Hamburg. Der renommierte Rechtsmediziner ist entsetzt. Kurz vor dem Krimifestival distanziert sich Kampnagel von einer Lesung des 69-Jährigen.
Er gilt als fachlich renommiert, wurde erst in der vergangenen Woche als „Hanseat des Jahres“ geehrt – nun aber gibt es Aufregung um den langjährigen Leiter der Hamburger Rechtsmedizin, Klaus Püschel. Am Donnerstagabend soll der 69-Jährige mit Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher beim Krimifestival auf Kampnagel aus ihrem gemeinsamen Buch „Sex & Crime – neue Fälle aus der Hamburger Gerichtsmedizin“ lesen.
In einem Statement auf seiner Website distanziert sich die Leitung des Kulturzentrums jedoch von dem Auftritt. Als Begründung werden angebliche rassistische Methoden im Institut für Rechtsmedizin benannt. Püschel zeigte sich auf Anfrage überrascht und entsetzt von den Vorwürfen. „Ich stand immer gegen Rassismus und für internationale Zusammenarbeit. Das kann ich belegen und stelle mich jeder Diskussion.“ Er sei in diesem Fall aber nicht einmal kontaktiert worden.
Krimifestival: Püschel und Mittelacher mehrfach zu Gast
Bei dem Krimifestival, dass unter anderem vom Abendblatt veranstaltet wird, waren Püschel und Mittelacher bereits mehrfach auf Kampnagel aufgetreten. Mit der plötzlichen Distanzierung reagierte die Kulturstätte offenbar auf Äußerungen in sozialen Medien, die am Sonnabend aufgetaucht waren. Zuerst hatte die Rote Flora bei Twitter unter anderem scharfe Kritik daran geübt, dass Püschel Ende November eine Lesung bei der schlagenden Studentenverbindung „Mecklenburgia“ halten wolle. Später veröffentlichte Kampnagel dann eine ausführliche Stellungnahme und teilte diese bei Twitter mit Nutzern, die eine Absage der Lesung am Donnerstag gefordert haben.
In dem Text wird Püschel direkt mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht. „Kampnagel zeigt als Institution eine klare Haltung gegen Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung und setzt sich seit Jahren (...) kritisch u.a. mit Strukturen von institutionellem Rassismus (...) auseinander“, hieß es. Man arbeite „mit einem großen Netzwerk von Geflüchteten, Menschen mit Migrationsgeschichte und Aktivist*innen zusammen, deren Vertrauen wir nachhaltig verletzen, wenn Klaus Püschel in unserem Haus eine Bühne bekommt“.
Kampnagel verweist auf rassistische Methoden
Kampnagel nimmt dabei aber keinen Bezug auf die andere geplante Lesung bei „Mecklenburgia“ – sondern nennt zwei Vorgänge im Institut für Rechtsmedizin unter der Verantwortung Püschels, die bis zu 20 Jahre zurückliegen. Erstens verweist das Kulturzentrum auf den Einsatz von Brechmitteln in der Rechtsmedizin von 2001 bis 2006, von denen 530 „fast ausschließlich schwarze Personen“ betroffen waren – und der 19-Jährige Achidi John infolge der Maßnahme starb.
Zweitens bezieht sich Kampnagel auf den Fall des Kameruners William Tonou-Mbobda, der im Frühjahr 2019 in der Psychiatrie des UKE behandelt wurde und nach einer Fixierung durch Wachleute ebenfalls verstarb. Der genaue Hergang der Tragödie bleibe unklar, schreibt Kampnagel – unter Verweis auf eine Recherche der „Zeit“, die deutlich mache, „dass rassistische Übergriffe in Institutionen nach wie vor nicht als solche benannt und untersucht werden“. Detaillierter äußert sich Kampnagel nicht, stellt danach aber den Zusammenhang zwischen dem Kampf gegen Rassismus und Püschel her.
Püschel bezeichnet Vorwürfe als haltlos
Konfrontiert mit den Vorwürfen sagte Klaus Püschel dem Abendblatt, die Vorwürfe seien völlig haltlos. Im Fall William Tonou-Mbobda habe er die Obduktion durchgeführt – „mit dem Verfahren der Staatsanwaltschaft und ihren Entscheidungen hatte ich aber absolut gar nichts zu tun“. Der damalige Einsatz von Brechmitteln sei ebenso eine Anordnung gewesen, der er als Hamburger Beamter eben Folge geleistet habe. Tatsächlich hatte der damalige Innensenator Olaf Scholz (SPD) die von Anfang an umstrittene Maßnahme durchgesetzt, um die ausufernde Drogenkriminalität in den Griff zu bekommen.
Die Rechtsmedizin hatte den Brechmitteleinsatz unter Püschels Leitung auch nach der Tragödie um Achidi John fortgesetzt, ehe der Europäische Gerichtshof den Einsatz der Mittel mit Zwang verbot. Mitgliedern der damaligen rot-grünen Koalition ist nicht erinnerlich, dass Püschel eingangs persönlich oder gar aktiv für die Maßnahme eingetreten sei. Öffentlich hatte Püschel aber damals auf Anfrage mehrfach gesagt, dass man „Polizei und Justiz nicht im Regen stehen“ lasse und die Maßnahme weiter im Institut umsetze.
Püschel über Vorwürfe: "Trafen nie zu"
Püschel betont, dass Brechmittel später nur mit dem Einverständnis der Betroffenen eingesetzt wurden. Es habe auch bei den politischen Auftraggebern der damaligen Zwangspraxis ein „Lernprozess“ stattgefunden.
Vorwürfe gegen sich selbst habe er bereits früher gehört, sagt Püschel heute – „sie wurden aber nie substantiiert und trafen auch nie zu“. Im Gegenteil verweist er etwa auf seine langjährige Tätigkeit in Afrika und im Nahen Osten. „Mein Einsatz dort ging bis dahin, dass ich einen afrikanischen Ziehsohn habe.“ Püschels Hilfe bei der Aufklärung des Völkermords an den Tutsi in Ruanda wurde mehrfach gewürdigt.
Veranstaltung trotz Vorwürfen nicht abgesagt
Zum geplanten Auftritt bei der schlagenden Verbindung „Mecklenburgia“ sagte Püschel, er habe dort zugesagt, weil der Ehemann einer bekannten Staatsanwältin und Autorin einen Kontakt in die Verbindung und ihn gefragt habe. „Ich habe mir keine weiteren Gedanken dazu gemacht und mir auch die Verbindung nicht näher angesehen.“ Er wundere sich aber darüber, dass das Kulturzentrum Kampnagel „aus einseitigen Informationen Schlüsse gezogen hat, ohne mich zu befragen“. Er stehe für ein solches Gespräch immer zur Verfügung.
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Auf Abendblatt-Anfrage betonte Kampnagel-Chefin Amelie Deuflhard: „Was rassistische Strukturen und Alltagsrassismus in Institutionen angeht, scheint mir eine öffentliche Debatte noch nicht stattgefunden zu haben. Vielleicht helfen unsere Distanzierung und die Veranstaltungen zu diesem Thema, die wir seit langer Zeit auf Kampnagel machen, eine solche anzustoßen.“ Sie sei der Meinung, dass „eine Rassismusdebatte in unserer Gesellschaft auf breiter Ebene“ bis jetzt nicht ausreichend stattfinde. Deuflhard weiter: „Wir haben die Veranstaltung nicht abgesagt, dies ist also kein Fall von Cancel Culture.“