Hamburg. Bei Starkregen laufen in Hamburg viele Keller voll. Ein Gericht urteilte jetzt, dass der Staat dafür haftbar gemacht werden kann.

In Sachen Starkregen und gefluteter Keller muss sich die Stadt Hamburg auf Klagen einstellen. Erste Grundstückseigentümer drohen der Stadt mit rechtlichen Schritten. Sie wollen zeitgemäße Siele und eine den Experten-Empfehlungen entsprechende Oberflächenentwässerung erzwingen. Mut macht ihnen dabei ein Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts.

Es spricht einem Grundstückseigentümer Schadenersatz zu, weil die Gemeinde Timmendorfer Strand oberhalb seines Grundstücks ein Neubaugebiet plante und dabei das Regenwassersiel unterdimensionierte. Warnungen hatte sie in den Wind geschlagen. In der Folge kam es in regelmäßigen Abständen zu Siel­überläufen nebst anschließenden Überschwemmungen des Grundstücks.

Hochwasserschutz: Klagen bald viele Hamburger auf Schadensersatz?

Das Gericht sah im Verhalten der Gemeinde eine Pflichtverletzung und verurteilte sie zu Schadenersatzleistungen für die durchfeuchteten Kellerwände (Az.: 11U100/16). „Die Sammlung und Beseitigung der Abwässer, wozu auch das Regenwasser gehört, obliegt der Gemeinde als hoheitliche Aufgabe“, schrieben die Richter in ihrer Begründung. „Die Erfüllung dieser Pflicht dient nicht nur dem allgemeinen Interesse, sondern soll gerade auch die Anlieger im Rahmen des Zumutbaren vor Überschwemmungen schützen.“

Der einzelne Eigner hat demnach einen Anspruch auf Schutz vor Binnenhochwasser. Ausdrücklich schließt das Gericht nur aus, dass die Gemeinde jeden Starkregen bewältigen können muss. Es sieht also Grenzen der pflichtmäßig zu bewältigenden Wassermengen, ohne diese genauer zu definieren. Das Gericht sagt auch, dass die Verwaltung sich nicht auf die Topografie zurückziehen und Anlieger mit tief liegenden Grundstücken ihrem Schicksal überlassen kann. „Auf welche Regenereignisse abzustellen ist, hängt auch von den örtlichen Gegebenheiten ab, insbesondere von den Höhenlagen der betroffenen Grundstücke und ihrer Umgebung.“

Anwohner aus Poppenbüttel droht mit Klage

In der Bezirksversammlung Wandsbek hat ein Anwohner aus Poppenbüttel der Stadt mit Klage gedroht – für den Fall, dass sie am Hartje-Rüter-Weg weiterhin untätig bleibt und sich weigert, zum Beispiel durch Umgestaltung von Straße und Bordsteinen das Überschwemmungsrisiko zu minimieren. Ähnlich hatten sich schon Betroffene in der Poppenbütteler Hennebergstraße geäußert. Beide waren zuletzt im Starkregen des 10. September förmlich untergegangen.

Laut Hamburg Wasser (HW), dem stadteigenen Entwässerungsunternehmen, kann das städtische Siel und Grabensystem mit Starkregen der Stärken eins und zwei fertigwerden. Ab Stufe drei ist es tendenziell überfordert, ab sechs beginnt die Naturkatastrophe. Am 10. September, auf den beide Grundeigentümer Bezug nehmen, erreichte der Regen die Stärken vier, fünf und sechs in der bis zwölf reichenden Skala. Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal im Sommer wurde die Stufe elf erreicht.

„Der Staat hat auch eine Fürsorgepflicht“

Diese Feststellungen von HW sind aber laut Hamburger Grundeigentümerverband nur technischer Art: Sie beschreiben den Anspruch, den die Stadt an ihre Anlagen hat, nicht aber, welche Anforderungen sie objektiv erfüllen müssten, sagt der Verbandsvorsitzende Torsten Flomm. Per Gesetz sei gerade nicht geregelt, welche Regenfälle von städtischen Sielen und Gräben bewältigt werden sollen und ab wann sie als Naturkatastrophe jenseits dessen liegen, was die Siele schlucken können müssten.

„Es ist auch, aber nicht allein Sache des Grundeigentümers, sich vor Wassereinbrüchen infolge von Starkregenereignissen zu schützen“, sagt Flomm. „Der Staat hat auch eine Fürsorgepflicht. Wer ordnungsgemäß gebaut hat und infolge von Klimawandel und Nachverdichtung jetzt eine verschlechterte Entwässerungssituation erlebt, kann durchaus erwarten, dass die Stadt ihm hilft.“

Muss die Stadt umdenken?

Das Bezirksamt Wandsbek hält die derzeitigen Entwässerungsanlagen (Gräben und Verrohrungen) für ausreichend. Es verwies auf die Topografie und beschied, dass es natürlich sei, wenn Wasser zu den tief liegenden Grundstücken laufe. Sowohl an der Hennebergstraße als auch am Hartje-Rüter-Weg liegen die gefährdeten Grundstücke in einer Senke.

Flomm regte angesichts des Urteils aus dem Nachbarland ein Umdenken an. „Wenn die Regenfälle häufiger und heftiger werden, wird sich auch die staatliche Eintrittspflicht wandeln müssen.“ Der Staat könne sich nicht darauf zurückziehen, generell für Starkregen ab Stufe 3 nicht zuständig zu sein.

Hamburg – die „wassersensible Stadt“

HW hatte angesichts des Klimawandels und vor allem der Flächenversiegelung durch Neubauten schon 2013 und 2015 Broschüren zum intelligenten Umgang mit Regenwasser herausgebracht. Das Konzept der „wassersensiblen Stadt“ empfiehlt, möglichst viel Wasser möglichst lange in der Fläche zu halten statt abzuleiten.

Das Volumen der Gräben z.B. kann ausgeschöpft und mit kleinen Staustufen versehen werden, um das Wasser nicht nur hindurchzuschicken, sondern im Graben zu halten und damit tiefliegende Flächen zu schützen. Desgleichen können Straßen und Kantsteine so geformt werden, dass sie Wasser aufnehmen und leiten, um es z.B. in kleine Grünflächen zu bringen, wo es keinen Schaden anrichtet. Erste entsprechende Umbauten gibt es bereits.

Mit der neuen Starkregenkarte den Flutschutz verbessern

HW ist allerdings nur für das technische Siel der Stadt zuständig. Gräben und „natürliche Gewässer“ verantworten immer noch die Bezirksämter, obwohl HW schon 2013 in seinem „Szenario Hamburg 2050“ eine zentrale Zuständigkeit für alle Entwässerungsanlagen empfohlen hat. Im Sommer dieses Jahres veröffentlichte HW die „Starkregengefährdungskarte“, mit deren Hilfe Eigentümer erkennen können, welche Wege sich das Wasser voraussichtlich suchen wird und wen es bedroht.

„Im Grunde müssten wir mit dieser Karte durch die Stadt laufen und gucken, an welchen Stellen wir die Entwässerungssituation verbessern können und wo wir es vielleicht sogar müssen“, sagt der Rahlstedter CDU-Politiker Jörn Weiske. Bis die Verwaltung da mitzieht, dürfte es noch dauern.

Wassersperren – wie Anwohner sich selbst helfen

Im Rahlstedter Ortsteil Meiendorf gibt es bereits erste Grundstücke mit Regenwasserschutzanlagen. Weil die Stadt die überforderten Gräben und die Straße nicht anfassen wollte, schließen die Anwohner ihre Einfahrten mit Ansätzen von Flutschutztoren, wenn die Gräben über die Ufer treten und das Wasser in die Senken schicken.

Sie haben Einfahrten erhöht und 40 Zentimeter hoch aufragende Randsteine mit Silikondichtungen vor ihre Hecken und Kasematten gesetzt. „Was früher alle zehn Jahre einmal auftrat, haben wir jetzt zwei- bis fünfmal im Jahr“, sagt Holger Kruse aus der Von-Suppé-Straße. „Wenn es 45 Minuten kräftig geregnet hat, ist klar: Die Gräben laufen über, und wir müssen raus, um die Wassersperren zwischen die Pfeiler zu setzen.“