland gibt, erweist man einen Bärendienst, wenn man sich zum Sprachrohr von Radikalen macht.
Wird die Causa Püschel zum Bumerang?
Und am Ende macht sich Kampnagel angreifbar und stärkt ausgerechnet jene, die man zu bekämpfen vorgibt. Es wird auch nicht besser, wenn Deuflhard in der „Zeit“ räsoniert, dass man sich offenbar auch an Püschels Aussagen zu Corona stößt: „Wir verfolgen inzwischen sehr genau, wie Klaus Püschel sich äußert.“ Was ist das für eine Botschaft? Verfolgen? Wie muss man sich das vorstellen? Wie wäre es zur Abwechslung mal mit sprechen, diskutieren, streiten?
Für Deuflhard wird die Causa Püschel möglicherweise zum Bumerang: „Wir beschäftigen uns seit zwei Jahren mit rassistischen Strukturen in Institutionen, auch in Kulturinstitutionen und können deshalb nicht sagen, der Krimiautor und der ehemalige Leiter der Rechtsmedizin am UKE hätten nichts miteinander zu tun“, sagt sie zur Verteidigung. „Ich finde es gut, dass heute Glaubwürdigkeit auf allen Ebenen verlangt wird.“
Kampnagel sollte sich bei Püschel entschuldigen
Man darf gespannt sein, wie glaubwürdig das Theater einen Besucher wie den möglichen Bundeskanzler Scholz begrüßen wird. Und wie glaubwürdig es ist, 60 Millionen Euro für die Sanierung von Kampnagel von Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) zu nehmen – plus einer saftigen Erhöhung des Zuschusses. Es ist der Andreas Dressel, der 2006 nach dem Verbot von Brechmitteleinsätzen als innenpolitischer Sprecher seiner Partei sagte: Nun müsse nach Alternativen gesucht werden, damit „die Drogendealer dem Rechtsstaat nicht wieder auf der Nase rumtanzen“.
Vielleicht wäre es am glaubwürdigsten zu erkennen, dass man sich verrannt hat – und sich nicht vor jeden Karren von Aktivisten spannen lassen sollte. Eine Entschuldigung bei Püschel ist angebracht, ein Gespräch, eine Debatte. Amelie Deuflhard hat auf Kampnagel bewiesen, dass sie Menschen zusammenbringen kann. Nun sollte sie es wieder tun – in eigener Sache.